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Michael J. Greger (Hg.) - Verena Maria Höller (Red.): Salzburgs Immaterielles Kulturerbe#

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Michael J. Greger (Hg.) - Verena Maria Höller (Red.): Salzburgs Immaterielles Kulturerbe. Traditionen aus dem österr. Verzeichnis des IKE der UNESCO. Band 27 der Salzburger Beiträge zur Volkskunde. Salzburger Landesinstitut für Volkskunde. 122 S., ill., € 12,-

2020 feiert die UNESCO das zehnjährige Jubiläum des Nationalen Verzeichnisses des Immateriellen Kulturerbes. Die österreichische Liste umfasst 124 Eintragungen, 30 haben mit Salzburg zu tun. Zwölf Bewerbungen kommen aus dem Bundesland selbst, bei weiteren 18 Traditionen ist es zumindest beteiligt. Jetzt lädt eine Broschüre der Reihe "Beiträge zur Volkskunde" des Salzburger Landesinstituts für Volkskunde (SLIVK) zur "kurzweiligen ethnologischen Begegnung" ein. Diese geht beim Salzburger Dutzend mit Bild und Text ins Detail und verrät dadurch viel mehr als die offizielle Homepage. Die anderen 18 Nennungen werden am Ende kurz charakterisiert.

Zuerst lernt man Vereinigte zu Tamsweg kennen. Die Handwerker-Bruderschaft in der Lungauer Marktgemeinde gibt es seit 1738. Die Mitglieder verpflichten sich zum sozialen und religiösen Zusammenhalt. Gegenseitige Hilfe und Achtung sind ihre Grundsätze. Bis heute besteht eine Reihe von Ehrenämtern, wie Kommissär, Herbergsvater, Lader, Fahnenträger, Kassier oder Levit. Die wichtigsten Symbole sind die "Bundeslade", ein Kasten mit vier Laden, der Archivalien enthält und die Fahne mit der Darstellung der Dreifaltigkeit. Heute umfasst "der Vereinigte" 900 Mitglieder, Junggesellen und verheiratete Männer. Höhepunkt des Vereinslebens ist die "Vereinigtenoktav". Zu der Festwoche mit zahlreichen Ritualen kommen im Jänner auch Tamsweger, die nicht mehr im Ort leben.

Im ersten Jahr, 2010 fanden die meisten Salzburger Traditionen Eingang in die UNESCO-Liste. Dazu zählen auch das Samsontragen im Lungau, das Heilwissen der Pinzgauerinnen, das Salzburger Festschützenwesen und das Hundstoaranggeln. Samsonfiguren treten in den Gemeinden Mariapfarr, Mauterndorf, Muhr, Ramingstein, St. Andrä, St. Margareten, St. Michael, Tamsweg, Unternberg sowie im steirischen Murau und Krakaudorf auf. Die Umgangsriesen sind sieben Meter hoch und 100 Kilo schwer. Sie gehen auf barocke Fronleichnamsprozessionen zurück, bei denen im Sinne der Gegenreformation Umzüge mit "lebenden Bildern" inszeniert wurden. Schon zuvor fanden sich Samsonfiguren in Spanien (1424) und Belgien (1447), dann auch in Frankreich und Holland. Zwischen den europäischen Samsongemeinden bestehen Partnerschaften, Salzburger und Steirer Aktivisten nehmen an den internationalen Treffen teil. Die Pinzgauerinnen haben eine Akademie für Traditionelle Europäische Heilkunde (TEH) gegründet und vertreiben professionell Produkte wie Tees, Kräuterpulver, Salben und Destillate. Das Salzburger Festschützenwesen wird von 108 Schützenkompanien gepflegt, die 5900 Aktive zählen. Die Tradition begann 1278 zur Selbstverteidigung der Städte, auch in den Napoleonischen Kriegen erfolgten etliche Gründungen. 1993 entstand der Landesverband der Salzburger Schützen. Sie treten uniformiert bei festlichen Anlässen, wie Weihnachten oder Fronleichnam auf. Ebenfalls Männersache ist das Hundstoaranggeln, das im Juli auf dem Hohen Hundstein stattfindet. Der Wettbewerb der weiß gekleideten, barfüßigen Ringer soll auf die Renaissancezeit zurückgehen. Der Salzburger Rangglerverband existiert seit 1947 und ist seit 2001 Mitglied der internationalen Föderation für Keltisch-Ringen.

2011 erfolgten zwei Eintragungen: der Dürrnberger Schwerttanz und die Gasteiner Perchten. Jahrhundertelang spielten Bergknappen in Salzburg eine wichtige Rolle. Sie besaßen Privilegien, wie das Tragen eines Schwertes, pflegten Berufsbräuche und Rundtänze. Der Dürrnberger Schwerttanz ist seit 1586 belegt. Mit der Einstellung des Salzbergbaues 1989 war die Tradition beendet, wurde jedoch schon 1996 von einem Verein revitalisiert. Heute bieten 100 Mitwirkende in Knappenuniformen eine 45-minütige Aufführung mit zwölf Figuren. Über die Gasteiner Perchten hat die frühere SLIVK-Leiterin Ulrike Kammerhofer-Aggermann Quellenarbeit betrieben und romantisch-nationale Deutungen widerlegt. Sie erkannte Venedig als "Einflussmotor" für Faschingsbräuche dieser Art. 1837 inszenierte man für den Kaiser einen Perchtenumzug, der damals kaum noch stattfand. Dies sollte sich in den folgenden Jahrhunderten grundlegend ändern. Die Gasteiner Perchten wurden touristisch und ideologisch vereinnahmt, "umgewertet" als Belege einer vermeintlichen Kontinuität von Kulturerscheinungen der Germanen bis in die Gegenwart. … Werden diese Meinungen nicht durch konsequente kulturhistorische Quellenarbeit außer Kraft gesetzt, entwickeln sie ein ungeahntes Beharrungsvermögen, schreibt SLIVK-Leiter Michael J. Greger als Herausgeber der lesenswerten Publikation.

2013 gab es drei Bewertungen. Die Klöppelei in Salzburg, die zwischen 1680 und 1780 den Bewohnerinnen ein karges Einkommen sicherte, erfährt in Vereinen und durch Ausstellungen neue Wertschätzung. Das Aperschnalzen im Rupertiwinkel war ein Faschingsvergnügen der Hirten in Salzburg und Bayern. Die "lustvolle Lärmerzeugung" mittels kurzstieliger, rund drei Meter langer Peitschen erfolgt in Gruppen ("Passen") von sieben bis elf Personen, die oft bei Wettkämpfen antreten. Neuerdings nehmen auch Frauen teil. Beim Tresterer Tanz handelt es sich um einen ursprünglich an Faschingsläufe gebundenen Männer-Rundtanz mit stampfenden und schleifenden Schrittelementen sowie rhythmischen Sprüngen. Um 1900 wurde er vom Geselligkeitsclub Alpinia wieder entdeckt und bei "alpinen Kränzchen" vorgeführt. Besonders attraktiv wirken die roten Brokatanzüge der Tänzer und ihr Kopfputz aus weißen Hahnenfedern.

Die Spielpraxis des Salzburger Marionettentheaters steht seit 2016 auf der UNESCO-Liste. 1913 begründete der Bildhauer Anton Aicher die Puppenbühne, für die er Figuren schnitzte und ein "Spielkreuz" erfand, mit dem deren Fäden bewegt werden. Fast ein Jahrhundert im Familienbesitz, führte das Salzburger Marionettentheater mehr als 250 internationale Gastspielreisen durch.

Die jüngste Eintragung erfolgte 2018 mit dem Viehumtragen am Fest des hl. Georg in Bruck an der Glocknerstraße. Ursprünglich ein Votivbrauch (mit Eisenfiguren) zum Austrieb des Viehs auf die Sommerweide, kam er mit den Reformen des 2. Vatikanischen Konzils ab, wurde aber bald darauf belebt. Ein Schuldirektor motivierte Kinder, kleine Tiere zu schnitzen, die von den Bauern wieder um den Altar getragen werden. So zeigt sich hier deutlich die viel zitierte Weitergabe "von Generation zu Generation".

Vergleicht man die gelisteten Traditionen, fällt einiges auf. Die Hälfte zählt zur weit gefassten Kategorie "Gesellschaftliche Praktiken, Rituale und Feste". Dabei handelt es sich meist um Faschingsbräuche. Vier Traditionen wurden als "Darstellende Künste" klassifiziert (wobei Tresterer und Schwerttanz auch in die erste Gruppe passen würden). Je eine Nennung entfällt auf "Wissen und Praktiken in Bezug auf die Natur und das Universum" sowie "Traditionelle Handwerkstechniken". Letztere werden von Frauen getragen, während bei fast allen anderen (zumindest früher) nur Männer beteiligt waren. In der noch immer nicht überwundenen populären Meinung sind Bräuche "uralt" oder "heidnisch". Längst hat die Wissenschaft gezeigt, dass dem nicht so ist. Rituale leben und sterben mit einzelnen Personen(gruppen), häufig fehlen schriftliche Quellen. Auch viele der hier vorgestellten Traditionen wurden erst um die Jahrhundertwende oder noch später wieder belebt. So gilt, wie beim Gasteiner Perchtenlauf: Es lässt sich keine durchgehende Kette von Belegen für die Brauchpraxis der vergangenen Jahrhunderte finden, insbesondere nicht in ländlichen Gegenden, die Belege gleichen viel mehr einem unvollständigen Mosaik.

hmw