Ch. Thun-Hohenstein, M. Boeckl, R. Franz, Ch. Witt-Dorring (Hg.): Josef Hoffmann#
Ch. Thun-Hohenstein, M. Boeckl, R. Franz, Ch. Witt-Dorring (Hg.): Josef Hoffmann 1870–1956 Fortschritt durch Schönheit. Das Handbuch zum Werk. MAK Wien, Birkhäuser Verlag Basel. 456 S., ill., € 69,95
Dieses Handbuch ist kein handliches Buch, das wäre bei der Fülle des Materials, den qualitätvollen Texten und 480 Farbillustrationen weder möglich noch erstrebenswert. Vielmehr handelt es sich um das erste umfassende Buch zum Oeuvre des bahnbrechenden Architekten und Designers Josef Hoffmann (1870-1956). Es ist zur Retrospektive "Fortschritt durch Schönheit" anlässlich seines 150. Geburtstags im Museum für angewandte Kunst (MAK) erschienen. Namhafte ExpertInnen haben mit mehr als 40 illustrierten Essays ein Standardwerk geschaffen, das dem "Vielgestalter" gerecht wird. Die Themen umfassen Secession, Lebensreform und Auftraggeber ebenso wie die Wiener Werkstätte, Hoffmanns internationale Wirkung und vieles andere. Dazu kommen großzügige Bildstrecken, eine detaillierte Biografie und ein umfassender Dokumentationsteil.
Der vor eineinhalb Jahrhunderten im mährischen Brtnice/Pirnitz geborene Künstler war nicht nur vielseitig, sondern auch einer der am längsten kreativ Tätigen. Gleichzeitig mit seinem Widerpart Adolf Loos besuchte er nach dem Gymnasium in Iglau/Jihlava die Höhere Staatsgewerbeschule in Brünn/Brno. Gleich nach der Matura arbeitete Hoffmann als Praktikant im Militärbauamt in Würzburg und begann ein Jahr später das Studium an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Hier prägten ihn die Ideen seines Professors Otto Wagner, in dessen Atelier er 1897 eintrat. Im selben Jahr wurde die Secession gegründet - und Josef Hoffmann Gründungsmitglied. Er gestaltete das Innere des Neubaues und kuratierte Ausstellungen. Schon mit 29 Jahren erreichte ihn der Ruf als Professor der Kunstgewerbeschule. Bis zu seiner Emeritierung 1936 unterrichtete Josef Hoffmann dort Architektur und Kunstgewerbe.
Die Herausgeber gliedern das faszinierende Buch "Fortschritt durch Schönheit" nach neun Schaffensperioden (1870-1900, 1901-1906, 1907-1910, 1911-1918, 1919-1925, 1926-1933, 1934-1938, 1939-1945 und 1939-1945). Jedes der Großkapitel enthält eine Reihe von Essays zu den Werken Hoffmanns aus der jeweiligen Epoche. In die erste fallen die Villen auf der Hohen Warte. Es waren die ersten Wohnhäuser, die er in Wien plante. Ursprünglich als Künstlerkolonie gedacht, besteht das Ensemble aus einem Doppelhaus und sechs Einfamilienhäusern. Es folgt den Idealen der Lebensreformbewegung und des Gesamtkunstwerks. Die Künstler Carl Moll und Koloman Moser teilten sich das Doppelhaus, für das Hoffmann auch die Gartenanlagen gestaltete. Die nächsten beiden Häuser ließen sich die Fotografen Hugo Henneberg und Viktor Spitzer bauen. Die späteren - für Alexander Brauner, Helene Hochstetter und den Eisenbeton-Pionier Eduard Ast - stehen in Zusammenhang mit der Wiener Werkstätte (WW). Diese Produktionsgemeinschaft bildender Künstler gründeten Josef Hoffmann, Koloman Moser und der Industrielle Fritz Waerndorfer als Mäzen anno 1903.
Im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts plante Josef Hoffmann seine markantesten Gesamtkunstwerke. Das Sanatorium Westend in Purkersdorf, eine Wasserheilanstalt samt Kurpark mit Heilquelle, war eher ein Hotel und Treffpunkt der Wiener Gesellschaft. Für den revolutionären Eisenbetonbau zeichnete die Firma von Eduard Ast verantwortlich. An der Innenausstattung und Fassadengestaltung war Koloman Moser maßgeblich beteiligt. Fast wäre das Baujuwel demoliert worden, doch stellte man 1995 mit einer Außenrenovierung das ursprüngliche Aussehen wieder her. 2003 folgte die Innenrenovierung des Sanatoriums, das nun als Seniorenresidenz dient.
