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Günther Jontes: Historische Wege zur Nahrungskultur der Gegenwart #

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Günther Jontes: Historische Wege zur Nahrungskultur der Gegenwart. Plattform Verlag Perchtoldsdorf. 354 S., ill. € 26,90

"Essen und Trinken gehören neben Kleidung, dem Dach über dem Kopf, sowie sozialer Bindung zu den elementaren und vitalen Bedürfnissen des Menschen. Diese Grundelemente stehen seit der Menschwerdung im Vordergrund jeder Kultur", schreibt der Grazer Volkskunde-Professor und langjährige Leiter des Museums der Stadt Leoben, Günther Jontes. Der Vielseitigkeit seines Faches, der Europäischen Ethnologie, verpflichtet, grenzt er das Thema "Essen und Trinken" nicht auf Räume und Epochen ein, sondern stellt es in weitläufigen soziokulturellen und historischen Zusammenhängen dar.

Neun große Kapitel lassen keinen Aspekt aus. Das erste, "Essen und Trinken als Kulturelemente", beschäftigt sich ebenso mit den "Alternativen Pflanze oder Fleisch", wie mit regionaler und exotischer Küche, Tischsitten, Speisenkarten oder Trinkgeld. Vom Mahl - Essen in einem rituellen Rahmen - hat sich "der mobile Esser" weit entfernt. Nahrungsaufnahme beim Gehen, Fahren oder Fliegen ist alltäglich geworden. Dem Kochen als Kulturtechnik widmet sich der dritte Abschnitt, der von Homers Schilderung der Küche bis zum Fastfood reicht. Der Autor würzt sein opulentes Menü mit Meinung und Kritik, etwa an den Unmengen von Verpackungsmaterial, mit dem die schnellen und mobilen Esser die Umwelt belasten.

Die Nahrungsvolkskunde ist ein traditioneller Forschungszweig, doch kaum noch so umfassend und detailreich dargestellt worden, wie in diesem Buch. Essbesteck und Geschirr - von den Fingern bis zum edlen Porzellan - haben eine wechselvolle Geschichte. Nicht anders verhält es sich mit den exemplarisch ausgewählten Lebensmitteln Butter, Kartoffeln, Geflügel, Fleisch und Fisch. Die Kartoffel (auch Erdapfel, Grundbirne oder Brandenburger genannt) beschrieb der Botaniker Carolus Clusius 1588. Bis zur ersten Erwähnung in einem Österreichischen Kochrezept verging ein Jahrhundert. Erst zur Maria Theresianischen Zeit begann der feldmäßige Anbau, der große Veränderungen bewirkte.

Das nächste Kapitel beschäftigt sich mit alkoholischen Getränken. Met war das älteste, dann kam schon Bier. Frühe Bildquellen zeigen dessen Herstellung und Vertrieb, wie überhaupt viele historische Darstellungen und aktuelle Fotos des Autors wertvolle Illustrationen bilden. Wein und Branntwein dürfen nicht fehlen. Die Trinkkultur der Antike spiegelt sich in einem Bonmot Plinius d. Ä. aus dem ersten Jahrhundert: "Der Mensch ist von allen Lebewesen das einzige, das trinkt, ohne Durst zu haben."

Von der flüssigen geht es wieder zurück zur festen - pflanzlichen - Nahrung, zu Gemüse, Obst, Getreide. und Gewürzen. Etwas überraschend findet sich die Würdigung der Kochbücher, "vom antiken Apicius zur seligen Prato" in diesem Kapitel. Ob der Feinschmecker Apicius Autor oder Auftraggeber des römischen Kochbuchs war, bleibt ungeklärt. Bekannt ist bis heute die kulinarische Bestsellerautorin Katharina Prato, geb. Polt, deren "Süddeutsche Küche" erstmals 1858 in Graz erschien. Sie hoffte, durch spezielle Rezepte das Magenleiden ihres Ehemanns Eduard Pratobevera (daher ihr Pseudonym Prato) zu lindern. Doch der Archivleiter am Joanneum verstarb bald. Ihren zweiten Gatten, den Postdirektor Josef von Scheiger, begleitete sie auf seinen Dienstreisen durch die Steiermark und Kärnten, wobei sie Kochrezepte aus Gasthäusern sammelte. "Die Prato" erreichte rund 80 Auflagen mit einer Million Exemplaren und wurde in 16 Sprachen übersetzt "Das begehrte Unnotwendige" stellt die Genussmittel Kaffee, Tee und Kakao (samt Schokolade) vor. Doch nicht überall handelt es sich bei diesen Pflanzenprodukten um reine Genussmittel. "Bö-cha - Tee als Nahrungsmittel" erlärt die tibetische Teekultur. Nomaden und Mönche versetzen Blätter, Zweig- und Rindenstücke mit Salz und Butter, um eine kalorienreiche und wärmende Suppe zu gewinnen. In den Klöstern wird diese in Riesenkesseln aus Bronze gekocht. Übrigens beauftragte die Tibetische Regierung die Forscher Peter Aufschnaiter und Heinrich Harrer, die Pflanzung von schnell wachsenden Bäumen zu organisieren, um für genügend Brennstoff zu sorgen. Die Österreicher ließen Pappeln setzen. Das letzte Kapitel "Vom Leben zum Überleben" stellt Methoden der Haltbarmachung vor, wie Trocknen, Räuchern, Erhitzen, Gefrieren und das Lagern in Konservendosen.

Das jüngste Buch des weit gereisten und produktiven Autors - Günther Jontes verfasste bisher 65 Einzeltitel, über 250 weitere Publikationen und mehr als 150 umfangreiche Beiträge für das Austria-Forum - ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Es entstand zunächst in digitaler Form für das Austria-Forum und erschien erst danach als gedrucktes Buch (normalerweise ist es umgekehrt). In beiden Medien bewegt sich die Lektüre zwischen Wissenschaft, Meinung, angenehmer Lesbarkeit und bebilderter Verständlichkeit.

Bericht von Helga Maria Wolf

Siehe auch:
Buchsensation
Web-Book