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IDENTIFIKATIONSPROBLEME#

Die Identifikationsgruppe#

Wenn wir gesehen haben, daß sich die Identifikationen überschneiden können, daß hier also Über- und Unterlagerungen stattfinden, so bekamen wir einen ersten Einblick in die Komplexität des Problems. Wenn ein Mädchen, wie 2/307, die dem Arbeiter nur bis zu einem »gewissen Grad« die Möglichkeit zugesteht, »vornehm« zu sein, sich als Angestellte fühlt, so dürfen wir ihre Aussage nur bedingt als richtig nehmen. Sie meint es zwar so, ist sich aber im Augenblick nicht über den Umfang des Begriffs im klaren. Genau genommen identifiziert sie sich nur mit subalternen Angestellten, während die Angestellten vom Abteilungsleiter an aufwärts nicht mehr zu dieser Identifikationsgruppe zählen.

Es ist allerdings auch nicht so, als ob etwa »die Beamten« eine einfache Einheit abgäben. Vielmehr stellen die B-Beamten — jene mit Matura — eine Gruppe dar, die sich weder mit den A-Beamten — den Akademikern — noch mit den C-Beamten, die nach unten angrenzen, identifizieren.

Der Identifikationskreis jener Gruppe, der sich eine Person in besonderer Weise verbunden fühlt, wird so bestimmt, daß er durch eine Reihe von Kastenpositiva oder Kastennegativa eingegrenzt wird. Sieht man von jenen Gemeindeangestellten ab, die eigentlich Arbeiter sind, so sind alle Angestellten Rein-Arbeiter. Diese Eigenschaft hebt sie alle gemeinsam von der Arbeiterschaft ab. Allerdings darf nur ein Teil der Angestellten anordnen, besitzt also Herrenfunktion. Ein Teil der Beamten wiederum besitzt einen höheren, ein weiterer Teil einen noch höheren Bildungsgrad. Hier wird mehrmals unterschieden; schließlich bleibt eine relativ kleine Gruppe übrig, mit der sich die Person identifiziert. So trennt sich etwa 2/307 zunächst auf Grund der Ekelschranke von den Arbeitern:

Bild 'Schranken_2'

Bild 'Schranken'

Wir erhalten so eine relativ kleine Gruppe, mit der sich die Versuchsperson nach mehreren Richtungen hin identifiziert. Zwar fühlt sie sich mit allen Nichtschmutzigen identisch gegenüber den Schmutzigen, aber auch mit allen Untergeordneten gegenüber den Übergeordneten. Und mit allen Ungebildeten gegenüber den Gebildeten. Durch die verschiedenen Trennungslinien wird eine engere Gruppe eingegrenzt.

Fern- und Nahdistanzen#

Soziale Fern- und Nahdistanzen spielen bei der Ressentiment- und Überheblichkeits-Affektausbildung eine bedeutende Rolle. Die politischen Schlagworte sollen oft Ressentiments erzeugen, zum Beispiel gegen die »Kapitalisten«, »Agrarier« usw. Die in der Nahdistanz gebildeten Ressentiments erregen ungleich intensivere Affekte als die in der Ferndistanz erzeugten. Für den B-Beamten stellen die A-Beamten die nächst-höhere Schicht dar, die C-Beamten die nächst-untere. Die Ressentiments der B-Beamten richten sich nun konzentriert gegen die zunächst angrenzende Schicht der A-Beamten. Nach 2/116 sagen die Polizeioffiziere mit Matura von den fertigen Juristen, diese hätten nur deshalb weiterstudiert, »weil sie zu dumm gewesen wären, die Sachen schon so zu kapieren«. Die Abwehrtendenzen richte sich also gegen die angrenzende Schicht der A-Beamten. Zu gleich aber werden die Aggressionen geringer, wenn es sich um Sektionschefs handelt oder gar um Minister, zu denen eine wei größere Distanz vorliegt.

Ebenso richten sich die Ressentiments der Arbeiter vor alle gegen wenig gebildete Angestellte, die für sie die nächst an grenzende Schicht verkörpern. Bei den meisten Versuchspersonen könnte man jene Gruppe bestimmen, mit der sie sich in tensiv identifizieren, und jene Gruppen angeben, gegen die die größten Aggressionen bestehen.

