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E. Bernard, J. Eiblmayr, B. Rosenegger-Bernard, E. Zimmermann (Hg.): Der Attersee #

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Erich Bernard, Judith Eiblmayr, Barbara Rosenegger-Bernard, Elisabeth Zimmermann (Hg.): Der Attersee. Die Kultur der Sommerfrische. Christian Brandstätter Verlag Wien. 256 S., ill., € 49,90

Zu Recht wird der Attersee mit seiner Umgebung als "Sehnsuchtsort" und "Ideallandschaft" gepriesen. Seit dem 19. Jahrhundert haben Sommerfrischler, Villenbesitzer und Künstler zu seiner Wertschätzung beigetragen. Weltberühmte Werke wie Gustav Klimts quadratische Landschaftsbilder und Gustav Mahlers Dritte Symphonie konnten nur hier entstehen. Während der Komponist die Ruhe suchte und seine Begleiterinnen alle Hände voll zu tun hatten, lärmende Kinder, Musikanten, Tiere und arbeitende Bauern vom Meister fern zu halten, schätzte der Maler die noble Sommerfrischengesellschaft. Dem künstlerischen Schaffen widmen sich im vorliegenden Werk der internationale Museumsmanager Alfred Weidinger (Wasserrosen am See. Über Gustav Klimts Atterseelandschaften) und die Kulturtheoretikerin Elke Krasny (Arbeitsfrische Sommerort. Wegkomponiert - Modefotografiert - Landschaftsgemalt)

Der Atter- oder Kammersee, der größte in den österreichischen Alpen, ist 20 km lang, bis zu 4 km breit und 170 m tief. Bis ins 19. Jahrhundert gab es keine dauerhafte Verbindung zwischen den nördlichen und den südlichen Seegemeinden. 1869 fuhr das erste Linienschiff, betrieben von den letzten Besitzern des Schlosses Kammer aus dem Geschlecht der Khevenhüller. Sie wollten ihr Anwesen zum luxuriösen "Seebad" ausbauen. Das großzügige Hotelprojekt scheiterte 1903. Inzwischen hatten Großbürger aus Wien, Linz und Salzburg Ufergrundstücke erworben und darauf Villen errichtet. Es entstand eine wohlhabende, bestens vernetzte Parallelgesellschaft zur ansässigen Bevölkerung. Traf man sich in Wien wieder, hieß es dann oft "Wir kennen uns vom Attersee".

Mit diesem Insidergruß ist das erste der zehn Kapitel im großartigen Bildband über die Kultur der Sommerfrische übertitelt. Die Kulturwissenschafterin Barbara Rosenegger-Bernard stellt wichtige Akteure der Sommergesellschaft am Attersee vor, die sich vom konservativeren Milieu in Bad Ischl unterschied. Hier urlaubte um die Jahrhundertwende das finanziell erstarkte, liberale Bürgertum, das "ganz wesentlich vom wohlhabenden, jüdischen Bevölkerungsanteil getragen" wurde. Die Sommergesellschaft umfasste eine "erstaunlich große Zahl an bekannten Persönlichkeiten aus der geistigen und künstlerischen Elite und Avantgarde." Der Berghof in Unterach entwickelte sich zu einem Zentrum des Musikgeschehens. Ihn erwarben 1890 der Komponist und Klaviervirtuose Ignaz Brüll und seine beiden Schwäger. Gustav Mahler war hier ebenso zu Gast wie die Komponisten Gustav Mahler, Johannes Brahms und Karl Goldmark, der Schriftsteller Felix Salten, der Psychiater Josef Breuer oder der Anthroposoph Rudolf Steiner.

Vieles zeichnet den vorliegenden Prachtband aus: Aussagekräftige, historische Ansichten, künstlerische, zeitgenössische Fotografien - u. a. von Rupert Steiner, Gerhard Trumler und Michael Zitzler - exzellente Texte. Die AutorInnen nähern sich ihrem Thema von unterschiedlichen Blickpunkten. Das ergibt Überschneidungen, aber nie Dubletten. Die Kulturhistoriker Christian Rapp und Nadia Rapp-Wimberger beleuchten ein wenig bekanntes Detail: Gastfreundschaft zu vermieten. Paying Guests am Attersee. "Pie dschies" nannte man feine Gäste, denen Schloss- und Landhausbesitzer ihre Domizile öffneten, wobei für Außenstehende unklar blieb, ob es sich um kostenlos logierende Freunde (wie vor dem Krieg) oder zahlende Gäste handelte. Man blieb unter sich und wahrte den familiären Anstrich. Ein "Schlüsselunternehmen" dieser Art war der Morganhof in Attersee-Aufham, den der Schriftsteller Camillo Belohlawek de Morgan errichten ließ.

