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Monique Scheer - Pamela E. Klassen (Hg.): Der Unterschied, den Weihnachten macht#

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Monique Scheer - Pamela E. Klassen (Hg.): Der Unterschied, den Weihnachten macht. Differenz und Zugehörigkeit in multikulturellen Gesellschaften. Mit Beiträgen von Marion Bowman (Open University), Juliane Brauer (MPI Berlin), Simon Coleman (Toronto), Yaniv Feller (Wesleyan University), Pamela E. Klassen (Toronto), Christian Marchetti (Tübingen), Helen Mo (Toronto), Katja Rakow (Utrecht), Sophie Reimers (Berlin), Monique Scheer (Tübingen), Tiina Sepp (Tartu) und Isaac Weiner (Ohio State University) und einem Nachwort von Hermann Bausinger (Tübingen). TVV Tübinger Vereinigung für Volkskunde 2019. 324 S., ill., € 22,-

Erst seit zwei Jahrhunderten feiert man Weihnachten in der heute üblichen Form als Familien- und Schenkfest. Genau so alt ist auch die Kritik an den Bräuchen. Man denke nur an Erzherzog Johann, der angesichts eines der ersten Wiener Christbäume bei seinem Bruder 1823 in seinem Tagebuch klagte: "… Nun ist kein Kripperl mehr! Wir sahen einen Graßbaum mit vielem Zuckerwerk und Lichteln und ein ganzes Zimmer voll Spielereien aller Art und wahrlich manches sehr Schönes und Vieles, welches in wenigen Wochen zerschlagen, zertreten, verschleppt sein wird und welches gewiß tausend Gulden gekostet. … (als ich) alles von einer Pracht mit einem solchen Aufwand gemacht sah, da wurde es mir fremd, ich fand mich so einsam und keinen frohen Blick konnte ich mehr machen." Das bekannte Zitat findet sich nicht im vorliegenden Band, trifft aber genau die Thematik vom Eigenen und Fremden. Ist Weihnachten "noch" ein religiöses Fest oder "nur noch" ein kulturelles? Der katholische Habsburger-Erzherzog Johann kritisierte den Lebensstil seiner Schwägerin, der evangelischen Prinzessin Henriette von Nassau-Weilburg, die auch nach ihrer Ehe mit Erzherzog Karl (1815) nicht konvertierte. Sollte den steirischen Prinzen außer dem Luxus auch die konfessionell andere Festgestaltung gestört haben? Weihnachtsfeiern mit Christbaum bestanden in der Familie Karls offenbar seit 1816.

Doch gibt es schon zwei Jahre vorher den Bericht eines Geheimpolizisten, dass der Bankier Nathan Arnstein und seine Frau Fanny, die einen berühmten Salon führte, ein "Weihnachtsfest nach Berliner Sitte" begingen. "Alle getauften und beschnittenen Anverwandten des Hauses" nahmen teil. Es gab einen Weihnachtsbaum, an dem Geschenke hingen und eine Dame sang "Lieder vom Kasperl". Dieses Fest beschreibt Yaniv Feller in seinem Beitrag Oy Tannenbaum, Oy Tannenbaum. Als Kurator des Jüdischen Museums Berlin dekorierte er den Ausstellungsabschnitt zum Familienleben, mit einer geschmückten Tanne, wie dies schon 1899 im Jüdischen Museum in Wien der Fall war. Daneben zeigt eine Karikatur aus dem Jahr 1904 mit dem Titel "Darwinistisches" die Transformation eines Hanukkah-Leuchters zu einem geschmückten Weihnachtsbaum. Ebenfalls zu sehen ist ein Portrait Theodor Herzels. Der Gründervater des Zionismus hatte kein Problem, einen Hanukkahbaum in sein Wohnzimmer zu stellen, doch nahm der konservative Wiener Oberrabbiner daran Anstoß. 2005 hatte die Ausstellung "Weihnukka" kontroverse Reaktionen hervorgerufen. Der aus Weihnachten und Hanukkah zusammengesetzte Feiertag wurde von orthodoxen Kreisen als Synketismus betrachtet, "als sündhafte Mischung von Dingen, die getrennt bleiben sollten." Andererseits konnte man in der Zeitung lesen, dass die Schau Wünschen von jüdischen und nichtjüdischen Menschen entgegenkomme und auch in vielen deutsch-türkischen Familien Weihnachtsbäume stünden.

Den deutsch-türkischen Weihnachten ist der Beitrag gewidmet, den Sophie Reimers nach ihrer Feldforschung bei einer muslimischen Drei-Generationen-Familie verfasste. Im Großen und Ganzen bestätigte sich, was der Film "Almanya" (2011) anspricht: Das Gefühl des Fremdseins und Generationenkonflikten. Die Szene vom ersten "deutschen Weihnachten" zeigt humoristisch überzeichnet, dass sich die Kinder als Weihnachtsexperten der Familie verstehen und ihrer Mutter das fremde Ritual erklären: "Du musst erst die Geschenke unter den Baum legen und dann mit der Glocke läuten." Doch gibt es nach wie vor Familien, die das christliche Fest ablehnen und andere, die Kompromisse suchen. "Diese immer weiter säkularisierten Feiertage werden verschiedenen Kontexten auf unterschiedliche Weise angepasst und erscheinen ebenso hybrid wie die AkteurInnen ihres globalisierten Umfeldes. … Diese neu in Anspruch genommenen Elemente von Weihnachten werden in einen neuen Kontext gestellt und mit alternativen Bedeutungen ausgefüllt."

Weihnachten macht Unterschiede – wie, welche und was daran für die AutorInnen kritikwürdig ist, behandeln die zwölf Beiträge des Sammelbandes. Er hinterfragt den Status des Festes als schutzbedürftiges kulturelles Erbe und untersucht die Ängste vor dem möglichen Verlust seiner christlichen oder nationalen Symbolkraft. Einige Themen: Weihnachtsforschung als Konfliktforschung, "Wie der Grinch Weihnachten gestohlen hat!", Weihnachtslieder und Weihnachtsgefühle am Beispiel von "Stille Nacht", deutsche Volkskunde und deutsche Weihnachten, Siedlungs-Multikulturalismus, Weihnachtskrise an einer kanadischen Schule, "Christmas on A Great Street" in Singapur, Weihnachten in englischen Kathedralen. Den Epilog "Weihnachtsstimmung" verfasste Hermann Bausinger. Der langjährige Tübinger Professor gilt als einer der führenden Köpfe der deutschen Nachkriegsvolkskunde, der die programmatische Wende zu einer empirischen Kulturwissenschaft einleitete. Sein Fazit: "Die vielseitigen Studien in diesem Band führen vor, wie verschieden Menschen in verschiedenen Räumen und auch verschiedenen Zeiten mit dem Angebot einer zunächst fremden und ungewohnten Festzeit umgehen. … In Analogie zum Schritt von der Religion zum Religiösen könnte man formulieren, dass Weihnachten weniger gefragt ist als Weihnachtliches. … Die weihnachtliche Stimmung evoziert Gefühle, die von der eigenen religiösen Formensprache her vertraut sind und die, optimistisch gesehen, Wege zu ihren neuen Nachbarn bahnen."

hmw