Wie wir an Hand des Beispiels von den B-Beamten sehen konnten, wird häufig die Distanz nach oben bagatellisiert und verringert, zugleich wird jedoch Aggression entwickelt. Andererseits wird häufig die Distanz nach unten vergrößert und zur Kluft ausgeweitet. Man erkennt, daß auf diese Weise die eigene Identifikationsgruppe eine Aufwertung erfährt, die unten angrenzende eine Abwertung. Die zunächst angrenzenden Schichten können die stärksten Affektballungen erzeugen, nach oben Ressentiments, nach unten Snobismen.

In dieser Haltung liegt das dynamische Moment des Hinauf-wollens. Die nächst-oberen Schichten sind jene, die man am ehesten meint erreichen zu können, die nächst-unteren wieder jene, die nachdrängen und am ehesten die eigene Schicht ersetzen könnten. Im Sinn solcher Aggressionen kommt es häufig zu einer Identifikation, bei der die nächst-obere oder nächstuntere Schicht übersprungen wird. Wir wollen sie daher überspringende Identifikation nennen.

Bild 'Schicht1'

Von daher kann man es verstehen, daß z. B. die ersten christlich-sozialen Ansätze während der Vorweltkriegsmonarchie in Österreich vom Adel her kamen (Freiherr von Vogelsang, der »rote« Liechtenstein, in Deutschland der Bischof von Mainz, Freiherr von Ketteler usw.). Der Adel übersprang den Bürger nach unten und identifizierte sich mit dem Proletarier. So werden Zwischenschichten gleichsam in die Zange genommen. — Merkwürdig mutet auf den ersten Blick die Einstellung von 2/218 an:

»Die ererbten Adelsprädikate, die größeren, hätten meines Erachtens nach nicht abgeschafft werden sollen, aber diese ganzen Von, die irgendein Großvater einmal geerbt hat - Edler von - auf Grund irgendeiner Leistung, den heute sein Sohn, der heute was weiß ich was für ein Idiot sein kann, auch führt... (Große Adelsprädikate?) Das ist ja doch irgendwie ein Stand, eine eigene Rasse oder Kaste, der auf Grund seines Blutes immer wieder sagen kann: Ich bin ein echter von - weiß ich - weil die Familie sich ja nicht aufhört.«

Der Grund dafür, daß sich das Ressentiment allein gegen den niederen Adel richtet - der höhere fing ja genauso an wie der niedere - , liegt wohl in der geringeren sozialen Distanz, welche die Optik der Aggression vergröbert.

Die radikal snobistische Absetzung des angestellten Monteurs 2/504 von den Arbeitern, die er voll Arroganz und Ekel betrachtet, ist vor allem aus der geringen Distanz verständlich. Da er sich einerseits vom Arbeiter absetzen will, andererseits aber spürt, daß er selbst noch einer ist, führt die Verdrängung zu überkompensatorischcr Arroganz. Er läßt seine Kinder nicht mit denen der »Arbeitermasse« spielen, denn dort »hören und sehen sie nichts Anständiges .. .« Er würde gerne mit »Angestellten Geselligkeit pflegen, aus einem besseren Kreis heraus, fühl ich mich zehn Mal besser als wie mit ganz gewöhnliche Arbeiter«.

