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Hertha Kratzer: Alles, was ich wollte, war Freiheit#

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Hertha Kratzer: Alles, was ich wollte, war Freiheit. Außergewöhnliche Österreicherinnen der Moderne. Verlag Styria, Wien 2015. 224 S., ill., € 26,90

"Wien um 1900" ist bekannt als kulturelles Zentrum mit Höchstleistungen der Kunst und Wissenschaft. Sigmund Freud analysierte, Arthur Schnitzler skizzierte Frauenleben. Noch herrschte die traditionelle Gesellschaftsordnung. Zur "Ersten Gesellschaft" zählte, wer mindestens 16 hochadelige Ahnen vorweisen konnte. Die "Zweite Gesellschaft" bestand aus Unternehmern, Offizieren, Bankiers und Künstlern, die der Kaiser in den Ritter- oder Freiherrenstand erhoben hatte. Für die Töchter beider Schichten galt als Ideal, "möglichst reich, möglichst vornehm und möglichst bald zu heiraten." Auch für wohlhabende Bürgerinnen kam Erwerbstätigkeit nicht infrage. Selbstbestimmtes Abweichen von den gängigen Normen war selten, kam aber doch vor. Die Germanistin Hertha Kratzer hat zehn Frauen ausgewählt, die damals Mut und Risikobereitschaft aufbrachten, nach ihren Wertvorstellungen zu leben. Die "außergewöhnlichen Österreicherinnen der Moderne", die sie in ihrem beruflichen und privaten Umfeld vorstellt, wurden zwischen 1845 und 1914 geboren. Die Autorin ordnet die - meist schillernden - Persönlichkeiten drei großen Kapiteln zu, denen sie jeweils einen zusammenfassenden Überblick voranstellt.

Über "Schauplatz Manege und Bühne" schreibt sie: "Der Wirkungskreis der Frau ist nicht die Bühne, weder die im Theater, noch die des öffentlichen Lebens, sondern das von Mauern begrenzte Haus. Wenn eine Frau die Privatheit des Hauses verlässt und sich der Öffentlichkeit darbietet, macht sie sich zum Projektionsobjekt bürgerlicher Sehnsüchte." Die folgenden Biografien schildern Henriette Willardt (1866-1923), die als Löwenbändigerin "Miss Senide" weltberühmt wurde, Tilla Durieux (1880-1971), eine der renommiertesten Schauspielerinnen ihrer Zeit, die Verwandlungskünstlerin Cilli Wang (1909-2005) und Hedy Lamarr (1914-2000), Hollywoodstar und Erfinderin einer Funkfernsteuerung für Torpedos. Miss Senide, Tochter einer Schaubudenbesitzerin im Wiener Prater, ertrotzte ihre Berufswahl, als sie sich in einen Löwenkäfig sperren ließ. Tilla Durieux musste aus Gründen der Familienehre einen Künstlernamen annehmen. Zunächst als "hässliche Diva" abgelehnt, erlebte sie ihren Durchbruch auf der Bühne bei Max Reinhardt in Berlin. Dieser urteilte später über einen anderen Star: "Hedy Kiesler ist das schönste Mädchen der Welt." Nachdem die Großbürgertochter in Europa durch den Film "Ekstase" einen Skandal verursacht hatte, startete sie als Hedy Lamarr in den USA eine neue Karriere. Die Bühnendarstellerin Cilli Wang entführte ihr Publikum "poetisch, karikierend, parodierend und humoristisch in eine Welt der Phantasie und des Traums".

Nora Kinsky (1888-1923) war eine Nichte der Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner, deren pazifistisches Engagement in der Familie nicht gerade geschätzt war. Komtesse Nora, die zehn Sprachen beherrschte, meldete sich im Ersten Weltkrieg zum Rotkreuzeinsatz, zuerst als Inspektorin, in den Wirren der Russischen Revolution als Krankenschwester. Wie die Schwedin Elsa Brändström, der "Engel von Sibirien", versuchte sie, die Bedingungen in den Lazaretten zu verbessern. Den konträren Frauentyp verkörperte die aus tristen Verhältnissen stammende Grazerin Angelika Rümelin (1845-1933), die als Schriftstellerin reüssierte. Sie ehelichte den Privatdozenten für deutsche Geschichte, Leopold von Sacher-Masoch. Er wurde zum Namensgeber des Masochismus und sie als "Venus im Pelz" berühmt-berüchtigt. Das dritte Porträt im Kapitel "Emanzipation und Extravaganz" ist Frida Strindberg-Uhl (1872-1943) gewidmet und "eine unschickliche Person" übertitelt. Die Journalistin war die zweite von drei Ehefrauen des schwedischen Schriftstellers August Strindberg. Die Gliederung des sonst lesenswerten Buches ist schwer nachvollziehbar. So wenig die adelige Rotkreuzschwester zu den beiden anderen Damen passt, so wirkt auch die Zusammenstellung der letzten drei willkürlich.

Bertha Eckstein-Diener (1874-1948) publizierte als Weltreisende unter dem Pseudonym "Sir Galahad". Als Romanautorin erfolgreich, verlief ihr Privatleben katastrophal. Helene von Druskowitz (1856-1918) studierte in Zürich, was an der Universität Wien noch nicht möglich war. Österreich war neben Preußen das letzte Land Europas, das Frauen den Zugang zum Studium erlaubte. Als zweite Frau - und erste Österreicherin - schloss sie 1878 das geisteswissenschaftliche Studium mit dem Doktortitel ab. Trotz ihrer "magna cum laude" absolvierten Prüfungen blieb ihr die wissenschaftliche Karriere versagt. 35-jährig wurde die Philosophin in ein Irrenhaus eingeliefert. Sie starb mit 62 Jahren in Mauer-Öhling, Niederösterreich. In Europas damals modernster Anstalt dieser Art durfte sie zumindest weiter publizieren. Die Bewertung ihrer Persönlichkeit schwankt zwischen "abnorm" und "genial". Über jeden Zweifel erhaben ist die letzte Biographie, Gabriele Possanner von Ehrenthal (1860-1940). Das Mädchen musste die "Maturitätsprüfung" als Externistin ablegen. Anders als ihre männlichen Kollegen berechtigte sie der Erfolg aber nicht zum Besuch der Universität. Sie studierte in der Schweiz, wo man die Wiener Prüfungen teilweise nicht anerkannte. Trotz deren Wiederholung schaffte sie den Studienabschluss in kurzer Zeit und mit Bestnoten. Zurück in Wien, wurde ihrem Antrag um Nostrifizierung nicht stattgegeben. Sie wandte sich an den Kaiser, der fünf Minister, vier Rektoren und vier Dekane mit dem "Fall Possanner" beschäftigte. 1897 fand die Promotion der inzwischen 37-jährigen Ärztin statt. Sie eröffnete umgehend ihre Ordination im 9. Wiener Gemeindebezirk. Eine Gedenktafel am Haus Alser Straße 26 und eine Gasse in Hietzing erinnern an die "unbeirrbare Pionierin".