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Anthony Alofsin: Architektur beim Wort nehmen#

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Anthony Alofsin: Architektur beim Wort nehmen. Die Sprache der Baukunst im Habsburgerreich und in seinen Nachfolgestaaten, 1867-1933. Verlag Anton Pustet Salzburg 2011. 320 S., durchgehend farbig illustriert, € 49,95

Seit der Renaissancezeit bringen Architekturtheoretiker Architektur mit Sprache in Verbindung. Doch Sprache ist vielschichtig und mehrdeutig. So bedient sich der Autor, Professor für Architektur und Kunst an der Universität von Texas, Austin, bei seiner historisch-kritischen Analyse des kontextuellen Formalismus: "Mit anderen Worten heißt das, dass das sichtbare Erscheinungsbild von Architektur - Raum, Licht, Farbe, Struktur, Muster - und ihr sozialer und historischer Kontext als Einheit betrachtet werden müssen."

Der amerikanische Autor hat die Baukunst im Habsburgerreich und seinen Nachfolgestaaten studiert, die zwischen den 1860er und 1930er Jahren entstanden ist. Den Einstieg bildet eine aufschlussreiche Zusammenschau über Geschichte und Politik. Dadurch werden Entwicklungen verständlich, welche die Architektur in Wien, Budapest, Prag und anderen Städten der Doppelmonarchie bestimmten. Wenn das Werk auf Sprachen der Architektur Österreich-Ungarns eingeht, ist nicht nur der Text anregend, großformatige Farbbilder ergänzen ihn und machen das Buch selbst zu einem Gesamtkunstwerk.

Die erste ist die "Sprache der Geschichte". Sie sollte imperiale oder nationale Identität sowie kulturelle oder politische Autorität zum Ausdruck bringen. Das erste prominente Beispiel ist Friedrich von Schmidts (1825-1891) Rathaus in Wien. Sein Projekt ging 1868 siegreich aus 64 internationalen Einreichungen hervor, bis zur endgültigen Fertigstellung vergingen 20 Jahre. "… in der öffentlichen Architektur Mitteleuropas suchte das Wiener Rathaus seinesgleichen. Darüber hinaus war es in technischer Hinsicht das fortschrittlichste Rathaus Europas", urteilt Alofsin. Schmidts Projekt in gotischen Formen stand im Gegensatz zum "offiziellen Wiener Stil der Neorenaissance". Ganz anders beim zweiten Beispiel, dem Tschechischen Nationaltheater in Prag, einem Werk von Josef Zitek (1832-1909). Ihm diente das übernationale Vokabular der Neorenaissance als Sprache einer spezifisch nationalen Identität. Die vielfältigen Anspielungen waren zumindest damals "für jeden informierten Bürger lesbar". Das dritte Beispiel führt nach Ungarn. In Pest errichtete der damals erst 26-jährige Architekt Otto Wagner (1841-1918) die Rumbach-Synagoge. Er orientierte sich an historischen Vorbildern, auch aus dem Islam, zeitgenössischen Synagogenbauten und verwendete neueste technische Errungenschaften, wie Gußeisensäulen. "Ein christlicher Wiener Architekt baut in Pest eine jüdisch-orthodoxe Synagoge im byzantinisch-maurischen Stil. " (Ines Müller). Der führende Kunstkritiker Ludwig Hevesy bescheinigte, noch ein Vierteljahrhundert später, Wagners Jugendwerk eine gültige Raumwirkung und bemerkenswerten Umgang mit den Materialien.

