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Johanna Rachinger (Hg.): Schatzkammer des Wissens#

Bild 'ÖNB'

Johanna Rachinger (Hg.): Schatzkammer des Wissens. 650 Jahre Österreichische Nationalbibliothek. Verlag Kremayr & Scheriau Wien 2018. 256 S. , ill., € 29,90

2018 feiert die Österreichische Nationalbibliothek (ÖNB) ihr 650-Jahr-Jubiläum. 1368 entstand ihr "Gründungscodex", das Evangeliar des Johannes von Troppau. Die reich illustrierte Handschrift mit dem goldenen Prachteinband wurde für Herzog Albrecht III. angefertigt. Damit markiert der Codex den Anfang der Jahrhunderte langen Sammeltätigkeit des Herrscherhauses und macht die ÖNB "zur ältesten der großen Weltbibliotheken". Bis in das 16. Jahrhundert waren die Bestände auf verschiedene Standorte verteilt. Das Troppauer Evangeliar hatte Friedrich III. seiner Stiftung Neukloster in Wiener Neustadt geschenkt, andere Objekte befanden sich beispielsweise in Ambras.

1558 beschloss Maximilian II. alle Bestände in Wien unterzubringen. So könnte man heuer zugleich das 460-Jahr-Jubiläum der Errichtung der Hofbibliothek feiern. Der holländische Jurist Hugo Blotius erstellte als erster Hofbibliothekar innerhalb eines Jahres einen Katalog mit 7379 Eintragungen. 1656 kam es durch den Erwerb der Bibliothek von Philipp Eduard Fugger zu einem Zuwachs von 15.000 Bänden. Nach dem Tod von Prinz Eugen von Savoyen, 1737, kaufte der Kaiser 15.000 Bücher aus dem Nachlass. Mit ihren, je nach Inhalt verschiedenfarbigen Lederrücken zählen sie zu den wertvollsten der 200.000 im Prunksaal aufgestellten Exemplare.

Dieser Saal bildet den überaus repräsentativen Mittelpunkt des Bibliotheksgebäudes, das Karl VI. 1722 beauftragte. Der Prunksaal nimmt die ganze Front des Josephsplatzes ein. Er ist rund 78 m lang, 14 m breit und 20 m hoch, die Kuppel erreicht 30 m. Daniel Gran hat sie mit Allegorien der Tugenden des Regenten ausgemalt. Die Marmorstatue des Kaisers erhebt sich in der Mitte darunter. Reiseschriftsteller des 18. Jahrhunderts konnten das Architekturjuwel nicht genug loben: "Dieser Saal gehört bestimmt zu den schönsten der Welt. Man wird mit einer Art von Staunen befallen, wenn man hineintritt." Heute befinden sich historische Vitrinen im Prunksaal. Für die Jubliäumsausstellung (26.1. 2018 - 13.1. 2019) enthalten sie einen Querschnitt von Kostbarkeiten, wie Handschriften und Frühdrucke, Papyri, Musiknoten, Landkarten, Fotos und Grafiken. Das Buch stellt die Objekte im Anhang vor.

In sechs Kapiteln widmet es sich chronologisch der "Schatzkammer des Wissens" und ihren Spezialsammlungen, unter den mehr als 10 Millionen Objekten sind (laut Wikipedia) rund 4 Millionen Bücher. Gemeinhin gilt die Erfindung des Buchdrucks um 1450 in Europa als epochale Medienrevolution. Der Beitrag von Konstanze Mittendorfer, Kustodin der Inkunabelsammlung macht auf die Gleichzeitigkeit von Handschrift und Buchdruck in den ersten zwei Jahrzehnten aufmerksam. Sie zeigt, dass die Texte mit beweglichen Bleilettern gesetzt und in schwarzer Farbe gedruckt wurden. Buchmaler besorgten die dekorative Ausstattung je nach Auftraggeber mehr oder weniger aufwändig. 1787 richtete die Hofbibliothek für ihre 6.000 Wiegendrucke ein eigenes "Typographisches Cabinet" ein. Aktuell umfasst die Inkunabelsammlung 8.000 Exemplare, darunter die einzige Gutenbergbibel in Österreich.

