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Marcel Atze, Tanja Gausterer (Hg.): Im Schatten von Bambi#

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Marcel Atze, Tanja Gausterer (Hg.): Im Schatten von Bambi. Felix Salten entdeckt die Wiener Moderne. Leben und Werk. Residenz Verlag Salzburg. 496 S., ill., € 34,-

Einige Jubiläen begleiten die Ausstellung des Wien Museums und der Wienbibliothek über Felix Salten (1869–1945). Vor 150 Jahren geboren, jährte sich sein Todestag zum 75. Mal. Seit fünf Jahren verwahrt die Wienbibliothek im Rathaus seinen Nachlass. Dieser umfasst zahlreiche Fotos, Lebensdokumente, Manuskripte, Unikate wie Arbeitsexemplare und die Sammlung von Briefen mit ca. 700 KorrespondenzpartnerInnen, wie Karl Kraus, Heinrich und Thomas Mann, Berta Zuckerkandl oder Stefan Zweig. Dazu kommt seine Bibliothek mit mehr als 2.300 Büchern. Die GestalterInnen der Ausstellung und die AutorInnen der beeindruckenden, reich illustrierten Begleitpublikation konnten also aus dem Vollen schöpfen.

Die Frage "Wer war Felix Salten?" ist nicht leicht zu beantworten. Man kennt ihn vor allem als Autor von "Bambi". Der Tierroman, "Eine Lebensgeschichte aus dem Walde", erschien ab 1922 zunächst in Fortsetzungen in der "Neuen Freien Presse", wenig später im Ullsteinverlag als Buch. 'Bambi' erwies sich, wie aus einem Brief des Verlegers vom Dezember 1925 hervorgeht, als Ladenhüter. Von den 8.000 gedruckten Exemplaren konnte nur die Hälfte verkauft werden… gab der Verlag ihm mit Herbst 1926 die Rechte zurück. Dies ist der Beginn einer Erfolgsgeschichte bei Paul Zsolnay …, schreibt Daniela Strigl. Nach einem Jahrzehnt hielt man bei der 8. Auflage und 55.000 Exemplaren. Die Geschichte des jungen Rehbocks ist nicht unbedingt ein Kinderbuch. Forscher und Kritiker konnten Anspielungen auf Religion, Philosophie und Zionismus herauslesen. Einer der Widersprüche in der Vita des Autors ist einerseits sein Engagement für den Tierschutz - er war Ehrenmitglied des Wiener Tierschutzvereins und publizierte in dessen Zeitschrift - andererseits ein begeisterter Jäger, der bei Stockerau ein Revier gepachtet hatte. Dass "Bambi" zum Welterfolg wurde, liegt nicht zuletzt an Walt Disney. Er veröffentlichte den teilweise veränderten Stoff als Zeichentrickfilm, der weniger düster und brutaler als das Buch ist. Salten war nicht nur Literat, er lebte ein halbes Jahrhundert hindurch von seiner Arbeit als Journalist und Kunstkritiker, wodurch er bedeutenden Einfluss auf das kulturelle Leben Wiens erlangte. Seine Redaktionen waren die "Allgemeine Kunst-Chronik", die "Wiener Allgemeine Zeitung", die "Zeit", das "Fremdenblatt" und die "Berliner Morgenpost". Er schrieb Feuilletons ebenso wie Tratsch- und Skandalgeschichten (was den befreundeten Arthur Schnitzler sehr irritierte). Als wichtige Figur des „Jung Wien“-Kreises um Hugo von Hofmannsthal war Salten Teil der literarischen Moderne - und Karl Kraus sein unerbittlicher Feind. Als Stichworte zu weiteren Facetten seiner schillernden Persönlichkeit nennen die Katalog-Autoren: erfolgloser Theatergründer, unglücklicher Literaturfunktionär, überzeugter Zionist, prägender Akteur der Zeitgeschichte, Funktionär und Netzwerker, Frauenheld und Familienmensch.

