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Gregor J. Betz et al. (Hg.): Hybride Events#

Bild 'Hybride'

Gregor J. Betz, Ronald Hitzler , Arne Niederbacher, Lisa Schäfer (Hg.): Hybride Events. Zur Diskussion zeitgeistiger Veranstaltungen. Reihe: Erlebniswelten Springer Verlag / Verlag für Sozialwissenschaften Wiesbaden 2017. 340 S., ill., € 41,-

" Hybridität ist längst im alltäglichen Sprachgebrauch angekommen: Wir fahren mit Hybridelektroautos, züchten Pflanzenhybride im heimischen Garten und speichern unsere Daten auf Hybridfestplatten. Dabei ist der Begriff keine Neuschöpfung der Moderne, er ist jedoch in neuerer Zeit eine beliebte Bezeichnung für technische Produkte und Thema vieler Debatten, auch in den Sozialwissenschaften."

Rund 30 VertreterInnen unterschiedlicher Sozialwissenschaften diskutierten 2016 in Dortmund über "zeitgeistige Veranstaltungen". Während man sonst meist lange warten muss, um Symposionsbeiträge nachlesen zu können, ist dieser Tagungsband erfreulich rasch erschienen. Religiöse Feste mit populärkulturellen Elementen, durch kommerzielle Interessen überlagerte Jugendevents, von Medienlogik dominierte Vor-Ort-Ereignisse, aus verschiedenen religiösen oder Kulturtraditionen heraus 'zusammengebastelte' Feste, als Protest und Vergnügen gleichermaßen konzipierte kollektive Ereignisse, die zu Bildungs- oder Vermarktungszwecken vollzogene Anreicherung hochkultureller Inhalte mit populärkulturellen Elementen… Die Liste an Beispielen für inszenierte Veranstaltungen ist lang.

Einleitend geben die HerausgeberInnen einen Definitionsvorschlag für Hybride Events: "Als inszeniert bezeichnen wir Ereignisse, die stattfinden, weil jemand (ein Individuum, eine Gruppe, eine Organisation) mit Gestaltungsabsichten dafür Sorge trägt, dass sie stattfinden. Als Events bezeichnen wir inszenierte Ereignisse, welche den daran Teilnehmenden außergewöhnliche, räumlich und/oder zeitlich verdichtete Erlebnisse (oft unter relativ Gleichgesinnten) versprechen. Als eventisiert bezeichnen wir inszenierte Ereignisse, wenn das, worum es dabei 'wesentlich' geht, mit Unterhaltungselementen angereichert ist. Als hybrid bezeichnen wir solche Events, die ... aus augenfälligen Kombinationen mindestens zweier Arten von Ereignissen bestehen, die als verschiedenen kulturellen Bereichen zugehörig angesehen werden (z.B. Fest und Feier, Ernst und Spaß, Information und Unterhaltung, Action und Comedy, Wissenschaft und Sport usw.). " (Bei näherer Betrachtung hat man es eigentlich meistens mit Hybriden Events zu tun, eine Beobachtung, die ebenso auf mehr oder minder traditionelle Bräuche zutrifft, z.B. Kirtag: ein religiöser Anlass wird von Unterhaltungs- und Geschäftsinteressen überlagert. Auch Bräuche sind flexibel, nehmen neue Elemente auf und vernachlässigen alte.)

Ein weiterer Definitionsvorschlag kommt von Manfred Prisching, Univ. Prof. für Soziologie an der Universität Graz. Er betont die "Irritation", welche die Selbstverständlichkeit der wahrgenommenen Lebenswelt durchbricht. Dies geschieht, wenn nicht Zusammengehörendes verbunden wird. Die AutorInnen analysieren eine Fülle von Veranstaltungen, wo dies der Fall ist oder war - in westeuropäischen Ländern ebenso wie im ehemaligen Ostblock. So war der sozialistische "Jugendstaffellauf" für mehr als vier Jahrzehnte eine Massenbewegung in Titos Jugoslawien. Er hatte viel mit dem Personenkult um den Staatsführer zu tun und fand ursprünglich an dessen Geburtstag statt. Nach seinem Tod wurde das Ritual, inzwischen mehrfach mit popkulturellen Elementen angereichert und der Logik von Fernsehübertragungen angepasst, noch einige Male durchgeführt. Es endete wenige Jahre vor dem Zerfall Jugoslawiens in Teilrepubliken.

