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Peter Autengruber: Die Wiener Kleingärten#

Bild 'Autengruber'

Peter Autengruber: Die Wiener Kleingärten. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Promedia Verlag Wien, 2018. 224 S., ill., € 19,90

In Österreich bestehen auf ca. 10 km² (das ist etwas weniger als die Fläche des 17. Wiener Gemeindebezirks, Hernals) fast 40.000 Kleingärten, zwei Drittel davon in Wien. Um 1900 mit sozialer Zielsetzung gegründet, schätzt man sie heute als "grüne Lungen der Stadt". Die Pachtgründe waren klein (ab 200 m²), die Gartenhütten bescheiden. Nach einem Jahrhundert erkannte die Gemeinde Wien den Wert als Erholungsgebiete, lockerte die Bauvorschriften und erlaubte die ganzjährige Benützung. So ließen sich billige Wohnmöglichkeiten in den "Schrebergärten" schaffen. Außerdem erfüllen diese eine Reihe anderer Funktionen: biologisch- ökologisch, Erholung, Kommunikation, kulturelle Aktivitäten, Hobbygärtnern, Tierzucht…

In Wien bestehen fast 250 Vereine, deren jeweilige Mitgliederzahl zwischen acht und mehr als 800 liegt. Bis vor kurzem gab es keine aktuell gültige Übersicht über das Wiener Kleingartenwesen. Diese Lücke hat nun Peter Autengruber geschlossen. Der Autor - sein Standardwerk "Wiener Straßennamen" erreichte bisher 9 Auflagen - und Universitätslektor ist zudem Funktionär in einem Wiener Kleingartenverein. So hat er seine jüngste Publikation mit viel Fachkenntnis und Insiderwissen umfassend geschrieben.

Der Historiker beginnt die systematische Abhandlung mit den "Vorformen" der Kleingärten. Diese waren im England des 18. Jahrhunderts "allotment" genannte Landparzellen, die Ortsarmen durften sie für sich bewirtschaften. In Deutschland überließ Landgraf Karl von Hessen (1744-1836) einen Teil seiner Güter den Bewohnern. Nach dem Orthopäden Daniel Gottlob Moritz Schreber (1808-1861) haben die Gärten, die so vielen Menschen Erholung und Freude bringen, nur den Namen erhalten. Er selbst war für seine sadistischen, angeblich gesunden, Erziehungsmethoden und Apparaturen (wie Bettriemen oder Kinnbinden) bekannt. Die eigenen fünf Kinder litten so sehr unter seiner "schwarzen Pädagogik", dass ein Sohn Suizid verübte und ein anderer viele Jahre in Psychiatrischen Anstalten verbringen musste, wo er in geistiger Umnachtung starb. Trotzdem nannte ein fortschrittlicher Leipziger Schuldirektor, dessen Verein einen Kinderspielplatz betrieb, diesen "Schreberverein". Sein Nachfolger legte auf dem "Schreberplatz" Beete an, aus denen bald kleine, eingezäunte Gärten wurden.

In Wien engagierte sich zunächst der Naturheilverein für die Kleingartenidee, zunehmend auch die Arbeiterschaft. 1904 entstand die erste "Kolonie" in Purkersdorf, fünf Jahre später konstituierte sich der "Schrebergartenverein". 1910 vergab er die ersten der maximal 600 m² großen Parzellen. Im Ersten Weltkrieg halfen Kleingärten und Kriegsgemüsegärten, durch Kleintierzucht, Obst- und Gemüsebau bei der Lebensmittelversorgung. In der Zwischenkriegszeit stiegen Zahl und Fläche der Kleingärten sprunghaft an - von 500 Gärten auf 15 ha im Jahr 1914 auf 30.000 mit 900 ha 1921. Oft handelte es sich um "wilde Siedlungen" im Wald- und Wiesengürtel, die von der Stadt Wien toleriert wurden. Noch nach dem Zweiten Weltkrieg blieben die Nutzgärten wichtig. 1953 zählte man 1 Mio. Bäume, die 16.000 t Obst lieferten. Doch wurde das Hobbygärtnern immer wichtiger. Im Juni begingen die Kleingärtner einen "Tag der Blume", feierten Feste und prämiierten die schönsten Gärten. In den 1960er und 1970er Jahren verringerte sich die Zahl der Anlagen um mehr als ein Viertel, ehe ab den 1980ern mit dem Aufkommen der Grünbewegung ein Umdenken einsetzte. Die Erholungsfunktion und ganzjähriges Wohnen (seit der Gesetzesnovelle 1992) rückten in den Mittelpunkt des Interesses. Die Möglichkeit, den Pachtgarten im Eigentum zu erwerben, veränderte die Sozialstruktur: "Der Kleingarten wandelte sich vom 'Arbeitergarten' zum 'Mittelstandsgarten'. … KleingärtnerInnen werden heute als privilegiert eingeschätzt", beobachtet der Autor.

Er beleuchtet viele Aspekte, wie "Gesetzliche Regelungen", "die Funktion der Schutzhäuser im Wandel der Zeit", "Verschwundene Kleingärten", "Bedeutung des Kleingartens für die Allgemeinheit" oder "Verbandswesen". Der dritte Teil bringt ausgewählte Vereinsgeschichten aufgrund von Gesprächen mit Funktionären. Das Buch ist durchgehend illustriert, für den Farbteil hat vor allem der Autor zur Kamera gegriffen. So entsteht ein bunter Kosmos aus Idyllen und Badeparadiesen, Diplomurkunden und Verbotstafeln, alten Hütten und Architektenhäusern, Gartenzwerg und Viktor-Adler-Büste … wie ihn nur die kleinen Gärten der großen Stadt bieten können.