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Reinhard Kriechbaum: Hochzeitslader, Krapfenschnapper, Seitelpfeifer#

Bild 'Kriechbaum'

Reinhard Kriechbaum: Hochzeitslader, Krapfenschnapper, Seitelpfeifer. Bräuche in Österreich: Sommer, Herbst und Lebenskreis. Verlag Anton Pustet, Salzburg 2013. 224 S., ill., € 24,-

Jetzt ist die Trilogie komplett. Nach „Weihnachtsbräuche in Österreich“ (2010) und „Scheller, Schleicher, Maibaumkraxler“ (2012) erschien 2013 „Hochzeitslader, Krapfenschnapper, Seitelpfeifer“. Darin geht es nicht nur um Bräuche der Jahreszeiten Sommer und Herbst, die bisher gefehlt haben, sondern auch um den Lebenskreis. Ausstattung und Präsentation folgen der bewährten Art. Mit leichter Feder beschreibt der Kulturjournalist dutzende öffentliche und private Feste in allen Bundesländern.

Die erste Hälfte nehmen die Bräuche im Lebenslauf ein. Von der Wiege bis zur Bahre, und mit der Hochzeit im Mittelpunkt. Hier findet sich ein Grundsatz-Statement. „Bräuche werden keineswegs nach reglementierten Uralt-Traditionen weitergetragen, sondern sie müssen immer zum jeweiligen Lebensumfeld passen. Tun sie das nicht, so verschwinden sie, werden ersetzt oder den jeweiligen Gegebenheiten bzw. Erwartungen angepasst.“ Die Rituale werden „von vielen Brautpaaren nach Lust und Laune kombiniert.“ Wer angesichts der vielen Möglichkeiten bei der Planung des angeblich schönsten Tages im Leben Hilfe braucht, findet sie traditionell beim Hochzeitslader oder „Progroder“ (von Procurator - einer, der Sorge trägt), der auch als Zeremonienmeister fungiert. Man kann sich im Internet umsehen - und dort die immer gleichen Anleitungen finden - oder einen zertifizierten Wedding Planner zu Rate ziehen. Es zeichnet Kriechbaums Bücher aus, dass sie neben dem Traditionellen die neuesten Entwicklungen vorstellen. Das reicht bis zur Momentaufnahme aktueller Zahlen, in diesem Fall: 38.557 standesamtliche Eheschließungen im Jahr 2012 (6,1 % mehr als im Vorjahr) gegenüber rund 13.000 kirchlichen Hochzeiten.

Zwischen den Rites de passage, wie Taufe, Einschulung oder Heirat findet sich vieles, was als immaterielles Kulturerbe der UNESCO gelistet ist, darunter traditionelles (Kunst-)Handwerk. Berufsbräuche, wie das Gautschen der Buchdrucker, die Firstbäume der Zimmerer oder der Ledersprung der Bergleute fügen sich in den Lebenslauf. „Volkskunde hat zu sehen was ist,“ hatte der Volkskunde-Ordinarius Karoly Gáal seinen Studierenden eingeschäft, „nicht zu bewerten.“ Im Großen und Ganzen hält sich der Autor daran. Zu den berüchtigten „Büchsenmacher“-Schildern, die man Eltern eines weiblichen Babys vor das Haus stellt, vermutet er nur: „Es ist, als ob der ‚Volksmund’ der Political correctness auf diese Weise eins auswischen will.“ Dass aber einer Museumsdirektorin und einer Ministerin die Ehre des Ledersprungs, des Initiationsrituals von Bergmännern, zuteil wurde, schilt er als „Brauch-Perversion sondergleichen“.