Nicht nur die Organisatoren politischer Events nahmen Anleihen beim Karneval, Volksfesten, Sportveranstaltungen oder Popfestivals. Ganz aktuell ist dies beim Reformationsjubiläum 2017, bei dem sich die evangelische Kirche in Deutschland Begleitung durch eine Eventagentur sicherte. Zum Auftakt der Bundesligasaison 2016/17 feierten Fußballfans, teilweise mit ihren vom Sportplatz gewohnten Ritualen, in Dortmund einen ökumenischen Gottesdienst. In Genf begingen die Anhänger einer Sufi-Bruderschaft den Besuch ihres hochrangigen Vertreters aus Senegal mit - nicht nur - religiösen Veranstaltungen: "Die Kombination von säkularen, politischen und sozialen Elementen ist ebenso hybrid wie auch die situationsspezifischen Erfahrungen der Verwirrung, die mit speziellen Entwicklungen im translokalen Migrationskontext einhergehen."

Um die Verwirrung, die Irritation, geht es dem Grazer Soziologieprofessor Manfred Prisching im - von vielen AutorInnen zitierten - Einleitungsstatement. Sein Beitrag im Sammelband beschäftigt sich mit der rituellen Bewältigung schrecklicher Ereignisse, denn auch diese zählen aus der Forscherperspektive zu den Hybriden Events. "Der vergnügte Protest ist die helle Seite der Hybridität. Die dunkle Seite stellen Ereignisse dar, in denen es um Gewalt und Terror, um Leid und Tod geht." Mit einem solchen, einer Amokfahrt in der Fußgeherzone, sah sich die Stadt Graz im Juni 2015 konfrontiert. Ein 26-jähriger Österreicher bosnischer Herkunft tötete mit seinem Geländewagen vier Menschen und verletzte mehr als 30 schwer. Über den Katastrophenalarm, Institutionen und den Einsatz von Freiwilligenorganisationen wurde ein positives Resümee gezogen. Doch "Graz verfiel in den Tagen nach dem Attentat (spürbar) in eine gewisse 'Stille'. Es bestand der Bedarf, das Ereignis zu bearbeiten und zu verarbeiten. Dazu sind ritualistische Elemente unabdingbar", stellt der Autor fest und nennt das bewährte Ritualrepertoire, wie religiöse Rituale, öffentliche Trauer, Solidaritätskundgebungen, Deponieren von Kerzen, Blumen, Gegenständen und Aufschriften an temporären Gedenkstätten. Manfred Prisching analysiert auch die Reportageroutinen und das Abschlussritual. " Die Konfrontation mit Leid, Tod und Gewalt braucht ein bestimmtes Muster: von der Trauer zur Hoffnung, vom Entsetzen zum Alltag. Am Ende muss die Botschaft des Weiterlebens und Weitermachens stehen …" Es war klug vom steirischen Landeshauptmann, den Soziologieprofessor als Ghostwriter für seine Trauerrede zu engagieren - und mutig von diesem, die Rede und ihren Hintergrund hier zu referieren. Hinter den rund 15 Sätzen stehen komplexe Überlegungen. Der positive Schlussakkord: aus dem Schicksalsschlag Kraft schöpfen, aus der Reaktion auf die Gewalttat Stärke ableiten. Die Trauerarbeit wird mit einem konstruktiven Blick in die Zukunft abgeschlossen: "Graz ist eine weltoffene Stadt, die Steiermark ein weltoffenes Land - und so soll es bleiben."