Weitere Raritäten birgt die Kartensammlung, über die Elisabeth Zeilinger referiert Zwei absolute Spitzenobjekte sind in der UNESCO-Liste "Weltdokumentenerbe" enthalten: Die Tabula Peutingeriana, eine 7 m lange hochmittelalterliche, auf Pergament gezeichnete Karte des römischen Straßennetzes und der aus 50 Bänden bestehende Atlas Blaeu-Van der Hem, 1662-1678. Seit 2005 befinden sich die Kartensammlung und das Globenmuseum im Palais Mollard, Wien 1, Herrengasse 9. Um 1800 erweiterten sich die Sammelgebiete der Hofbibliothek, gefördert durch persönliches Interesse Franz II./I., auf Grafiken wie Landschaftsbilder, Portraits und botanische Darstellungen. Der Kaiser ließ eine Terrasse auf dem Flachdach des Augustinerganges aufbauen, wo er die Blumen eigenhändig betreute. Zur Dokumentation engagierte er einen "Hofbotanikmaler". Auch ließ der Kaiser Wachsnachbildungen von Pflanzen anfertigen und sogar ein wächsernes Abbild seiner früh verstorbenen Tochter Ludovika anfertigen.

Ebenfalls auf persönliches Interesse eines Mitglieds des Herrscherhauses geht die Papyrussammlung zurück. 1899 schenkte sie Erzherzog Rainer dem Kaiser Franz Joseph für die Hofbibliothek. Der Leiter des Papyrusmuseums, Bernhard Palme, schreibt über seine Sammlung, die mit mehr als 180.000 Objekten eine der größten ihrer Art ist. Weltweit haben sich schätzungsweise eine Million Papyri erhalten, doch nur drei Dutzend Experten beschäftigen sich damit. Die Texte beleuchten in einzigartiger Weise das Alltagsleben der Antike. Angesichts der Tatsache, dass trotz intensiver Forschung erst acht Prozent des Materials bearbeitet ist, wird "diese Quelle noch lange Zeit nicht versiegen" wird.

Die Musiksammlung der ÖNB geht auf Zeit des Präfekten Gottfried van Swieten um 1800 zurück. Der Musikliebhaber veranstaltete in seiner Dienstwohnung und im Prunksaal Konzerte, die u. a. Wolfgang Amadeus Mozart leitete. 1819 wurde Moritz Graf von Dietrichstein zum "Hofmusikgrafen" ernannt. Ihm unterstanden die Hofkapelle, die Hofkirchenmusik, die Sängerknaben und das Musikarchiv. Diesem galt seine "vorzügliche Rücksicht". Die Noten, die er vorfand, waren seit Jahrzehnten "in einem Mauerloche" verborgen, große Teile "auf höheren Befehl" dem Kunstfeuerwerker im Prater überlassen worden. Nach dem Ende der Ära Dietrichstein ebbte das Interesse an der Musiksammlung wieder ab, stellt deren Leiter Thomas Leibnitz fest. Erst 1906 erhielt dieser Teil der ÖNB einen Lesesaal und Depoträume. 2005 übersiedelte er - wie auch das Esperantomuseum - in das Palais Mollard.

Die jüngste Außenstelle ist das Literaturmuseum im ehemaligen k. k. Hofkammerarchiv. Sie wurde 2015 eröffnet, beschäftigt sich mit Gegenwartsliteratur und enthält das Arbeitszimmer des Dichters und Archivdirektors Franz Grillparzer. Museumsdirektor Bernhard Fetz verfasste den entsprechenden Artikel im Jubiläumsband. Dieser beschäftigt sich außer mit den Sammlungen mit Themen wie Katalogisierung, Besucherordnungen, Architekturprojekte, Zensur, Pflichtexemplare oder Restitution. Auch der Blick in die Zukunft darf nicht fehlen. Längst ist die ÖNB im digitalen Zeitalter angekommen. Sechsmal so viele (3,7 Millionen) BenutzerInnen besuchen jährlich die Webseite und Online-Portale der Bibliothek wie deren Räumlichkeiten. ANNO (Austrian Newspapers Online) bietet 20 Millionen Seiten digitalisierter historischer Tageszeitungen. Der urheberrechtsfreie Bestand der Bibliothek (600.000 Werke mit 200 Millionen Seiten) wird im Volltext durchsuchbar gemacht, viele Sammlungsbestände sind kostenlos abrufbar. Michaela Mayr, die Leiterin der digitalen Bibliothek, schreibt: "Laut einer Studie wird sich die globale Datenmenge alle zwei Jahre mehr als verdoppeln und das digitale Universum von 2013 bis 2020 um den Faktor zehn wachsen." Die Aufgaben der BibliothekarInnen werden sich verändern, aber die ÖNB ist in ihren Aufgaben Sammeln, Bewahren, Vermitteln, Dokumentieren und Forschen für die nächsten 650 Jahre gerüstet.