Der Großbauer mit Matura 2/320 hat auch noch Minderwertigkeitsgefühle gegenüber den angrenzenden oberen Schichten. Dies gilt nicht nur gegenüber den Adeligen und Gutsbesitzern, sondern auch gegenüber den Industriellen. Die Inferiorität gegenüber dieser Gruppe äußert sich darin, daß sein ganzes Bestreben daraufhinaus läuft, den bäuerlichen Betrieb nach industriellen Grundsätzen zu führen. Das affektive Grundgefühl seiner Position ist nicht so sehr das des Großbauern, nicht einmal das des Gutsherrn, sondern das des Direktors, der ein Unternehmen leitet. Natürlich ist es der heutigen Zeit angepaßt, eine Landwirtschaft nach rationalen, wissenschaftlichen Gesichtspunkten zu führen, aber es kann keinen Zweifel daran geben, daß auch affektive Gründe beteiligt sind, daß 2/320 nämlich Betriebsführcr sein möchte und daher seine Aufgabe unter industriellen Gesichtspunkten sieht. Die Landwirtschaft ist für ihn weitgehend ein ebensolcher Betrieb wie eine Fabrik, und er versucht, den Unterschied möglichst zu verkleinern, indem er auch die äußeren Formen denen eines Industriebetriebs anpaßt. Dies geht bis zur Terminologie. So bezeichnet er seine Landarbeiter als »Mitarbeiter«, ein Ausdruck, der heute eher in der Industrie gebräuchlich ist. Ebenso ist die Assoziation »Gutsherr« - »Direktor« aufzufassen. Er versucht also seinen Hof in Analogie zum Fabrikbetrieb zu organisieren, wie auch folgende Bemerkung beweist:

»Jeder hat Rechte und jeder Pflichten, sowohl der Betiebsführer das Recht hat, anständige Arbeit zu verlangen... und man hat selber die Pflicht, durch ein soziales Entgegenkommen jederzeit behilflich zu sein.«

Seine gesamte Einstellung zur Arbeiterschaft ist die des industriellen Arbeitgebers, der soziale Maßnahmen für seine Leute trifft, und es ist sicherlich kein Zufall, daß er auch eine Funktion im Arbeitgeberverband innehat, in einer Zuckerfabrik im Aufsichtsrat tätig ist und Verbindungen zur Industrie immer wieder sucht.

Der affektintensive Malermeister 2/319 richtet die schärfste Aggression gegen die Gruppe der Angestellten, noch mehr der Beamten, die er im Gespräch als seine "besonderen Lieblinge" bezeichnet. Er reagiert auch im Assoziationstest sofort mit einer Identifikation von »Angestellten« und »Beamten«; seine Empfindlichkeit für seine inferiore Position ist hier am stärksten:

"Sie sitzen alle dorten und glauben, sie sind der Kaiser. Wenn man ins Amt kommt, bleibens ruhig sitzen (er wünscht also, daß sich die Beamten erheben), plaudern miteinander, lassen an ruhig stehen, wie wenn man niemand war.«

Durch ein solches Verhalten treffen die Angestellten und Beamten seine empfindlichste Stelle, nämlich das soziale Selbstwertgefühl, das von der Gruppe, die er unmittelbar über sich empfindet, am schwersten und tiefsten verwundet werden kann. Der konkurrenzierenden Gruppe, die in unmittelbare soziale Reichweite gerückt ist, wird die Oberkastigkeit am wenigsten gegönnt, darum erscheinen die Beamten auch immer als die Aufgeblasenen, Eingebildeten, die sich »wie der Kaiser« benehmen.

Der subalterne Angestellte ist überhaupt sehr angefeindet, besonders von den Arbeitern, aber auch teilweise von den Bauern. Der Grund dafür ist, daß er die niedrigste Gruppe knapp jenseits der Ekelschranke darstellt.

Das affektive Gesellschaftsbild#

Für den Affekt besteht ein Gesellschaftsbild, das von der durch Sprache nahegelegten Ordnung beträchtlich abweicht. Wie wir gesehen haben, existiert eine affektive Grobsichtigkeit (Makrooptik) und eine Fehlsichtigkeit (Mikrooptik). Das scharfe Sehen gelingt natürlich vor allem in der Nähe der eigenen Identifikationsgruppe. Alle anderen Gruppen verschwinden mehr oder weniger im Nebulosen. Diese anderen Gruppen liegen affektiv über, unter, neben der Identifikationsgruppe.

Affektiv gibt es den »Angestellten«, den »Arbeiter« usw. nicht im gleichen Maß wie rational, da sehr starke Unterschiede gemacht werden. Häufig sind die rationalen Vorstellungen propagandistisch-ideologisch gefärbt und geprägt. Die vielfältigen Identifikationen formen ein weitgehend unbewußtes Gesellschaftsbild, das bei jeder Person gegeben ist.

