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Hubert Nowak: Ein österreichisches Jahrhundert#

Bild 'Nowak Österreich'

Hubert Nowak: Ein österreichisches Jahrhundert. 1918 - 2018. Molden Verlag Wien. 256 S., ill. € 27,90

"Die Gegenwart versteht man nur aus der Geschichte. Jede Entwicklung versteht man nur aus ihren Wurzeln. So trivial dies erscheint, so schwierig kann es sein. Alles hängt mit allem zusammen." So beginnt Hubert Nowak, langjähriger ORF-Innenpolitik-Redakteur, ZiB-Moderator und Salzburger Landesintendant sein Werk "Ein österreichisches Jahrhundert". Das Buch, das die Jahreszahlen 1918 und 2018 im Untertitel trägt, ist kurz vor Beginn des Jubiläumsjahres erschienen. In der Fülle der Publikationen zu diesem Anlass nimmt es einen besonderen Platz ein.

"Historiker haben vor allem die vergangenen Handlungsstränge im Blickfeld, Politiker oft nur die Zielvorstellung (und die nächste Wahl), Journalisten versuchen, die Gegenwart zu sezieren. Und schon zeigen sich wechselnde Gesichter. Alle drei Perspektiven zu vereinen, gelingt selten." Hubert Nowak ist es mit diesem Buch gelungen. Ausgewogen und angenehm zu lesen, verzichtet es auf den erhobenen Zeigefinder so vieler Zeitgeschichte-Abhandlungen.

"Am Anfang war das Ende" betitelt sich das erste Kapitel, das die gesellschaftlichen, ökonomischen, kulturellen und weltanschaulichen Umstände in den letzten Jahren der Monarchie schildert. Diese hatte Europa als einer der Big Player des damaligen Weltgeschehens mitgeprägt. Nach dem 1. Weltkrieg hieß es respektlos: "Der Rest ist Österreich". Im Ersten Weltkrieg verloren rund zehn Millionen Soldaten ihr Leben, die zivilen Opfer schätzt man auf 15 bis 21 Millionen Menschen. Ehe Kaiser Franz Joseph, 84-jährig, den folgenschweren Feldzug gegen die Serben anordnete, hatten die Habsburger Generationen lang regiert. Hubert Nowak bringt ein zehnseitiges Interview mit Enkel des letzten Kaisers, Karl Habsburg-Lothringen. Für ihn, der familienintern das Oberhaupt des Hauses Habsburg, ist die Funktion eines Monarchen kein erstrebenswerter Beruf. Das hatte er schon mehrfach betont. Hubert Nowak fragte ihn aber auch, welche Parallelen er von der Zeit vor 100 Jahren zu heute sieht. Die Antwort: "Ich sehe relativ viele Parallelitäten, aus denen wir eigentlich lernen müssten. … Und wenn man sich die Situation anschaut, dann sieht man, dass wir wieder Krisenherde haben und dass wieder die Idee eines großen Krieges … aus unserer Gedankenwelt entwichen ist." "Glauben Sie, dass so ein großes Risiko auch heute besteht?" "Ja!""

Insgesamt vier Persönlichkeiten hat der Autor im Jahr 2017 passend zu seinen Schwerpunktthemen interviewt. Zum Thema Verfassung war es der Jurist Franz Fiedler, ehemaliger Rechnungshof-Präsident und Vorsitzender des Österreichkonvents 2003 bis 2005. Damals bestand der politische Wunsch nach einer neuen Verfassung. Ob es noch eine Chance dafür gibt? "Nein, die gibt es mit Sicherheit nicht." Die politischen Parteien hatten die Beratungen über eine umfassende Verfassungsreform mit Elan begonnen. Je länger sie dauerten, umso mehr schwand die Begeisterung. Letztlich scheiterte das Projekt an Spannungen zwischen Bund und Ländern. "Föderalismus - Segen und Fluch" nennt sich das Kapitel über ein österreichisches Unikum. Hierzulande gibt es neben der gesetzlichen Bundesverfassung eine Realverfassung, dessen Gremium, die mächtige Landeshauptleutekonferenz, in der Bundesverfassung nicht vorgesehen ist.

Jedes Bundesland und auch die Republik haben ihre Symbole. "Symbole braucht das Volk" lautet der plakative Titel des Kapitels, in dem es um Hymnen, Wappen, den Nationalfeiertag, Kultur und Sportidole geht. "Die Mehrheit der Bevölkerung ist katholisch, aber der Vorsprung schmilzt seit Jahrzehnten", konstatiert der Autor. Zum Thema Religionen hat er Christoph Kardinal Schönborn befragt, der sehr vorsichtig antwortete. Etwa auf die Frage, ob das christliche Abendland in Gefahr sei: "Ich weiß nicht, ob es je ein wirklich christliches Abendland gegeben hat. Es hat sicher hervorragende Christen in diesem Abendland gegeben …" Zur Trennung von Staat und Religion argumentiert der Wiener Erzbischof mit einem Bibelzitat: "Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott was Gottes ist." - Ein Satz von historischer Tragweite, weil er vermutlich zum ersten Mal in der Geschichte eine Unterscheidung zwischen Politik und Religion ermöglicht.

Die Interviews ergänzen ebenso wie aussagekräftigen Illustrationen die 18 Kapitel des Buches. Es bietet keine "Perlenkette der Ereignisse" sondern erhellt die Entwicklung der dahinter stehenden Gedanken, Ideologien und Werthaltungen. Dazu zählen u. a. Übungsschritte in die Demokratie, Lagerdenken, Heer, Soziales, Ungerechtigkeiten, Skandale und schließlich Hoffnungen und Ängste. Zuvor kommt Heinz Fischer, 2004 bis 2016 Bundespräsident, zu Wort. Er bekennt sich zu einem "stillen Patriotismus" und teilt damit die Meinung von Bruno Kreisky. "Man darf und soll das eigene Land, die Heimat, lieben, aber man soll sich nicht gegenüber Nachbarn, anderen Nationen und anderen Kulturen überlegen fühlen." Heinz Fischer ist Koordinator der Bundesregierung für das Jubiläums- und Gedenkjahr 2018. Zum 100. Geburtstag der Republik meint er, diesen "in feierlicher Form wahrzunehmen, heiße "… sich mit der Geschichte der Republik Österreich kritisch, aber konstruktiv auseinanderzusetzen und auch einen Blick in die Zukunft zu versuchen." Hubert Nowak hat mit seinem Buch einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet.