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Bernhard Honkisz: Dawa - Dawa #

Bild 'Honkisz'

Bernhard Honkisz: Dawa - Dawa oder Ein Leben in fünf Hymnen. myMorawa Bestellnummer: 10491543. 272 S., ill., € 16,90

Demnächst wäre Elfriede Honkisz, geb. Farkas (1932-2009) 90 Jahre alt geworden. Jahrelang hat sie ihre Erinnerungen an die Familie, ihre Lebensumstände, Freunde und Bekannte aufgeschrieben. Sie tat dies, weil sie eine sparsame Frau war, in einem alten Buchkalender, in alten Schulheften und auf allen möglichen losen Zetteln. Jedes Stückchen Papier musste herhalten: Die Rückseite von Erlagscheinen, Briefumschläge und selbst Zeitungsränder, schreibt ihr Sohn Bernhard Honkisz, der an der Höheren Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt unterrichtet und ein Faible für alles Historische besitzt. Er hat die große Sammlung von nachdenklichen, lustigen, oft auch kuriosen Geschichten gesichtet, ausgewählt und als reich illustriertes Buch herausgegeben.

Ort des Geschehens ist vor allem die ehemalige Vorstadt Lichtental im heutigen 9. Wiener Gemeindebezirk. Sie wurde um 1700 vom Grundherren Johann Adam Andreas Fürst Liechtenstein nächst seinem Gartenpalais in der Rossau planmäßig angelegt. Während dieses samt Park seit einigen Jahren wieder im alten Glanz erstrahlt, fielen die Untertanen-Häuser in den 1960er Jahren der Assanierung zum Opfer. Sie waren damals ziemlich abgewohnt, großteils feucht, und der Wunsch der Gemeinde Wien, moderne Wohnungen zu schaffen, überwog die denkmalpflegerischen Ambitionen bei weitem.

Das Haus Badgasse 1, das die ersten Kapitel des Buches schildern, war eines der ältesten auf dem später so genannten "Schubert-Grund". (Franz Schubert wurde in der Pfarrkirche getauft und komponierte für sie mehrere Messen). Das Haus "Zum goldenen Engel" stammte aus dem Jahr 1700 und hatte eine auffallend schöne Barockfassade. Schon der Urgroßvater der Autorin, Michael Farkas logierte dort. Er war aus Ungarn zugewandert und heiratete 1877 in der Schubertkirche. In der Zwischenkriegszeit stand das Gebäude im Besitz der Gemeinde Wien. 1945 zerstörte ein Bombentreffer das Haus. Die Bewohner wurden im Luftschutzkeller verschüttet, zwei kamen ums Leben. Seit 1952 erhebt sich dort und auf elf Nachbarparzellen der fünfgeschossige Karl-Schönherr-Hof, einer der ersten Gemeindebauten der Nachkriegszeit.

In den 1930er Jahren hatte der "Goldene Engel" 30 Wohnungen. Die Chronistin erinnerte sich genau an deren Mieter. Sie lebte mit Großmutter, Onkel und Eltern in einer Zimmer-Küche-Kabinett-Wohnung im 2. Stock. Ihre Nachbarn waren eine Eisenbahner-Familie, ein italienischer Eisverkäufer mit seiner Frau, ein frommes "Fräulein", das einst Kindermädchen gewesen war, weiters ein Schuster, ein Friseur-Ehepaar, ein Chauffeur und eine sechsköpfige Familie, die aus einer Pfründnerin, deren Tochter, Schwiegersohn und drei Kindern bestand. Nur die Familie eines Fleischhauers hatte zwei Wohnungen, wo auch die Lehrlinge untergebracht waren. Den ersten Stock bevölkerten zwei Familien, eine alte Frau, eine Miedermacherin mit Bruder und Schwester, ein betagtes "Fräulein", ein alleinstehender Mann, ein "b'soffener Lokführer" sowie zwei Schwestern "beide etwas belämmert, gutmütig", wobei die Tochter der einen nur alte Kleider und keine Schuhe besaß, schließlich "eine sehr sozialistische Familie". Ebenerdig befanden sich ein Greissler, der unter der Stiege Hühner hielt, der Hausbesorger mit Hund und eine Familie mit "mindestens vier Kindern".