Die Identifikation nach oben#

Für eine untenstehende Person gibt es die Möglichkeit, sich mit einer obenstehenden Person oder Gruppe zu identifizieren. So fühlt sich häufig der Hausmeister als Hausherr, der Lakai als Aristokrat usw., fühlen sich auch viele Monarchisten als Miniatur-Monarchen. Die Versuchsperson 2/305, von der wir anläßlich der Herkunftsschranke berichteten, läßt nur ererbte Titel gelten. Ihre Ablehnung des Akademikers hängt mit der Abwertung erworbener, insbesondere akademischer Titel zusammen, im Gegensatz zu den Geburtstiteln der Adeligen. Sie identfiziert sich in Lakaientradition mit dem Adel. Alle anderen Versuchspersonen lehnten eher die angeborenen Titel ab und ließen die erworbenen gelten.

Bild 'Balkon'
Eine Reihe von Merkmalen kennzeichnet die Feudalkulturen und wird zum Teil von den nachdrängenden Schichten übernommen. So findet man in vielen ehemals «besseren Bürgerhäusern« im ersten Stock (dort ist die Hausherrnwohnung) einen Balkon, der nie benutzt wird, da es schon zur Bauzeit nicht angenehm war, auf einem zur Straße gehenden Balkon zu sitzen. De facto handelt es sich um eine geschrumpfte Hofburg- oder Schönbrunnbalustrade. Der Hausherr identifizierte sich mit dem Kaiser. Wie dieser an die Balustrade »vor seine Völker« hintreten konnte, hatte der Hausherr die Illusion, vor seine Mieter treten zu können. In anderem Zusammenhang kommen wir noch darauf zurück. Wenn schließlich 1/21 erklärt, sie sei »so in die Finanzkreise hineingekommen«, will sie damit nur sagen, daß sie bei einem Finanzmann Hausangestellte wurde. Sie nahm aber gewisse Formen an und glaubt nun quasi selbst »aus Finanzkreisen« zu sein. Das Verhalten vieler solcher Dienstleistender, die nun die Formen ihrer Herren annehmen, ist bekannt. So behandeln verschiedene Hotelportiers Leute von oben herab, wenn deren Auto und Koffer nicht entsprechend aussehen. Obwohl der Portier selbst weder das Geld noch die Titel oder ähnliche Kastenpositiva aufweist wie die »zweitklassigen« Besucher, so glaubt er doch Grund genug dafür zu haben, auf solche hinabschauen zu können. Er nimmt nur »erstklassige« Leute für voll. Aus der Identifizierung mit der Oberkaste bezieht der sich Identifizierende jenen Wert, den diese Kaste selbst besitzt.

Die Identifikation nach unten#

Neben der Identifikation nach oben gibt es auch die nach unten. Der Identifizierende, ein Oberkastiger, fühlt sich dann als Unterkastiger. Viele Revolutionäre gehören dazu. Wir kommen später noch darauf zurück.

Diese Identifikation wird häufig durch ein spezielles Schicksal nahegelegt. So wird ein unterdrücktes Kind aus oberkastiger Familie geneigt sein, sich mit der Unterkaste zu identifizieren. Die andere Möglichkeit, das Überspringen der nachdrängenden Schicht, wurde an anderer Stelle schon angedeutet. So identifiziert sich gerne der Offizier mit der Mannschaft gegen die Unteroffiziere.

Der Vater der Baronin 2/3 war »Edler von«, seine Frau jedoch »Baronin«. Nun wurde er, da sein Rang in der Feudalgesellschaft niedriger war als der seiner Frau, von Familienmitgliedern »geschnitten«. Die Folge war, daß er sich mit dem Bürgertum identifizierte und vor allem unter Bürgerlichen verkehrte. Er verzichtete gewissermaßen auf seine Kastenposition aus Rache gegen die schlechte Behandlung, die man ihm in dieser Gesellschaft angedeihen ließ. Hier sehen wir deutlich den Mechanismus der Identifikation nach unten.

