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Peter Reichert - Linde Prelog: Wiener Mischung#

Bild 'Reichert'

Peter Reichert - Linde Prelog: Wiener Mischung. Verlag Anton Pustet, Salzburg 2016. 160 S., ill., € 34,-

Viennensia gibt es sonder Zahl, sogar die ganz guten landen binnen Jahresfrist unbarmherzig im Ramsch. Und doch erscheinen immer wieder neue Wien-Bücher. Das erfordert nicht nur Mut zum Risiko, sondern auch Kreativität. Mit der "Wiener Mischung" könnte dem Pustet-Verlag eine erfolgversprechende Alternative gelingen Das Salzburger Verlagshaus hat schon mit mehreren edlen Bänden bewiesen, dass "ein Bild mehr sagt, als 1000 Worte". Etwa über die Fünzigerjahre, Würstelstände oder Museumsdepots.

Diesmal ist es Peter Reichert, ein Wahlwiener, der hier als Fotograf wirkt. Der Schweizer ist ein vielseitiger Künstler: aufgewachsen in Zürich, arbeitete er nach der Ausbildung an der Kunstgewerbeschule in verschiedenen Werbeagenturen. Danach absolvierte er ein Musikstudium und unterrichtete Orgelspiel an der Musikhochschule Winterthur/Zürich. Seit 2013 lebt und arbeitet Peter Reichert als freier Fotograf in Wien. Die Ästhetik seiner Schwarz-Weiß-Bilder erinnert an die in den Nachkriegsjahren gegründete, legendäre Fotoagentur Magnum. Dazwischen liegt mehr als ein halbes Jahrhundert. Die Technik hat sich rasant verändert, ebenso die Städte. Mehr als 100 narrative Impressionen wurden für dieses Buch gekonnt zusammengestellt. Viele sind nicht typisch für Wien, man könnte Ähnliches in jeder Großstadt finden. Viele wirken wie Momentaufnahmen, aber man ahnt, dass der Fotokünstler lange auf den richtigen Moment zum Auslösen gewartet hat. Schnee und Regen schrecken den Reporter nicht von den Streifzügen mit seiner Leica ab. Im Gegenteil, er nützt sie für besondere Effekte. Viele seiner eindrucksvollen Kompositionen leben von Licht und Schatten. Viele zeigen auch die Schattenseiten der lebenswertesten Metropole der Welt: Leerstehende Geschäfte, verwahrloste Häuser, Graffiti. Spiegelungen, ob in Glasscheiben oder Pfützen, lassen das Gewohnte vielschichtig erscheinen. Ungewöhnliche Perspektiven und effektvoll gewählte Ausschnitte verfremden das Alltägliche. Tramwaygleise, U-Bahnbauten, Straßenbeläge, Fassaden, Schaufenster wirken plötzlich interessant. Es braucht den Blick des Fotokünstlers und sein Know-how, Banalitäten zu etwas Besonderem zu machen. Auch Menschen kommen vor. Da blickt eine Frau im bodenlangen Mantel und Kopftuch an der Tramwaystation einer langhaarigen Hot Pants-Trägerin nach, ein kleines Kind stapft mutterseelenallein aus einer Unterführung, ein Pärchen wähnt sich, eng umschlungen, unbeobachtet. Doch dem Auge des Fotografen entgeht nichts, weder Hunde in einer Einkaufstasche, noch seltsame Schaufenster und Aufschriften, noch die allgegenwärtige Werbung. Moderne Architektur, Sehenswürdigkeiten und Denkmäler finden sich auf experimentelle Weise ins Bild gesetzt, wie Praterattraktionen, Karlskirche und Stephansdom. Wer den Brunnen auf dem Maria-Theresien-Platz fotografieren will, würde normalerweise hoffen, dass die alte Dame im Hintergrund bald weitergeht. Hier aber betritt sie das Bild nicht unbefugt, der "Störfaktor" wird zum eigentlichen Motiv und es ist ihr sogar ein Gedicht gewidmet.

Für die "dichterisch fabulierten Textbeigaben" sorgt Linde Prelog, auch sie Wahlwienerin. Die Schauspielerin, Sängerin und Autorin aus der Steiermark gestaltet Monologe, Dialoge, Wortspiele oder Schüttelsprachliches: "Von manch Motive inspiriert / ein Wortgebild daraus gebiert / und aus ein Foto rausen spricht / ein theatralisch Weaner Gschicht."