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Alfred J. Noll: Wie das Recht in die Welt kommt#

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Alfred J. Noll: Wie das Recht in die Welt kommt. Von den Anfängen bis zur Entstehung der Städte. Edition Konturen Wien - Hamburg. 272 S., € 29,80

"Wir wissen wenig. Was auf griechischem Boden vor dem mykenischen Königtum (etwa 16. bis 11. Jahrhundert v. Chr.) war, das ist nicht gesichert. Steine, nichts als Steine. Sie sagen uns einiges. Über das Recht sagen sie uns (fast) nichts." So beginnt der Rechtsanwalt und Nationalratsabgeordnete Univ. Prof. Dr. Alfred J. Noll seinen großen Essay über Recht und Gesetz. Trotzdem gelingt ihm in zehn Kapiteln eine eindrucksvolle historische Darstellung. Sie beginnt bei den antiken Philosophen Platon (427-347 v. Chr.) und Aristoteles (384-322 v. Chr.) Platon bemühte sich sein Leben lang um die "besten Gesetze". Der Autor stellt die Frage: "Was aber sind die besten Gesetze?". Aristoteles hatte den Bürger der polis vor Augen. Der Philosoph unterschied drei Klassen von Bürgern: sehr reiche, sehr arme und "Mittelexistenzen". Er bevorzugte die Gemäßigten, "denn wo der Mittelstand zahlreich ist, da entstehen am wenigsten Aufstände und Streitigkeiten zwischen den Bürgern" . Alfred Noll meint, Platon und Aristoteles könnten heute keine Richtschnur mehr sein, es fehlten die verbindlichen Ideale und die Instanzen, die diese definierten. Wie ein roter Faden zieht sich durch das Buch die Erkenntnis, dass es kein für alle Gesellschaften ewig gültiges Recht geben kann.

Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit dem "notwendigen Minimalrepertoire". Auch hier ist man auf Vermutungen angewiesen. Der Autor blickt 40.000 Jahre, in das Jungpaläolithikum mit der Herausbildung des Homo sapiens, zurück. Damals lebten die Menschen als nomadische Jäger und Sammler. Weil die Wildbeuter viel unterwegs waren, musste sich ihr Hab und Gut auf das Notwendigste beschränken. 25 bis 50 (verwandte) Personen bildeten eine Gruppe. "Das Jetzt ist ihnen wichtig, das Gestern und das Morgen kommen ihnen kaum in den Sinn. … Die Wildbeuter kennen kein Recht … Ohne Recht kein Unrecht". Die soziale Kontrolle durch die Gruppenmitglieder, gemeinsame Gewohnheiten, Zeichen der Missbilligung und Gewalt scheinen zur Regelung des Zusammenlebens zu genügen. Das änderte sich mit der Sesshaftwerdung: "Die Landwirtschaft bringt das Recht auf den Weg." Mit der neolithischen landwirtschaftlichen Revolution stieg die Arbeitsbelastung, Überschüsse wurden getauscht, Eliten entstanden, Traditionen wurden fragwürdig, "Sitte und Brauch" verloren an Bedeutung. Die Verhältnisse wurden immer komplexer, man benötigte neue Regeln des Zusammenlebens und der Strafen. Im 4. vorchristlichen Jahrtausend entstanden in Mesopotamien die ersten Stadtstaaten. Staaten brauchen ein Territorium und einen Herrscher als Gesetzgeber. Das älteste Gesetz der Weltgeschichte ist der um 2100 v. Chr. in sumerischer Sprache abgefasste Codex Ur-Nammu, von dem Tontafeln mit Fragmenten von Abschriften erhalten blieben. Vollständig vorhanden ist hingegen der "Codex Hammurabi" um 1760 v. Chr. Gerechtigkeit sollte durch harte Strafen hergestellt werden: "Auge um Auge, Zahn um Zahn."