Felix Salten entstammte einer assimilierten, an liberalen Werten orientierten Familie. Sein Vater Philipp Salzmann war nicht wie die Vorfahren Rabbiner geworden, sondern absolvierte eine Ausbildung zum Ingenieur. Als Montanunternehmer hoffte er, in Ungarn ein Kohlevorkommen zu finden, das sich als Bergwerk ausbeuten ließ. Nach Fehlspekulationen ließ er sich in Budapest nieder. Hier wurde 1869 ihr Sohn Siegmund Salzmann, (ab 1911 Felix Salten) geboren, der sieben Geschwister hatte. Seine Kindheit verbrachte "Zsiga" in Wien, wo er eine katholische Volksschule, ein Gymnasium in Hernals und das renommierte Wasagymnasium besuchte. Felix Salten jagte in jungen Jahren amourösen Abenteuern regelrecht nach und befand sich diesbezüglich in einer Art Wettbewerb mit Arthur Schnitzler, stellt Kyra Waldner fest. Schnitzler war Trauzeuge, als der Vater mehrerer unehelicher Kinder 1902 in der Synagoge auf dem Alsergrund die Burgschauspielerin Ottilie Metzl heiratete. Die Partnerschaft dauerte 40 Jahre. Salten ertrug eheliche Auseinandersetzungen nur schwer und trachtete nach einem Streit stets nach Aussöhnung. Nachdem die Ehefrau auf ihre Bühnenkarriere verzichtet hatte, bekamen sie zwei Kinder, die ebenfalls Schauspieler wurden. Der Sohn Paul Jakob (1903–1937) arbeitete beim Film. Seinen größten filmischen Beitrag leistete Paul Salten bei der Herstellung der französischen Fassung der Verfilmung von Schnitzlers "Liebelei" unter der Regie von Max Ophüls. Sein Vater spielte bereits in der Phase der Entstehung des Drehbuchs als 'Schnitzlers nächster Freund' eine Rolle. Die Tochter Anna Katharina (1904–1977) studierte Malerei an der Wiener Kunstgewerbeschule und ergriff danach ebenfalls den Beruf der Schauspielerin und später der Übersetzerin.

Felix Salten erlebte die zu Ende gehende Monarchie, die Zeit der Ersten Republik, beide Weltkriege, Diktatur und Exil. 1939 erwirkte seine in der Schweiz verheiratete Tochter eine Aufenthaltsgenehmigung für ihre Eltern. 1945 starb Felix Salten in Zürich. Er war nicht nur der Autor von "Bambi", auch der pornographische Roman "Josefine Mutzenbacher" wurde ihm zugeschrieben. Dieser war 1906 anonym erschienen und, wie damals üblich, als Privatdruck in einer Auflage von 1000 Stück erschienen Da sich binnen 50 Jahren niemand zur Verfasserschaft bekannte, war das Werk 1956 urheberrechtlich nicht mehr geschützt und sollte verfilmt werden. Die Erben stellten anfangs Saltens Urheberschaft entschieden in Abrede. Später stellten sie Ansprüche auf vermeintlich zustehende Tantiemen und verloren den teuren juristischen Streit. Der Wiener Literaturhistoriker Murray G. Hall hat alle Für und Wider exakt recherchiert und kommt zu dem Schluss: Außer Vermutungen unterschiedlicher Überzeugungskraft liegt uns nichts vor, was bei Salten für die Verfasserschaft von "Josefine Mutzenbacher" konkret sprechen würde. … Der Sukkus der jahrelangen Mühen: Felix Salten war nicht der Verfasser. Hall ist einer von 18 BeiträgerInnen des umfassenden Katalogs, der neueste und oft überraschende Forschungsergebnisse vereint. Herausgegeben wurde das fast 500-seitige Werk von Marcel Atze, Leiter, und Tanja Gausterer, Mitarbeiterin der Handschriftensammlung der Wienbibliothek im Rathaus. Ihnen und den anderen AutorInnen wichtiger Forschungsinstitutionen ist eine großartige Dokumentation gelungen, die weit über die Ausstellungsdauer hinaus wirken wird.

hmw