Das zweite Prestigeprojekt, das Palais Stoclet in Brüssel, ist seit 2009 Teil des UNESCO-Welterbes. Die Architektur des Palais Stoclet ist "anders als alle Gebäude überhaupt, die einem in den Sinn kommen." In vielfacher Hinsicht blieb sie ein singuläres Phänomen ihrer Zeit, schreibt der Architekturhistoriker und -publizist Matthias Boeckl. Die Planung des Palais Stoclet umfasste das Wohnhaus samt Innenausstattung in kostbarster Ausführung, Gartenanlagen und Nebengebäude. Die besten Künstler der Zeit wirkten bei der Ausstattung mit, wie Gustav Klimt mit dem berühmten "Stoclet-Fries".
Die Jahre bis zum Ersten Weltkrieg prägen vor allem Wohnungseinrichtungen, wie die für Anton und Sonja Knips in Wien, für Heinrich Böhler in München und St. Moritz, für Berta Zuckerkandl und Paul Wittgenstein senior sowie die Innenausstattung einiger Verkaufsräume der Wiener Werkstätte … Während des Ersten Weltkriegs entwirft Josef Hoffmann für die WW patriotische Kriegsgläser und Soldatenfriedhöfe, erfährt man in dem großartigen neuen Standardwerk. Über die Zeit 1919 bis 1925 heißt es dann: Es ist die Zeit der größten internationalen Anerkennung Hoffmanns, der nicht nur mit einem Orden der französischen Ehrenlegion ausgezeichnet wird, sondern auch eine Einladung erhält, den Beitrag über moderne Innenarchitektur für die 14. Auflage der Encyclopedia Britannica zu schreiben. Die Stadt Wien beauftragt Hoffmann mit der Planung der Wohnhausanlage Klosehof …
1927 musste die Wiener Werkstätte Ausgleich anmelden, 1931 konnte sie ihr 25-jähriges Bestehen feiern, doch folgten schon ein Jahr später Konkurs und Auflösung. Danach beschäftigte sich der Architekt mit sozialen Wohn- und Siedlungsbauten. 1919 bis 1933 entstanden in der Bundeshauptstadt 60.000 Gemeindewohnungen. Das Rote Wien engagierte für die enorme Bauaufgabe prominente Otto-Wagner-Schüler. Am meisten profitierte die Stadtverwaltung vom Namen des international renommierten Architekten Hoffmann. Dieser hatte "keinerlei Berührungsängste mit der sozialdemokratisch dominierten Wiener Stadtverwaltung" und bezeichnete sich als unpolitischer Mensch. Doch trachtete er, politische Konstellationen zu nützen, wenn ihm diese für die Umsetzung seiner künstlerischen Vorstellungen dienlich erschienen, schreibt Elisabeth Boeckl-Klamper. Sie spricht von einem "temporären Karriereknick" im "Ständestaat".
Die Historikerin liefert auch eine Bestandsaufnahme seiner Einstellung zum Nationalsozialismus. Ihr Resümee: Man kann davon ausgehen, dass Hoffmann weder ein Anhänger der NS-Ideologie war, noch die politischen Ziele der NSDAP teilte und schon gar nicht mit seinen Kunstvorstellungen der Kunstpolitik des NS-Regimes Vorschub leistete. Zum architektonischen Werk nach dem Zweiten Weltkrieg zählen drei Gemeindebauten in Wien und eine Schule in Langenzersdorf. Entwürfe für private Wohnhäuser und das Rathaus in Addis Abeba wurden nicht realisiert. Bis zuletzt designete Hoffmann kunstgewerbliche Gegenstände für Lobmeyr Glas und Augarten Porzellan. Nach seinem 80. Geburtstag erhielt er den Großen Österreichischen Staatspreis, das Ehrendoktorat der TU Wien und hohe internationale Auszeichnungen. Seinen 85. Geburtstag feierte er im Palais Stoclet in Brüssel und starb wenige Monate später in Wien an einem Schlaganfall.
Christoph Thun-Hohenstein, 2011 bis 2021 MAK-Generaldirektor, der die große Jubiläumsausstellung plante, würdigt Josef Hoffmann als "reformbeseelten Ästheten und Gestaltungsgenie". Es zeichnet ihn aus, dass er nie zu träumen aufgehört hat. Und vielleicht ist die Zeit für die Erfüllung seines Traums einer zukunftsfähigen Qualitätsgesellschaft jetzt reif. Es wäre ihm und uns zu wünschen.