Volksmusik, Jagd, Kartenspiel und Dialekte passen ebenso in den Rahmen der Bräuche in Österreich, wie das Wiener Caféhaus, das auf der UNESCO-Liste steht. „Die nette Geschichte vom Kurier und Dolmetscher Georg Franz Kolschitzky“ wird als „lieb, aber erfunden“ zurückgewiesen, doch die Legende vom halbmondförmigen Kipferl als Türkenerbe anscheinend ernst genommen. Es gibt wenig zu bemängeln an der Bräuche-Trilogie. Der Hobbyforscher liebstes Kind, die Ursprungsfrage, tritt beim studierten Volkskundler in den Hintergrund. Die diplomatischen Formulierungen wissenschaftlich längst erledigter Meinungen, die der Autor in den ersten Bänden zitiert, aber sich nicht eindeutig davon distanziert hat, scheinen seltener geworden zu sein. Das ist besonders erfreulich, weil dem Werk, als einzig lieferbarem zum Thema einige Breitenwirkung zukommen wird (was ihm zu wünschen ist).

Ab Seite 121 geht es um die Jahresfeste im Sommer und Herbst. Da findet man allgemein Bekanntes wie die Primiz, Alpines wie Ranggeln, Almabtrieb und Schafschur, Religiöses wie Kräuterweihe oder Seeprozessionen und wieder viel Aktuelles. Das Donauinselfest, Europas größtes Open Air-Event, Tiersegnung und Nationalfeiertag sind einige Beispiele dafür. Es geht eben „nicht um Nostalgie, sondern um das, was heute viele Menschen anspricht. Zwischendurch, von den fünfziger bis in die siebziger Jahre hinein, hat es so ausgesehen, als hätten Bräuche gar keinen so großen Stellenwert mehr. Unterdessen schlägt das Pendel wieder deutlich in die andere Richtung aus. Je vernetzter, komplexer, vielleicht auch virtueller unser Leben … geworden ist, umso gefragter scheinen größere und kleinere Rituale als Angelpunkte im Jahrestakt und im Lebenslauf.“ Es ist nicht leicht (und wahrscheinlich auch nicht nötig) Grenzen zwischen alten und neuen Bräuchen zu ziehen. Oft gibt es Vorläufer und ähnliche Erscheinungen, aber keine Kontinuitäten, wie bei Halloween. „Ob wirklich de Kelten herhalten müssen für die Erklärung des Boomfestes“ fragt ein umfangreiches Kapitel. Die naheliegendste Erklärung kommt aber nicht vor. Wie schon der Name „All Hallows Evening“ verrät, handelt es sich am Vorabend des Allerheiligenfestes um Relikte mittelalterlich-katholischen Jenseitsglaubens, in dem Seelenkulte und Jenseitsvorstellungen eine Rolle spielen. Eine ziemlich genau datierbare Braucherfindung ist hingegen das Simoni-Sägen in Feldkirchen (Kärnten). Auf einer Bergtour mit dem „Kreuzwirt“ Walter Scheiber kam Dechant Engelbert Hofer die Idee: „ Da könnte man doch eine Tradition einführen!“ Seither gibt es das „Simoni-Sageln“, einen familiär-sportlichen Wettkampf im Baumsägen rund um den Tag des Apostels und Holzfällerpatrons Simon (28. Oktober). Mit dem Fasselrutschen zum Leopoldifest, dem niederösterreichischen Landesfeiertag (15. November) schließt sich der Jahreskreis, der liturgisch richtig, mit dem Advent im ersten Band begonnen hat. Alle drei Bücher sind mit aktuellen Fotos reich illustriert, jedes Kapitel hat am Ende einen „Kasten“ mit den wichtigsten Informationen für Ausflügler (wo? wann? Kontaktadressen). „’Brauch’ habe ich wieder so großzügig wie nur möglich ausgelegt,“ schreibt Reinhard Kriechbaum, „denn es geht um mehr als in Lederhosen oder Dirndlkleidern im Kreis zu hüpfen. Gerade die urbane Lebensweise lässt Menschen neue Verhaltensweisen und damit neue Bräuche entwickeln, in denen sich auch die Pluralität unserer Gesellschaft niederschlägt.“