Otto Wagners Werke sind auch im zweiten,der "Sprache des Organischen" gewidmeten, Kapitel prominent vertreten. Mit dieser Sprache versuchten Architekten in Österreich-Ungarn, modernes Vokabular zu legitimieren, indem sie Anleihen bei der Natur machten. Die Wurzeln der internationalen Sprache des Organischen reichen bis in die antike und mittelalterliche Baukunst zurück, im 19. Jahrhundert war sie eine Art Protest gegen die Fehlentwicklungen des Historismus. Das klassische Beispiel ist die Wiener Secession mit dem "goldenen Krauthappel" von Joseph Maria Olbrich (1867-1908). Die Tschechen reagierten auf den Wiener Jugendstil mit ihrer eigenen "Secese", die französische Art-Nouveau-Einflüsse aufnahm. "Von Slowenien bis Galizien adaptierten auch andere Regionen den Jugendstil für ihre Zwecke. Ungarn fand zu einer eigenen besonders komplexen Verschränkung von Politik und Ästhetik."

Mit der "Sprache des Rationalismus" wollten die Architekten vermitteln, dass neue Formen auf wissenschaftlichen Grundlagen beruhen. Einfache, geometrische Formen sollten die rationalistische Haltung, Logik, Technik, Prinzip und Wahrheit zum Ausdruck bringen. Vorbilder fanden sich in der englischen Arts-and-Crafts-Bewegung. Auf österreichischer Seite sind, neben Olbrich, Max Fabiani (1865-1962) und Josef Hoffmann (1870-1956) zu nennen. Ihre Häuser, aber auch designete Gegenstände sind in faszinierenden Fotos abgebildet. Markante Beispiele aus Tschechien bilden das Stadtmuseum in Königgrätz/Hradec Králové, von Jan Kotéra (1871-1923) oder das ehemalige Kaufhaus Wenke in Jaromer von Josef Gocár (1880-1945).

Über das vierte Kapitel schreibt Anthony Alofsin: "Die Sprache des Mythos, die sich im Besonderen auf die Ursprungsmythen einer Nation berief, bot Architekten und ihren Auftraggebern eine weitere Möglichkeit, sich modern zu geben und sich von anderen Kulturen innerhalb der Monarchie abzugrenzen. Diese Sprache hat sich sowohl in kultureller als auch in politischer Hinsicht als komplexer und vielseitiger entpuppt als andere." In Ungarn besann man sich auf Volkskunstmotive und verknüpfte sie mit mythischen Ursprüngen des Volkes und dem legendären König Arpad. So finden sich u. a. zahlreiche aus der Stickerei übernommene Ornamente in den phantasievollen, überreichen Dekorationen des Kunstgewerbemuseums, das Ödon Lechner (1845-1914) in Budapest errichtete. Vernakulare (einheimische) Architektur manifestierte sich in Polen als Zakopane-Stil, in Galizien bei den Friedhöfen für die Opfer des Ersten Weltkriegs, von denen Dusan Jurkovic (1868-1947), nicht weniger als 32 plante, oder in Slowenien an der Genossenschaftsbank, die Ivan Vurnik (1884-1971) in Ljubljana errichtete.

Das abschließende Kapitel beschäftigt sich mit der "Sprache des Hybriden". Hier zieht der Autor die Parallele zur Vielsprachigkeit der österreichisch-ungarischen Monarchie. Auch deren Architektur zeigte sich polyglott und eklektizistisch. Wie im Gartenbau, sollte durch Hybridität der Baukunst Unterschiedliches gekreuzt und veredelt werden, um zu einem neuen, lebendigen Organismus zu gelangen. Das Kapitel beginnt mit der Handelskammer in Krakau, die Maczynski und Tadeusz Stryjenski planten und endet bei Clemens Holzmeisters (1886-1983) Wiener Krematorium.

Im Schlusswort schreibt Anthony Alofsin: "Die Herausforderungen, die sich der Sprache der Architektur stellten, waren nirgends so groß wie im Habsburgerreich und in seinen Nachfolgestaaten. Ungeachtet der Schwierigkeit der Lesbarkeit dieser Gebäude vermag eine aufmerksame Erkundung ihrer kommunikativen Potentiale nicht nur unser Wissen über die Geschichte der Region zu vertiefen, sondern auch ihr Verständnis für ihre heutige Komplexität zu erweitern."