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Christian Teissl: „Man kommt sich vor wie in der Wüste …“#

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Christian Teissl: „Man kommt sich vor wie in der Wüste …“ Der langsame Abschied des Peter Rosegger. Styria Verlag Wien, Graz, Klagenfurt. 160 S., ill., € 22,00

Vor 100 Jahren, wenige Monate vor dem Ende des Ersten Weltkriegs, starb der Schriftsteller und Poet Peter Rosegger. Mit seinem Namen verbinden sich Vorurteile wie "Waldbauernbub", "Störschneiderlehrling", "Naturdichter" (wogegen er sich zeitlebens wehrte) oder "Gschichtelerzähler". Peter Rosegger verkörpert den traumhaften Aufstieg vom Alpler Bauern¬buben zum gefeierten Dichterfürsten. Generationenlang einer der bedeutendsten und meistgelesenen österreichischen Schriftsteller, erschien erst heuer eine seriöse Gesamtausgabe seines umfangreichen Werkes.

1869 veröffentlichte Rosegger erste Erzählungen. Stipendien ermöglichten ihm den Besuch der Grazer Akademie für Handel und Industrie und Studienreisen durch Europa. 1877 erzielte er mit "Waldheimat" - kurzen, anekdotisch-pointierten Geschichten aus seiner bäuerlichen Herkunftswelt - großen Erfolg. Die Schriften des Waldschulmeisters oder "Jakob der Letzte" machten ihn zum respektierten Romanschriftsteller. Seine Werke wurden in 28 Sprachen übersetzt. 1876 gründete Peter Rosegger die Monatszeitschrift "Heimgarten" und blieb 34 Jahre lang ihr Herausgeber. Darin äußerte er sich oft kritisch zu Themen der Politik, Religion, Pädagogik, Natur und Kultur. Dabei zeigte er sich den Reformbestrebungen seiner Zeit, wie Vegetarismus, Alternativmedizin oder Abstinenzbewegung aufgeschlossen. Mehrmals wurden Hefte u. a. wegen Gotteslästerung und Majestätsbeleidigung konfisziert. Die Auflage lag bei 4000 bis 5000 Exemplaren, zeitweise gab es in den USA englischsprachige Ausgaben. 1910 übernahm sein Sohn Hans Ludwig Rosegger die Redaktion. Der Heimgarten erschien bis 1935. Der Gründer und Herausgeber zog sich in seinem letzten Lebensjahrzehnt in der Rubrik "Heimgärtners Tagebuch" auf die Rolle des Autors zurück. Es war "ein Ausgedinge nach seiner Fasson, eine in ihrer formalen Offenheit ungemein reizvolle, Monat für Monat erweiterte Sammlung…", schreibt Christian Teissl.

Der Grazer Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Teissl hat Roseggers letzte Jahre unter die Lupe genommen. Er zeichnet das Bild eines asthmakranken, doch bis zuletzt tätigen Autors. Das Buch beginnt mit einem "Besuch aus Transleithanien". Der in Ungarn lebende Literaturprofessor Friedrich Lám verbrachte 1915 einen Kuraufenthalt in der Steiermark, wo er zuerst mit dem Werk, dann mit dem Dichter - in dessen Krieglacher Landhaus - Bekanntschaft schloss und später seine Werke ins Ungarische übersetzte.

"Zu dieser Zeit hat Rosegger längst den Nimbus einer sagenhaften Figur, gilt als unbestrittener Nestor der steirischen Dichtergilde, als König in seinem eigenen, mythischen Reich, in dem die Kindheit nicht zu Ende geht und das zwanzigste Jahrhundert noch nicht begonnen hat", schreibt Christian Teissl im Kapitel "Abenddämmerung". Diesen Titel trug Roseggers letztes, 1919 posthum erschienenes Buch, in dem er Rückschau auf sein Leben hielt. Man könnte Rosegger als Phänomen bezeichnen. Der Älteste von sieben Kindern eines Bergbauern, der Analphabet war, wurde dreifacher Ehrendoktor und Ehrenbürger, er war 1913 für den Literaturnobelpreis nominiert (den Rabindranath Tagore als erster Dichter aus Asien erhielt). Rosegger war gut "vernetzt". Zu seinem engeren Freundeskreis gehörten u. a. Ludwig Anzengruber, bedeutender Dramatiker des österreichischen Volksstücks, der Priester-Dichter Ottokar Kernstock und die seinerzeit populären Schriftsteller Robert Hamerling und Emil Ertl. Der Komponist Wilhelm Kienzl war ein langjähriger Weggefährte. Wie der Bildhauer Hans Brandstetter, der die Grazer Herz-Jesu-Kirche ausstattete, und der Literaturkritiker Ernst von Gnad zählte er zur Stammtischrunde in der Grazer Weinstube "Krug zum grünen Kranze". Die jüngeren Literaten Max Mell und Stefan Zweig verehrten den Meister. Der Dirigent und Komponist Bernhard Paumgartner wurde sein Schwiegersohn.

Rosegger hatte fünf Kinder. Seine erste Frau starb nach der Geburt des zweiten, das dritte war 16 Jahre jünger als der älteste Bruder. Die Söhne studieren (Medizin und Jus), die Töchter heirateten. Die ältere, Anna, dichtet heimlich, aber leugnete es. Der Vater meinte, "dass sie die Talentiertere von uns ist. Drucken lassen will die nichts." Hingegen übernahm der Sohn Hans Ludwig die Redaktion des "Heimgarten", der Sohn Sepp war Komponist, doch als solcher weniger erfolgreich als als Arzt. 1944 las man in der Grazer Tagespost einen Zweispalter "Glückwunsch des Führers für Dr. Sepp Rosegger". Zu dessen 70. Geburtstag schrieb Hitler "… ich gedenke hierbei auch Ihres Vaters, der dem deutschen Volke so viele wunderbare Dichtungen geschenkt hat."

Peter Roseggers Werk wurde vereinnahmt. Seine Romane enthalten keine antisemitischen Aussagen, in Erzählungen finden sich positiv gezeichnete jüdische Figuren. Dem Zeitgeist folgend, verfasste er allerdings im Ersten Weltkrieg nationalistische und kriegsfreundliche Texte, auch einen Aufruf zur Zeichnung von Kriegsanleihen. Im letzten Lebensjahr resignierte er: „Unsere Zeit straft die Irrtümer, die wir seit Jahren gemacht haben. Unser Denken, Wissen, Wollen, Handeln, Politisieren, Kritisieren, Voraussagen, es war alles falsch …“ Schwer krank und von Medikamenten abhängig blickte er, zwischen Hoffnung und Verzweiflung, einer ungewissen Zukunft entgegen, die er nicht mehr erleben sollte: Peter Rosegger starb wenige Monate vor Ende des Ersten Weltkriegs, ungebrochen populär als Erzähler, bis zuletzt ein unbequemer Mahner und Warner.

Christian Teissl hat den langsamen Abschied des „alten Heimgärtners“ - gestützt auf umfangreiches Quellenmaterial - nachgezeichnet. Sehr interessant sind auch die Fotos, die den Dichter, seine Freunde und Familie, Buchtitel, Autographen und Wohnstätten zeigen. Teissls Portrait kann Vorurteile korrigieren.