!!! Thomas Hofmann: Es geschah in Transdanubien

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''Thomas Hofmann: Es geschah in Transdanubien. Neuigkeiten und Bilder von damals. Mit einem Vorwort von Beppo Beyerl. Edition Winkler-Hermaden Schleinbach 2020. 124 S., ill., € 21,90'' \\ \\

Für viele Bewohner der Innenstadtbezirke ist die Donau eine mentale Grenze. Floridsdorf und Donaustadt gehören für sie eigentlich gar nicht zu Wien. Dabei sind seit der Donauregulierung eineinhalb Jahrhunderte vergangen, der 21. und 22. Bezirk (mit späteren Grenzänderungen) ab 1904 eingemeindet. Das rund 150 km²  umfassende Gebiet weist großes Bevölkerungswachstum auf, unter anderem durch die Seestadt Aspern.  Nun widmet sich ein neues Buch der Edition Winkler-Hermaden "Transdanubien". Es ist bereits das fünfte ihrer Reihe ''Es geschah in …'', das Thomas Hofmann, der Leiter von Bibliothek, Verlag und Archiv der Geologischen Bundesanstalt in Wien, verfasst hat.  In bewährter Weise kombiniert der Autor historische Texte und Ansichten, von der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts bis in die Nachkriegszeit. Wieder findet er reiche Auswahl an Artikeln bei ANNO (AustriaN Newspaper Online), dem  virtuellen Zeitungslesesaal der Österreichischen Nationalbibliothek. Die Fülle an alltäglichen und besonderen Ereignissen gliedert er in sechs Themenkreise.

Den Einstieg zu den ''Großen Momenten'' bildet ''Die Probefahrt auf der k. k. priv. Kaiser Ferdinands Nordbahn am 23. November 1837''. Der Berichterstatter von Bäuerles Theaterzeitung schildert die Reise "von Floridsdorf nach Deutsch-Wagram 6993 Klafter in 26 Minuten" als "imposantes Schauspiel". Die genaue Beschreibung der Fahrt samt technischen Details findet ihre Ergänzung in zeitgenössischen Bildern. Doch bleibt - hier und in anderen Kapiteln - der Wunsch nach dem Gegenwartsbezug offen. (Mit dem Auto über die B8 wären die 14,5 km in 24 Minuten zu bewältigen, genau so lang brauchte die  Dampflok für den Rückweg.) 1911 fand im Floridsdorfer Werk der Firma Jacob Lohner & Co. ein "aviatisches Fest" statt. Zwei Erzherzoge besichtigten "die erste Aeroplanserie in Österreich". Die für den Flugzeugbau errichtete 70 m lange Halle war für den hohen Besuch festlich dekoriert, Musik und Büfett durften nicht fehlen. ''Herr Ludwig Lohner, der Chef des Hauses, sowie seine Gemahlin, Frau Melanie Lohner, entledigten sich ihrer Pflichten als Hausherr und Hausfrau in der liebenswürdigsten und aufmerksamsten Weise.''  Die Gäste drückten beiden "ihre Anerkennung in schmeichelhaften Worten aus." Ehe das zweite Kapitel ''Von Kämpfen und Kriegen'' handelt, erfährt man noch einiges über die 1946 erfolgte Eröffnung der (Floridsdorfer) "Malinowski-Brücke",  an der u.a. Bundeskanzler Figl und Bürgermeister Körner teilnahmen.

Der dritte Abschnitt  ist ''Naturgewalten und Tragödien'' übertitelt. Sie wurden hier häufig durch die Donau verursacht, wie die Überschwemmung 1830 oder der Eisstoß 1929. Dieser war für viele Wiener eine Sensation, die sie nicht versäumen wollten: ''Man führte eigene Sonderzüge von Heiligenstadt aus; die Straßenbahnen, die zur Reichsbrücke fuhren, waren überfüllt wie an den schönsten Gänsehäufeltagen des Sommers. … Tausende und Tausende bewunderten das faszinierende Schauspiel und scheuten trotz des beißenden Windes stundenlange Spaziergänge entlang des Uferrandes nicht … Entlang des ganzen Inundationsgebietes hatten sich überdies … eine Menge von fliegenden Ständen etabliert, die in den Eisstoßwanderern gute Kundschaften fanden. Die Maronibrater konnten nicht rasch genug arbeiten. … Wie bei einem richtigen Volksfest … bloß die Gefrorenesmänner waren diesmal zu Hause geblieben.''  Der 500 km lange Eisstoß, der bis Jugoslawien reichte, bot den Mitgliedern des Vereins "Verkühle dich täglich" Gelegenheit zur Ausübung ihres Mottos. 