Die Anbiederung#

Ein merkwürdiges, wenig geachtetes Verhalten ist der Versuch durch Handlungen, die dem Kastenüberich einer bestimmte Kaste schmeicheln, in diese hineingenommen zu werden. Das besonders Devote enthält ein Identifikationsangebot an die Kaste. Um nicht zu enttäuschen, werden solche sich anbiedernd Personen häufig bedingt in die Kaste hineingelassen, ohne je doch für voll genommen zu werden.

Diese Haltung nehmen Unter- und Oberkasten in der gleiche Weise ein. Versucht etwa ein Intellektueller in die Arbeiterschaft einzudringen, indem er sich demonstrativ wie ein Arbeiter gibt, wird er es sehr schwer haben. Sozialistische Intellektuelle gehe häufig diesen Weg; so verwenden sie, wie schon gesagt, demonstrativ den Dialekt. Der sich Anbiedernde macht sich die Sache zu einfach, inde er meint, durch eine Übernahme des Gehabens einen echte Kontakt herzustellen, denn das ist keineswegs der Fall. Daher bleibt er meist trotz seines devoten Tuns isoliert und ein Außenseiter jener Kaste, der er sich anbiedert.

Zwischenpositionsprobleme nach Schicht und Fremdkastenidentifikation#

Es gibt Positionen, die ihrer Natur nach Zwischenpositionen sind. In solchen steht der weitaus größte Teil der Menschen, so etwa, wenn sich durch bestimmte Schranken abgegrenzte Gruppen überschneiden.

Die Verhältnisse bei der Frau 2/314, die die Tochter eines »Edlen von« und einer »Baronin« ist, liegen z. B. so kompliziert. Di Versuchsperson ist, da im Adel die patriarchalische Form deR Vererbung des väterlichen Titels maßgebend ist, nur »von«. Das bedeutet aber in den höheren aristokratischen Kreisen eine Sehr untergeordnete und kaum mehr zählende Position. Die Versuchsperson, mit den Verhältnissen in den streng konservativen adeligen Kreisen vertraut, schildert sie plastisch und interessant. Es herrscht ein »hundertprozent genaues Aufpassen auf den Rang«,- man beachte genau, ob jemand »Baron oder schon Graf« sei oder ob vielleicht einer »einen Grad tiefer geheiratet« habe. Strikt geregelt sei die Frage, »wer wird wem vorgestellt, und wer darf wissen, wer es ist«, dem er vorgestellt wird. Der kleine Adelige zum Beispiel »ist nicht so hoch, daß er wissen darf (!), mit wem er redet, nur der andere (höhere) weiß es.« 2/314 ist durchaus gegen die Abschaffung der Adelsprädikate, und zwar aus affektiven Gründen, wie ihr gescheiterter Versuch einer rationalen Begründung beweist: »Daß man den Adel abgeschafft hat, finde ich absolut nicht richtig, denn letzten Endes ist es so ... ich finde es nicht richtig.« Affektiv ist die Frau in einer doppelten Zwischenposition. Zunächst ist der mütterliche Rang höher, andererseits ist aber im patriarchalischen System der Vater der Tonangebende. Höherrangigkeit der Mutter und Höherrangigkeit des Vaters überschneiden sich hier und gestalten eine sehr komplizierte Situation, die sie nicht zu verarbeiten vermochte.

Wenn jemand einerseits als Beamter zu den Reinen gehört, jedoch als subalterner Beamter zu den Untergebenen, so ist er Mitglied einer Gruppe, die einerseits nach oben, andererseits nach unten Gemeinsamkeit besitzt. Seine psychische Position liegt dazwischen.