Diesem Gutshof, samt Kegelbahn, Boots- und Badehaus, der wegen Fehlspekulation bald den Besitzer wechselte, begegnet man auch im Kapitel über Villen und Landhäuser von Architekt Erich Bernard. Der Herausgeber nennt es Eine Stadt am Land und behandelt die historistischen Gebäude am See, wie die Projekte von Oskar Marmorek für Unterach. In Wien entwarf er außer dem Vergnügungspark "Venedig in Wien" Cottagevillen und Jugendstilhäuser. Am See waren um 1900 pittoreske Turmvillen, wie die Villa Paulick in Seewalchen, en vogue. Der Autor behandelt auch moderne Landhäuser, von den dreißiger Jahren - wie das Haus Gamerith von Ernst A. Plischke in Seewalchen - bis in die Gegenwart. Das Fotoessay Architektur am Attersee von Rupert Steiner bringt beeindruckende Blicke auf markante Objekte. Die Landschaftsplanerin Elisabeth Zimmermann und die Kunsthistorikerin Astrid Göttche widmen sich der Gartenkunst am Wasser. Clemens Holzmeister entwarf für den Papierfabrikanten Raoul Eichmann ein Landhaus samt Park in Litzelberg. Das vom konkaven Landhaus zum See abfallende Grundstück "verbindet Wohnraum und Garten zu einer außergewöhnlichen Gesamtkonzeption."

Die Architektin Judith Eiblmayr verfolgt in ihrem Beitrag Der See und der Mensch Werden und Nutzung der Kulturlandschaft. Neben Fischerei und Landwirtschaft gab der Forst Generationen von Menschen am See Arbeit. Plätten brachten das Hallholz für die kaiserlichen Salinen nach Weißenbach. Dort sorgte ab 1721 eineinhalb Jahrhundert lang ein 90 m langer Schrägaufzug für den Transport zur Traun und nach Ebensee. Ein Modell befindet sich im Heimathaus Steinbach. Während im 19. Jahrhundert Industrialisierung und Transportmöglichkeiten zunahmen, begannen Touristen die wilde Schönheit der Atterseelandschaft zu entdecken. Seit 1882 brachte der Zug, genannt Kammerer Hansl, Reiselustige von Vöcklabruck nach Kammer. Das Gmundener Schifffahrtsunternehmen Stern und Hafferl betrieb ab 1907 eine elektrische Lokalbahn zwischen Unterach und Mondsee. Ansichtskarten zeigen die Umsteigestelle zum Schiff in Form eines "Norwegischen Pavillons". Die Soziologin Eva Flicker gibt weitere interessante Einblicke in Alltag und Sommerfrische. Lebenswelten und sozialer Wandel. Arbeitswelten, Fremdenverkehr und Sommergäste, Kriegsjahre, Nebenerwerbspensionen und Freizeitwelten sind ihre Schwerpunkte. Rudern und Segeln verdankten der Sommergesellschaft ihre sportliche und gesellschaftliche Bedeutung. Der Union Yacht Club Attersee, heute der größte Segelclub Österreichs, zählte schon im 19. Jahrhundert 42 Aktive.

Ein ganz eigenes Kapitel war Die Kleidung der Sommerfrischler, der die Trachtenexpertin Gexi Tostmann "persönliche Betrachtungen" widmet. Im Mittelpunkt steht ihre Mutter Marlen Tostmann (1915-2017). Die erzählte Familiengeschichte beginnt mit Maria Christ-Ramsauer (ca. 1850-1920), der Tochter eines Seewalchener Bäckers. Sie erhielt zur Hochzeit mit Max Christ, der aus Linz zur Sommerfrische nach Seewalchen kam, zwei Handwerkerhäuschen und Grundstücke am Attersee. Das überlieferte Gewand - mit Ausnahme der Goldhaube - schätzte sie nicht. Ganz anders ihre Tochter Maria, verehel. Fischer. Sie und ihre fünf Kinder trugen am Attersee Dirndl, Lederhose und Lodenspenzer. Die Jüngste, Marlen Fischer, studierte bei Josef Hoffmann, wo sie Kontakte zur Avantgarde der Wiener Werkstätte pflegte. 1942 heiratete sie den Hamburger Jochen Tostmann, der in der Lenzinger Stofffabrik tätig war. Sieben Jahre später eröffnete das Ehepaar seine "Trachtenstube". 1957 folgte die Wiener Filiale, und auch hier hörte man den Gruß "Wir kennen uns vom Attersee".

Ein Serviceteil, zusammengestellt von Judith Eiblmayr (Der See und seine Gemeinden) und Elisabeth Auersperg-Breunner (Tipps), rundet die äußerst sehens- und lesenswerte Publikation ab.

hmw