!!! Christoph Frühwirth: Volksweisheiten und Aberglaube im Alpenraum

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'' Christoph Frühwirth: Volksweisheiten und Aberglaube im Alpenraum.
Servus Verlag Salzburg - Wien.  208 S., ill., € 24,- '' \\ \\

1927 begann die Edition der 10-bändigen Enzyklopädie "Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens" (HdA), die bis 1942 abgeschlossen war. Die Schweizer Volkskundler Eduard Hoffmann-Krayer und  Hanns Bächtold-Stäubli hatten dafür eine Million handschriftlicher Karteikarten als Materialsammlung angelegt. Nach fast einem Jahrhundert gilt das Mammutprojekt als "wissenschaftlich veraltet", wird aber "heute noch von Journalisten und anderen Laien benutzt". Davor warnen namhafte Vertreter der Europäischen Ethnologie. Für Kulturwissenschaftler ist das HdA als Dokument der Fachgeschichte interessant und - mit entsprechender Vorsicht und Vorbildung genossen -  „ein immer noch unentbehrliches Nachschlagewerk.“ (Wikipedia). 

Die langjährige Kuratorin des Joanneums  Eva Kreissl meinte, das HdA solle „mit gleicher Vorsicht“ gelesen werden wie die Online-Enzyklopädie Wikipedia. Die Ethnologin war 2011 wesentlich am Forschungsprojekt "Superstition - Dingwelten des Irrationalen" mit abschließendem Symposion und Sonderausstellung in der  Volkskunde-Außenstelle des Universalmuseums am Paulustor beteiligt. 2013 gab sie den Sammelband ["Kulturtechnik Aberglaube"|Kunst_und_Kultur/Bücher/Bücher_über_Österreich_2013/Kreissl_-_Kulturtechnik_Aberglaube] heraus. 

Eva Kreissl ist eine der ExpertInnen, die der Buchautor, Journalist und Dramatiker Christoph Frühwirth für sein jüngstes Werk interviewt hat. Frühwirth ist vor allem für den Film "Der Blunzenkönig" (1915) mit Karl Merkatz (1930-2022) bekannt. Mit dem populären "Mundl"-Darsteller verband ihn eine wertvolle Freundschaft. '' Der beliebte Volksschauspieler war ein tiefgläubiger Mensch. … Karl hat auf seinem Grundstück in Irrsdorf am Waldesrand einen Marienaltar gemauert, den er gepflegt hat wie das Grab der eigenen Mutter. '' 

''Zahlen spielen im Aberglauben … eine wichtige Rolle, auch deshalb habe ich mich dem Thema in neun Kapiteln angenähert.'' Der Autor befragte Menschen, die sich von Berufs wegen mit dem Thema auskennen. Nur zum Thema ''Zahlenmagie'' wollte ihm niemand Auskunft geben.  In "erhellenden und vergnüglichen" Texten verknüpft Frühwirth Interview-Ausschnitte gekonnt mit eigenen Erfahrungen und Feststellungen aus unterschiedlichen Quellen. Zwar bleiben "Uralte Vegetationsriten" à la HdA der Leserschaft erspart, doch ganz ohne Binnenexotismus und Phantasie geht es auch in diesem Buch nicht.

Das erste Kapitel beschäftigt sich mit ''Liebeszauber''. Darüber sprach der Autor mit Gabriele Kuhn-Hufnagl. Gemeinsam mit ihrem Mann Michael Hufnagl erlaubt sie in der "Kurier"-Wochenendausgabe Einblicke in ihren Ehealltag. Heiratsorakel und Liebeszauber, Hochzeitsbräuche und ähnliches waren früher weit verbreitet. Christoph Frühwirth hat eine skurrile Beispielsammlung zusammengestellt und die Journalistin gefragt: '' "Ist der Hochzeitstag wirklich der schönste Tag im Leben einer Braut ?" Die Antwort kommt kurz und bündig: "Das ist ein Klischee". Denn eigentlich sei dieser Tag mit unglaublich viel Stress verbunden.''  Am Dienstag sollte man früher nicht heiraten, der Donnerstag schien geeigneter. ''Ob das wohl daran liegt, dass in vergangener Zeit Hochzeitsfeiern immer bis Sonntag andauerten und sich der Brautvater durch eine Terminverlegung vom Dienstag auf den Donnerstag bares Geld sparen konnte, sei dahingestellt'', überlegt Frühwirth.

Überhaupt erschien die Tagewählerei für Entscheidungen, Feste oder bestimmte Arbeiten von Bedeutung. Dabei verließ man sich auf Mondphasen ebenso wie auf den Kalender. Über ''Kalendersprüche'' hat sich der Autor mit dem Landesbibliothekar des Burgenlandes, Jakob Perschy, unterhalten. So zitiert der Autor den Spruch ''Pauli, Pauli, lass mich schau'n, mit wem wird man mich bald schon trauen ?'' Zu Pauli Bekehrung am 25. Jänner, ''durfte man darauf hoffen, dass einem der spätere Ehepartner im Traum erschien. Perschy beschreibt das pragmatisch in einer Art Selbstversicherung: "Von wem wird ich wohl träumen, wenn ich eh schon verliebt bin…?" Der Wunsch war also der Vater des Gedankens.''

