Wir freuen uns über jede Rückmeldung. Ihre Botschaft geht vollkommen anonym nur an das Administrator Team. Danke fürs Mitmachen, das zur Verbesserung des Systems oder der Inhalte beitragen kann. ACHTUNG: Wir können an Sie nur eine Antwort senden, wenn Sie ihre Mail Adresse mitschicken, die wir sonst nicht kennen!
unbekannter Gast

Notiz 005: Wegmarken#

von Martin Krusche

Ich befasse mich nun seit einigen Jahren mit einem kulturellen Zeichensystem, das uns in erstaunlicher Dichte umgibt. Bildstöcke, Wegkreuze und alle anderen Varianten dieser Wegmarken sind zum geringeren Teil von der Kirche oder anderen Institutionen errichtet worden. Sie sind Ausdruck von Volksfrömmigkeit und haben ihre Hauptfunktion in Fragen der Alltagsbewältigung. (Dazu das aktuelle Projekt "Wegmarken".)

Von so schlichten, schönen Figuren bis zu unansehnlicher Massenware kommt unterwegs alls vor. (Foto: Martin Krusche)
Von so schlichten, schönen Figuren bis zu unansehnlicher Massenware kommt unterwegs alls vor. (Foto: Martin Krusche)

Ich finde daran besonders interessant, daß sich in diesem Zeichensystem viele Menschen mit ihren ästhetischen Erfahrungen äußern, welche dabei auf kein Selbstverständnis angewiesen sind, das einen in die Kunst reklamiert. Es gibt zwar auch etliche Beispiele von versierten Künstlern, die etwa Bildstöcke mit ihren Werken versehen haben, aber die meisten Wegmarken kommen ohne solche Expertise aus.

Mit diesem vielfältigen Ausdruck eigener Wahrnehmungserfahrungen verknüpfen sich lebensgeschichtliche Aspekte, und zwar von sehr persönlicher Art. Vom Marterl bis zum Sühnekreuz drücken etliche der Artefakte individuelle Schicksalsmomete aus. Zugleich sind in diesem Zeichensystem viele Heilige repräsentiert, die jeweils zu ganz bestimmten Gefahren oder Probleme um Schutz angerufen werden.

Die Kenntnis der speziellen Zuständigkeiten jener Heiligen bildet ab, wovon das Leben unserer Leute über viele Generationen geprägt war. Welche Ängste und welche Hoffnungen hatten sie? Und zwar in Zeiten, da man mit vielen Sorgen ganz auf sich gestellt war, auf keine irdische Hilfe hoffen durfte. Das betraf vor allem die subalternen Schichten in einem enormen Ausmaß.

Aber auch gut gestellte Leute konnten sich vor schlechtem Wetter, Mißernten, Unfällen und Krankheit oder Krieg nur sehr beschränkt schützen. Dazu kam, daß das harte Leben harte Menschen geformt hat, denen man mitunter schmerzlich ausgesetzt war.

Die bunt bevölkerten Wandnischen bleiben manchmal auch leer, aber erhalten. Hier der Heilige Florian. (Foto: Martin Krusche)
Die bunt bevölkerten Wandnischen bleiben manchmal auch leer, aber erhalten. Hier der Heilige Florian. (Foto: Martin Krusche)

Das bedeutet ferner, um es mit Begriffen der Gegenwart zu skizzieren, die Menschen mußten psychologische Strategien entwickeln, um Schicksalsschläge zu ertragen, wie wir uns das heute lieber nicht vorstellen möchten. Ich sehe darin eine der Hauptbedeutungen dieser Wegmarken, die außerdem mit Ritualen verbunden waren und sind, welche den Menschen helfen, Gemeinschaft zu festigen. Es wäre leichtsinnig, derlei Funktionen inzwischen für überflüssig zu erklären.

Wir haben uns freilich längst auch andere Verfahren angeeignet, um mit den hier angedeuteten Problemen zurechtzukommen. Vom hochkarätigen Gesundheitssystem, wie es sich Leute in anderen Ländern nicht einmal erträumen, über vielfältige Therapieformen, gesicherte Erholungszeiten, Kuraufenthalte etc. etc.

Davon sind allerdings die Bezüge zu den Wegmarken nicht entkräftet worden. Damit meine ich, daß ich den tradierten Umgang mit den Klein- und Flurdenkmälern nach wie vor finden kann, weder in Konkurrenz, noch in Konflikt mit den aktuellen Hilfsangeboten.

Das betont auf interessante Art die volkskulturelle Bedeutung dieses Genres, an dem auffällt, daß es von einigen Merkwürdigkeiten weitgehend unberührt blieb, mit denen andere Ausdrucksformen überlieferter Volkskultur geradezu okkupiert wurden, nämlich einer etwas gruselige Mischung aus bildungsbürgerlichen Ansprüchen, touristischen Agenda und Zugriffen durch die Unterhaltungsindustrie, da wie dort befeuert von Interessenslagen aus übergeordneten Institutionen.

Das hebt diesen Themenbereich der Wegmarken überraschend hervor, wo ich mich seit einiger Zeit mit den Schnittstellen zwischen Volkskultur, Popkultur und Gegenwartskunst befasse. Siehe dazu auch Charon, meine Notiz über Werner Loder, der jüngst einen Bildstock gebaut hat.