''Von Räubern und Mördern'' hat auch Betrügereien zum Inhalt. 1909 lebte ein aus Niederösterreich ausgewiesener Mann unter verschiedenen falschen Namen in Wien. Gut gekleidet und mit einem geladenen Revolver bewaffnet, trat der 37-Jährige als "Pflastermeister Fischer" auf und verkaufte Pflastersteine, die er vom städtischen Lagerplatz entwenden ließ. Dabei halfen ihm - gegen Provision - Fuhrleute. Andere Vertreter dieses Gewerbes machten gemeinsame Sache mit Hausknechten des Gasthofes "Post-Rendezvous". Bevor sie die Fässer mit Brünnerstraßler zu ihren Abnehmern brachten, legten sie bei dem Stammersdorfer Wirtshaus eine Rast ein. Dort wurde Wein abgezapft und der Rest mit Wasser vermischt. 

In der Zwischenkriegszeit kam es in Transdanubien zu wichtigen städtischen Infrastrukturprojekten. Dazu zählten 1899 die Eröffnung der elektrischen Straßenbahn in Kaisermühlen und 1903 der Dampftramway nach Auerstal. Das Gaswerk in Leopoldau erhielt 1929 einen 106 Meter hohen Gasometer, ''die Türme der Votivkirche würden in dem Gasbehälter bequem Platz finden.''  Mit einem Fassungsraum von 300.000 Kubikmetern war er (nach einer Anlage im Ruhrgebiet) der zweitgrößte Europas. Gleichzeitig baute die Gemeinde Wien in Jedlesee die Gartenstadt (Karl-Seitz-Hof) mit 1800 Wohnungen. Wenige Jahre später entstand die Stadtrandsiedlung Leopoldau mit Kleingartenparzellen für "insgesamt 425 Arbeitslosen-Familien." Nur einige dieser Häuser haben sich erhalten. Völlig obsolet geworden ist hingegen der Großsender auf dem Bisamberg, der 1933 bis 1945 und nach der Zerstörung neu aufgebaut, 1959 bis 1995 in Betrieb war. Der Sendemast, mit 265 m das höchste Bauwerk Österreichs, wurde wie der zweite, 2010 gesprengt. Die Mittelwelle hatte ausgedient, die Erhaltung erschien unrentabel. 1933 hatte es in der Wochenschrift "Radio Wien" geheißen: ''Die Empfangsmeldungen aus allen Teilen Österreichs und des gesamten Auslandes sind gleichfalls ausgezeichnet. Überall wird von einer starken Erhöhung der Lautstärke, von der besonderen Reinheit der Sendungen … gesprochen.'' Der Artikel geht auch auf die Zahl der "Rundspruchteilnehmer" ein: Im Gründungsjahr 1924 hatte die Radio Verkehrs AG (Ravag) 94.000 Hörer,  Ende 1932 waren es 492.000.

Das Buch schließt mit ''Freud und Leid im Alltag''. Es wird den Bewohnern der Innenbezirke Einblicke in ihre ''terra incognita'' schenken und in Transdanubien viele Erinnerungen wecken. Den einen und den anderen erschließt sich, wie dem Autor, "ein faszinierendes Panoptikum". Thomas Hofmann schreibt: ''Ich nähere mich neugierig und demütig den einstigen Dörfern, die nun alle zu Wien gehören, an. Für mich, und wahrscheinlich auch für andere, eröffnet sich ein bunter Reigen voller noch zu entdeckender Orte in Wien. '' \\ \\


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