Das war die fast typische Sozialstruktur eines Vorstadthauses in der Zwischenkriegszeit. Großmutter Farkas war verwitwet. Ihr früh verstorbener Mann hatte als Straßenbahnkondukteur gearbeitet. Daher erhielt sie eine Pension, um die sie viele beneideten, die sagten: "I hob ja nur a Pfründn, aber Se san jo a Pensionistin!" Mit ihrer Schwiegertochter blieb sie zeitlebens per Sie, obwohl sie sich gut verstanden. Als Elfriede geboren wurde, war ihr Vater arbeitslos, die Mutter nähte in Heimarbeit. Der Vater war Installateur und Elektriker. Ihre Mutter, die als Halbwaise von der Großmutter in Böhmen aufgezogen worden war, wurde zu einer Tante nach Wien geschickt, um das Schneiderhandwerk zu erlernen. 1946 ergriff Ihre Tochter Elfriede denselben Beruf. Sie absolvierte die Lehre beim renommierten Modehaus Handschuh-Peter in der Währinger Straße. Genau schildert sie die Hierarchien und die Arbeit in den Werkstätten. Herr Peter war wirklich ein "Herr" - auch dem jüngsten Lehrmädel gegenüber … Wenn etwas nicht stimmte, dann musste man ins Büro zu ihm kommen und ganz ruhig sagte er einem, was ihm nicht passt, nie vor Fremden! Und nie laut!

1950 war ein Schicksalsjahr für Elfriede Farkas. Sie hatte die Gesellenprüfung bestanden, wurde aber "wegen Arbeitsmangels" entlassen. Im selben Jahr heiratete sie den Buchdrucker Alfred Honkisz, den sie in einer Volkstanzgruppe kennen gelernt hatte. Das Ehepaar hatte zwei Töchter und einen Sohn.1950 ging auch die Mutter von Elfriede Honkisz eine zweite Ehe ein. Der Auserwählte war "Onkel Franz". Nachdem er in einer Zinkornamentenfabrik das Spenglerhandwerk erlernt und sich in Wien mit diesem Beruf selbstständig gemacht hatte, übersiedelte er nach Oberösterreich und arbeitete bei den Steyr-Werken. Zudem war Franz Farkas Mitglied des Oberösterreichischen Künstlerbundes und des Magischen Zirkels in Deutschland. In seiner Freizeit übte er, mit Zustimmung der Landesregierung, "Magie vor Publikum" aus. Sein drittes Standbein war die Kunst, wo er sich als Maler und Grafiker betätigte. Auch hier bemühte er sich um beste Ergebnisse, schreibt Bernhard Honkisz über seinen "Opa", dessen Dokumente und Bilder er im Buch reproduziert. Seine Mutter Elfriede erklärte die komplizierten Familienverhältnisse: Fredi und ich waren die Trauzeugen und damit jünger als das Brautpaar. So wurde meine Taufpatin meine Stiefgroßmutter und mein Großonkel mein Stiefvater.

Der "Goldene Engel" ist der wichtigste, aber nicht der einzige Schauplatz der Lebenserinnerungen von Elfriede Honkisz. Da waren noch die späteren Wohnungen in der Liechtensteinstraße und in der Porzellangasse, aber auch Elsarn und Wiedendorf (Gemeinde Strass im Strassertal, Niederösterreich), wo die Familie erst die Sommerfrische verbrachte und dann im 2. Weltkrieg umgesiedelt war, sowie Brättersdorf / Bratrikovice in der mährisch-schlesischen Region von Tschechien, der Heimat ihrer Großmutter. Überall gab es viele Reminiszenzen an Orte, Menschen und Begebenheiten. Der Alsergrund-Chronist Prof. Alfred Wolf meint als einer der ersten Leser: Ich bin davon so begeistert, weil es ein ungeschminkter Tatsachenbericht ist, der fern jeder Romantik die Realität des vorigen Jahrhunderts in der Vorstadt schildert. Durch die lebensnahe Erzählung von Freud und Leid entsteht ein Bild, wie bei einem Gemälde aus alter Zeit. So wird damit auch die eigene Erinnerung geweckt. Da die Weltpolitik in das Leben jeder Familie eingegriffen hat, ist das Buch ein wichtiger Zeitzeuge der Oral history.

hmw