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Ernst Karl Winter: Die Geschichte des österreichischen Volkes#

Bild 'Winter'

Ernst Karl Winter: Die Geschichte des österreichischen Volkes. Herausgegeben und kommentiert von Paul R. Tarmann, mit einem Beitrag von Gérard Grelle. Plattform Verlag Perchtoldsdorf. 370 S., ill., € 25,-

Unter den zahlreichen Neuerscheinungen zum Jubiläums- und Gedenkjahr 2018 ist dieses Buch etwas Besonderes. Das Manuskript wurde nach mehr als 70 Jahren erstmals gedruckt. Der Soziologe und Politiker Ernst Karl Winter (1895-1959) hat das (unvollendete), mit "Herzblut" (P. Diem) geschriebene Werk im Sommer 1945 abgeschlossen. Bei der historischen Abhandlung ging es dem Autor nicht - wie sonst üblich - um die Beschreibung von Herrscherdynastien und militärischen Ereignissen. Sein Hauptanliegen war eine Identitätsbestimmung des "österreichischen Volkes". Er will, so Gérald Grelle im Vorwort, "die Kontinuität der 'österreichischen Idee' durch die ganze Geschichte des Landes nachweisen. … Er will unbedingt die ethnologischen Wurzeln des österreichischen Volkes als ein unabhängiges Volk in Mitteleuropa dokumentieren." Dessen Geschichte sieht Winter durch "das romanische Erbe, den slawischen Einschlag und die germanische Überdachung bestimmt." Dass er 1945 das "Germanische" abwertet, erklärt sich aus seiner Lebensgeschichte.

Als einzige Kind einer Währinger Bürgerfamilie geboren, trat Ernst Karl Winter der katholischen Jugendbewegung bei. Im Ersten Weltkrieg meldete er sich als Einjährig-Freiwilliger, wo bei den Tiroler Kaiserschützen Engelbert Dollfuß sein Kamerad war. 1922 schloss Winter sein Studium der Rechts- und Staatswissenschaft, Soziologie und Geschichte an der Universität Wien ab. 1934 bis 1936 amtierte er als dritter Vizebürgermeister von Wien und wurde durch die von ihm initiierte "Aktion Winter" bekannt. Dabei handelte es sich um den Versuch einer Annäherung von Christlichsozialen bzw. Vaterländischer Front und Sozialdemokraten sowie Kommunisten zur gemeinsamen Abwehr des Nationalsozialismus. Der Versuch misslang, er verlor sein Amt und emigrierte 1938 mit seiner Frau und sieben Kindern in die USA. Dort lehrte er bis 1942 Sozialphilosophie und Soziologie an der New York School for Social Research. Seine Bemühungen, in den USA eine österreichische Exilregierung zu gründen, scheiterten. Winter zog sich aus der Politik zurück und schrieb "Die Geschichte des österreichischen Volkes".

Bei der vorliegenden Veröffentlichung handelt es sich nicht um eine textkritische Ausgabe. "Aus heutiger Sicht historisch inkorrekte Behauptungen Winters wurden nicht anhand neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse ergänzt oder kommentiert. … Vielmehr soll der Text in seiner Einzigartigkeit für sich selber sprechen", schreibt der der Philosoph Paul R. Tarmann als Herausgeber, der Winter als "Kind seiner Zeit" bezeichnet. Das erklärt zwar - damals noch übliche - Formulierungen wie Rassentypen, Volkscharakter oder "das Eindringen fremden Blutes", hinterlässt aber doch einen befremdlichen Eindruck. Auch die "lückenlose Kontinuität" kann heute nicht mehr behauptet werden, obwohl der Autor seine Theorien gegen die zuvor gängigen nationalistischen stellt. Man muss sich bei der Lektüre ständig vor Augen halten, dass Winter ein entschiedener Gegner des Nationalsozialismus und Faschismus war.

"Ungewöhnlich bis gewagt ist auch Winters Einteilung der 'Geschichte des österreichischen Volkes' in drei Abschnitte, die Wertungen gleichkommen. So gibt es eine 'Frühgeschichte', eine 'Hoch-Zeit' und eine 'Ernte-Zeit'. … Darüber hinaus ist ein Volk keine Einheit und lässt sich daher kaum als solches definieren" , gibt der Herausgeber zu bedenken. Paul R. Tarmann nennt das Buch ein zeitgeschichtliches Dokument an der Schwelle zwischen dem Zweiten Weltkrieg und der Gründung der Zweiten Republik. Die unkonventionellen Thesen sollten zu einem neuen Verständnis des österreichischen Menschen beitragen. "Winter geht es um einen neuen, 'unschuldigen' Patriotismus im Sinne einer Liebe zur Heimat, die fern von jeder Überheblichkeit und jedem Nationalismus sich in der Dankbarkeit für das Überlieferte, von alters her Geschenkte zeigt. Nur ein mit sich, seiner Geschichte und seinen Mitmenschen versöhnt lebender Mensch ist befähigt, verantwortlich und vorausschauend an der Zukunft mitzuwirken."

Dr. Helga Maria Wolf