Bild 'Herrschaft'
Bild 'Ekel'



Ähnlich ergeht es einem Werkmeister, nur liegt hier die Herrschaftsschranke tiefer als die Ekelschranke,- dasselbe trifft auch für die Bauern zu. 2/303 ist Schlossermeister in der Industrie und SPÖ-Wähler. Bei ihm macht sich eine gewisse Spannung zu den unter ihm stehenden Arbeitern bemerkbar, die er als belastend empfindet. Zwar benimmt sich der Großteil der Arbeiter, wie er sagt, dem Vorgesetzten gegenüber »sehr anständig«, aber es gibt andere, die im Vorgesetzten den »Antreiber« oder den »schlechten Kerl« sehen. Er ist damit also in eine affektiv ungünstige Zwischenposition hineingestellt. So meint er, »daß jeder typische Arbeiter bestrebt sei, zum Großteil seine Arbeitskraft so teuer wie möglich zu verkaufen«, »daß jeder versucht, daß er den größtmöglichen Vorteil herausschinden kann«, und fügt hinzu, das habe auch seine Berechtigung. Mit dieser Einstellung, seiner halben Identifikation mit dem Arbeiter, kommt er als Vorgesetzter in eine ambivalente Situation, in der er auch Schwierigkeiten hat, wie aus seinen Äußerungen hervorgeht. Ebenso ambivalent ist seine Haltung in der Abgrenzung seiner eigenen Kastenzugehörigkeit. Er gehört zum Arbeiter, aber er steht gleichzeitig darüber. Im Grunde macht ihm sein »Herrentum« zu schaffen. Der Nicht-Werkmeister wird für den Verkehr zwar nicht abgelehnt — es finden sich tatsächlich auch Bekannte in seinem Kreis, die Facharbeiter sind —, aber er hat andererseits ein ganz ausgeprägtes und auch für die Affektivität sicherlich sehr wirksames Bewußtsein, Vorgesetzter zu sein, und zwar Vorgesetzter von Facharbeitern. Er befindet sich also in einer eindeutigen Zwischenposition.

Da sich 2/303 nun abwechselnd mit den einen und den andern identifiziert, ist er einerseits der gegebene Vermittler, andererseits der, der von zwei Seiten angegriffen wird. Am Beispiel vom Werkmeister und subalternen Angestellten kann man die Intensität von Schrankenwirkungen erkennen. Der Werkmeister fühlt sich eher zu den Unterkastigen, der subalterne Beamte eher zu den Oberkastigen gehörig. Die Ekelschranke wirkt hier stärker als die Herrschaftsschranke. Diese Zwischenpositionellen sind in demokratischen Situationen die umworbensten Personen, da sie sich naturgemäß, wenn eine Partei die »Oberen«, die andere Partei die »Unteren« vertritt, zu jeder schlagen können. Je nachdem, ob die eine oder andere Schranke propagandistisch mehr in den Vordergrund geschoben wird, können sie sich auf die eine oder andere Seite stellen. Anders liegt die Identifikation mit einer fremden Kaste, wie wir sie bei vielen Dienstleistenden finden. Bei der Überschichtung der eigenen realen Position durch eine Identifikation mit einer höheren oder niederen ergibt sich wiederum jene Zwischenposition, die leicht das Überschichtende überbetont, um das Unterschichtete nicht ins Bewußtsein kommen zu lassen. Von daher ist die manchmal bestehende Super-Hausherrnmanier bei Hausmeistern zu verstehen und das Benehmen von Hotelportiers wovon wir oben sprachen.

Bild 'Lenin'


Ein hochinteressantes Beispiel für eine mit dieser Spielart verwandte Identifikation stellen jene Politiker dar, die sich mit Vorbildern identifizieren, wobei diese Identifikation bis in lächerliche Details gehen kann. Zu dieser Art von Sekundärtypen gehören etwa Galeazzo Ciano oder Walter Ulbricht. Der erstere bemühte sich vor allem, seinen Schwiegervater Mussolini zu imitieren, war also ein Sekundär-Mussolini, während Ulbricht sich in allem bemüht, ein Sekundär-Lenin zu werden. Vom Spitzbart angefangen, bis zu einstudierten Formen wird von ihm Lenin kopiert. Auch die Identifikation nach unten kann Extremverhalten zur Folge haben und unterkastige Formen überstark zur Geltung bringen (sozialistische Intellektuelle). Bei der Anbiederung ist die Identifikation nicht echt, wird also nur opportunistisch vollzogen.