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Julian Aichholzer, Christian Friesl, Sanja Hajdinjak, Sylvia Kritzinger (Hg.): Quo vadis, Österreich?#

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Julian Aichholzer, Christian Friesl, Sanja Hajdinjak, Sylvia Kritzinger (Hg.): Quo vadis, Österreich? Wertewandel zwischen 1990 und 2018. Czernin Verlag Wien 2019. 312 S., ill., € 27,-

Die Europäische Wertestudie ist ein europaweites Forschungsnetzwerk, das die "European Values Study“ (EVS) erhebt. Sie untersucht Werte und Einstellungen zu den Lebensbereichen Arbeit, Familie, Religion, Politik, Demokratie, sozialer Zusammenhalt und Europa. Die Erhebungen wurden 1982, 1990, 1999, 2008 und 2018 durchgeführt. Waren anfangs 15 Länder beteiligt, so sind es jetzt 47 Staaten der EU und angrenzender Regionen. Seit 1990 arbeiten österreichische ForscherInnen bei dem Projekt mit. Das Team ging von einer bevölkerungsrepräsentativen Stichprobe von über 18-Jährigen mit Hauptwohnsitz in Österreich aus und schreibt: "Insgesamt zeigt sich, dass zwei Drittel der Österreicherinnen und Österreicher aktuell mit ihrem Leben 'sehr zufrieden' sind, das ist der höchste Wert aller EVS-Wellen."

Die Ergebnisse der Untersuchungen liegen nun in Buchform vor. Der Titel "Quo vadis, Österreich?" bringt die große begleitende Frage "Wohin entwickeln sich Gesellschaften?" zum Ausdruck. Das Werk ist - mit vielen anschaulichen Grafiken - als Lesebuch über die österreichische Bevölkerung, ihre Werthaltungen und Einstellungen konzipiert. Es ermöglicht einen Blick auf 30 Jahre Wertewandel in Österreich. In drei Dezennien hat "Familie" ihren konstant hohen Stellenwert behalten. 87% bezeichnen diesen Lebensbereich als "sehr wichtig". "Freunde und Bekannte" (61 %) haben "Arbeit" (48 %) an persönlicher Wichtigkeit überholt. Während die Bedeutung von "Arbeit" zurückging, nehmen die Ansprüche zu: Zwar ist gute Bezahlung das meistgenannte Kriterium, doch werden die Wünsche nach "angenehmen Arbeitszeiten", Initiative und Verantwortung stärker. "Auch hinsichtlich privater Beziehungen sind die Erwartungen hoch", analysieren die Autoren. Mit Abstand bleibt "Treue" (mehr als 80 %) der wichtigste Faktor, 60 % sehen Kinder als sehr wichtig an. An der Spitze der Erziehungsideale stehen, weitgehend konstant, Verantwortungsgefühl, gute Manieren, Toleranz und Unabhängigkeit. Sparsamkeit (von 54 auf 37 % gesunken) und Phantasie (25 bzw. 20 %) werden jetzt als weniger wichtig bewertet.

"Das Interesse an Politik hat sich über die Zeit nur geringfügig verändert. 2018 sind 20 % der Personen 'sehr' an Politik interessiert, weitere 40 % immerhin 'etwas' ", schreiben die AutorInnen. 96 % der Befragten befürworten das demokratische System. Das Vertrauen in Institutionen ist gestiegen. Zuwanderung wird allgemein kritisch gesehen, der Wunsch nach Integration durch kulturelle Anpassung von Zugewanderten scheint gestiegen zu sein. Zuwanderung hat auch die religiös-konfessionellen Zugehörigkeiten verändert. Dabei wurden ein Rückgang bei KatholikInnen, größere Zuwächse bei Orthodoxen und MuslimInnen und starker Anstieg bei Konfessionslosen beobachtet. Das Thema Religion zeigt deutlich: Pluralisierung gilt als Kennzeichen (post)moderner Gesellschaften. Die Zahl der staatlich anerkannten Religionsgemeinschaften steigt. Alternative Vorstellungen, wie der Glaube an eine höhere geistige Macht oder Wiedergeburt, sind bei mehr als einem Drittel der Bevölkerung verbreitet.

Ein Fragenkomplex war den Themen Diversität und Solidarität gewidmet. In Bezug auf soziale Distanz zu anderen Menschen sind Werthaltungen und Einstellungen einhellig, wenn es sich um Betrunkene oder Drogenabhängige handelt. Diese will man nicht als Nachbarn haben. Doch bei der Akzeptanz von der Nähe zugewanderter Menschen gibt es teils drastische Auffassungsunterschiede. Die Gruppe der MigrantInnen ist in sich differenziert, und es lassen sich keine pauschalen Aussagen treffen. Den ForscherInnen fiel auf, dass Antworten befragter Personen aus dem ehemaligen Jugoslawien in vielen Punkten jenen der österreichischen Bevölkerung ohne Migrationshintergrund ähneln. Türkischstämmige Personen weisen häufig Einstellungen und Werte von (noch) außenstehenden Zuwanderern auf. Sie äußern auch generell größere Solidarität mit Zugewanderten. Schließlich wurden die EU-Einstellungen im Wandel der Zeit untersucht und Eurobarometer-Daten berücksichtigt. Demnach erachten 48 % der ÖsterreicherInnen die EU-Mitgliedschaft als positiv, mehr als ein Jahrzehnt zuvor. Die Wahrnehmung der Vorteile erreichte 2018 mit 60% einen Höchstwert. 66 % fühlen sich mit Europa emotional verbunden, je 88 % mit der Gegend, in der sie leben und 92 % mit Österreich.

Der Sammelband "Quo vadis, Österreich?" richtet sich in erster Linie an WissenschaftlerInnen, Studierende, PädagogInnen, MultiplikatorInnen und EntscheidungsträgerInnen. Für die interessierte Öffentlichkeit ist er im Hinblick auf die aktuelle Wertedebatte von Bedeutung. Denn, so die Einleitung, "Werte haben Konjunktur. In Politik, Recht, der Gesellschaft ganz allgemein werden seit geraumer Zeit 'Wertediskussionen' geführt, ein 'Wertewandel' diagnostiziert … Auch werden gerne 'neue Werte' gefordert, wenn man erahnt, dass man mit den 'alten Wertvorstellungen' womöglich nicht mehr weit kommt. … Ganz allgemein wird dabei das Wort 'Werte' häufig als Schlagwort verwendet … So scheint der Inhalt der sogenannten 'europäischen Werte' oberflächlich allen klar zu sein, jedoch stellt die ausdifferenzierte Benennung dieser Werte den einen oder die andere vor größere Herausforderungen. "

hmw