Für ''Glaube und Aberglaube'' hat sich der Autor den Pfarrer seines Wohnortes Purbach im Burgenland als Gesprächspartner ausgesucht. Roman Schwarz stellte gleich zu Beginn des Treffens fest: '' "Die letzten Fragen des Glaubens sind immer verbunden mit Vertrauen" … Für Pfarrer Schwarz ist die Religion das theoretische Fundament jedes Gläubigen. Legt man ihn sich für sein eigenes Leben zurecht, wird dieser Glaube zur Volksfrömmigkeit. Diese zeichne sich für ihn vor allem dadurch aus, dass sie nie im Widerspruch zu den von der Kirche festgelegten Glaubensaussagen steht. Alles, was drüber hinausgeht, was letztlich im Zweifel an Gott endet, ist für ihn Aberglaube.'' Während der Autor dem Seelsorger wertschätzend begegnet, fallen im Buch  wiederkehrende kirchenkritische Meinungen auf.

Sie finden sich auch im Interview mit Magic Christian. ''Der Weltmeister der magischen Künste ist ein universell gebildeter Mann. Er ist weit gereist und stützt sein Wissen auch auf sein persönliches Interesse an Phänomenen und Büchern aller Art. Er ist einer, der Dinge nicht nur beim Namen nennt, sondern auch hinterfragt. … Bei meinem ersten Gespräch mit Magic Christian hat er einen bemerkenswerten Satz gesagt: "Einer der größten Feinde der Wahrheit ist der Aberglaube." '' Weil die Leute ihr bescheidenes Wissen nicht nur durch Erfahrungswerte füllen konnten, hätten sie an Übernatürliches geglaubt, das rationale Weltbild in Frage gestellt und die Wahrheit lieber im Aberglauben gesucht. 

Das wichtigste Anwendungsgebiet magischer Praktiken war die Gesundheit. Darüber sprach der Autor mit dem langjährigen Landarzt Hans Gasperl, ''der den Aberglauben nicht von vornherein in Frage stellt, sondern ihn als "Zusatzglauben" verstanden wissen möchte''. Der Mediziner aus Eben im Pongau, der populäre Bücher schreibt und eine Fernsehsendung moderiert, beschäftigt sich mit den Zusammenhängen zwischen Natur, Mensch und Wissenschaft. Das wichtigste ist ihm die Zuwendung zu den Patienten. So konnte er z. B. "mit einer bestimmten Zeremonie" Kinder von Warzen befreien. Das "Wenden" war ein in der Volksmedizin weit verbreitetes Ritual.

Schließlich hat sich Christoph Frühwirth mit Anna-Theres Stern unterhalten. Sie ist Rauchfangkehrermeisterin im Familienberieb und leitet das von ihrem Vater gegründete Rauchfangkehrermuseum in Wien. Dort veranstaltet sie alljährlich zu Neujahr eine Sonderausstellung mit zahlreichen Schweinchen, Kleeblättern, Hufeisen und Rauchfangkehrern. Anders als andere Glückssymbole konnten diese wirklich Glück bringen. Durch die Pflege der Kamine verminderten sie die Brandgefahr und sicherten dadurch die Existenz der Hausbewohner. In einer Anekdote schildert Stern, wie einer in Ausübung seines Berufes in der Hofburg von einem Komplott gegen das Kaiserhaus hörte. Nachdem er seinen Arbeitsplatz im schliefbaren Kamin verlassen hatte, deckte er den bösen Plan auf. "Er hat also seiner Kaiserin Glück gebracht, und zwar im wahrsten Sinn des Wortes", erzählte die Museumsleiterin.

Bevor der Autor zum Schlussort ''Blackout'' ansetzt - ein Stromausfall erinnerte ihn, dass früher, als der Aberglauben blühte, Alltag ohne Elektrizität der Normalfall war - bringt er einige Spezialkapitel: Alpenpflanzen und Aberglauben, Glückssymbole und ihre Bedeutung, Abergläubisch durch den Tag - durch die Woche - durchs Jahr - Abergläubisches Feiertags-Abc. Wenn auch etliche Behauptungen der Wissenschaft nicht standhalten, ist das wohl nicht so schlimm, denn das Buch ist für eine breite Leserschaft gedacht. ''Ein augenzwinkernder Blick in die magische Welt des Alpenraumes, die bis heute lebendig ist'', verspricht der Verlag und der Autor ist überzeugt, dass ''im Aberglauben damals wie heute eine Stütze für das alltägliche Leben gefunden werden kann.''\\ \\


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