Wie das römische Zwölftafelgesetz des Jahres 449 v. Chr. entstand, "wissen wir nicht". Wie so oft mischen sich Mythen und Erfindungen. Das römische Recht lebte noch lange weiter. Ebenso das byzantinische Rechtsdenken nach dem Fall von Byzanz. Die nachjustinianische Entwicklung war vom Widerstreit antiker und christlicher Konzepte bzw. der Lebensrealität und ethischer Forderungen gekennzeichnet. "Die Germanen haben keine geschriebenen Gesetze. Rechtsnormen und was sonst noch gelten soll, wird bei ihnen ausschließlich in mündlicher Form überliefert. " Zahlreiche Rechtssprichwörter dienten der Vermittlung und Erinnerung, wie: "Wer zuerst kommt, mahlt zuerst". Die "Volksrechte" (leges) galten jeweils nur für einen Stammesverband. Vom 5. bis zum Anfang des 9. Jahrhunderts ließen sie die Könige in lateinischer Sprache aufzeichnen. Für Angehörige verschiedener Stände galt verschiedenes Recht. Mit dem "Sachsenspiegel" (zwischen 1221 und 1224) verfasste Eike von Repgow ein Rechtshandbuch zuerst in lateinischer, dann in deutscher Sprache. Obwohl er erkannte, dass es in der Bibel keine Leibeigenschaft gibt, folgte er dem vermeintlich gottgewollten Ordo der gesellschaftlichen Hierarchie seiner Zeit. Ihn beschäftigen bäuerliche Rechtsverhältnisse und das Verhalten der Feudalherren untereinander. Geistliches und weltliches Recht sollten einander nicht unversöhnlich gegenüberstehen.

Im 11./12. Jahrhundert siegte die Urbanisierung über die Agrikultur. Für den neuen Stand der Stadtbürger genügte das alte Gewohnheitsrecht nicht mehr. Zünfte reglementierten das Wirtschaftsleben. Stadtrechtsbücher - wie das Wiener "Eisenbuch" aus 1320 - regelten das Recht der Kaufleute. Der mittelalterliche Stadtbürger war ein anderer Typ als die Menschen vor den Mauern. Obwohl es hieß "Stadtluft macht frei", bestand doch auch hier große soziale Ungleichheit. Der Autor referiert ausführlich den Sonderfall des von Erzbischöfen regierten Salzburg mit dem großen Bauernkrieg von 1525/26 und der "Protestantenfrage".

Das nächste Kapitel führt an die Schwelle des Spätmittelalters. Friedrich II. (1194-1250), der letzte Kaiser aus dem Adelsgeschlecht der Staufer, errichtete in Sizilien und Unteritalien einen säkularen Staat. "Er antizipiert damit die Prinzipien des Absolutismus … Der Kaiser erlässt ein neues Gesetz, mit dem er den Schwachen zu Hilfe kommen will (und) ordnet das gesamte Gerichtswesen neu. … Dennoch betritt Friedrich II. die mittelalterliche Bühne zu früh. Es gibt noch keine dauerhafte Rolle für eine Gestalt wie ihn, " analysiert Alfred Noll. Schließlich kommt er zu den Menschenrechten. Wenig aufbauend lesen sich da Zitate des Staatsphilosophen Niccolo Macchiavelli (1469-1527): "Da das Volk unter den Gesetzen leben will und die Mächtigen an den Gesetzen befehlen wollen, so können sie unmöglich miteinander auskommen." Der Autor schließt den 1. Band (ein zweiter über die Neuzeit ist geplant) mit den Sätzen: "Macchiavelli hat im 'Il Principe' gelegentlich darauf hingewiesen, dass zugrunde geht, wer unter unmoralisch handelnden Mensche moralisch handelt. Wer aber geht zugrunde, wenn die Herrschenden amoralisch handeln? Wenn die Machtlosen den Mächtigen nicht an den Kragen zu gehen wagen, werden sie machtlos bleiben - und rechtlos ohnedies."