Wir freuen uns über jede Rückmeldung. Ihre Botschaft geht vollkommen anonym nur an das Administrator Team. Danke fürs Mitmachen, das zur Verbesserung des Systems oder der Inhalte beitragen kann. ACHTUNG: Wir können an Sie nur eine Antwort senden, wenn Sie ihre Mail Adresse mitschicken, die wir sonst nicht kennen!
unbekannter Gast

Notiz 010: Abseits der Zentren#

von Martin Krusche

Die Natur verschenkt Talente blind. Ganz egal, in welchem Graben jemand hockt, in welcher Steppe jemand verlorengegangen ist, überall funkeln solche absichtslos gesetzten Treffer. Was davon in einem Gemeinwesen schließlich zu bemerkenswerter Wirkung kommt, steht auf einem anderen Blatt.

Künstler Michael Maier, in Fladnitz ansässig. (Foto: Martin Krusche)
Künstler Michael Maier, in Fladnitz ansässig. (Foto: Martin Krusche)

Rahmenbedingungen und persönliche Intentionen entscheiden ganz wesentlich darüber, wo ein besonderes Talent auffallend wird. Manches verebbt mangels hinreichender Anlässe und Gelegenheiten zur Entfaltung.

Ernst Huber, Frontmann der Gruppe „Broadlahn“, hat im Lied „Telegraphenpostamt“ so einen Fall beschrieben. Die kurze Geschichte eines Mannes, dessen Fähigkeiten den Rahmen seiner Lebenssituation sprengen könnten, aber schließlich in sich zusammenfallen: „…was hast ma du net früra alles erklärt und erzöhlt / vom Differenzialgetriebe und wos i lesn sollt / und dass’ drauf ankummt, dass ma selba schaut / dann kaunnst was Neu’s machen / wia in Schuastamoasta Boole sein Sohn...“ (Quelle)

Das enthält übrigens einen kleinen Hinweis auf den bedeutenden Mathematiker George Boole, Sohn eines Schusters, Autodidakt, der mit 16 Jahren als Lehrer tätig wurde und mit 19 eine eigene Schule gründete. Dieser Erwähnung illustriert die Geschichte des verschenkten Talents, das laut Huber „wia a ausbrennta Leuchtturm“ dasitzt.

Es würde heute eventuell so nicht mehr vorkommen. Eben noch mußten Menschen aus der Peripherie in die Zentren abwandern, wenn sie besonderen Talenten eine Chance bieten wollten. Es galt nicht bloß, strukturelle Möglichkeiten dafür zu suchen, sondern auch sozialen Einschränkungen zu entkommen.

Das hat sich in einigen Aspekten gründlich geändert. Kommunikationstechnologie wandelt die Modalitäten der Raumüberwindung. Teleworking und Telepräsenz ersetzen zwar nicht die reale soziale Begegnung, doch sie bieten via Netzkultur Handlungsmöglichkeiten, die es rund um 1990 noch nicht gegeben hat.

Wir sind heute von einer technischen Info-Sphäre umgeben, die uns völlig neue Verfahrensweisen ermöglicht. Damit besteht die Option, abseits des Landeszentrums ein Leben in der Kunst zu führen, ohne vom Kulturbetrieb völlig abgeschnitten zu sein.

Ein Stück der Weizklamm, wie es allgemein als verkehrshemmend verstanden wird. (Foto: Martin Krusche)
Ein Stück der Weizklamm, wie es allgemein als verkehrshemmend verstanden wird. (Foto: Martin Krusche)

Das ereignet sich auf dem Lande natürlich in einer anderen Infrastruktur und in einem anders gewichteten geistigen Leben als in einem urbanen Raum. Es ist genau deshalb nicht plausibel, die Provinz kulturell zu urbanisieren, also Strategien aus den Zentren in die Peripherie zu verlagern. Es geht eher darum, an den Rändern eigene kulturelle Strategien zu entwickeln.

Viel an regionalem Kulturgeschehen zeigt sich heute vor allem als ein Echo kultureller Veranstaltungsrituale, die man im Landeszentrum gesehen hat. Das absteigende Kopieren von Lebensstilen und kulturellen Codes hat Geschichte. Der Kulturbetrieb als Distinktionsmaschinerie, in deren Mahlwerken sich ein ländliches Gemeinwesen soziale Hierarchien gönnt, das ist bewährte Praxis. Daran läßt sich bis heute kaum rütteln.

Ich hab heuer von Gleisdorf aus einen Dialog mit Künstler Michael Maier begonnen. Er lebt in Fladnitz auf der Teichalm. Das markiert im regionalen Raumkonzept einen interessanten Punkt. Gleisdorf ist Zentrum der gleichnamigen Kleinregion, steht dabei in einem direkten Spannungsverhältnis zur Landeshauptstadt Graz. Gleisdorf hat überdies ein gewachsenes Konkurrenzverhältnis zur Bezirkshauptstadt Weiz.

Von der anderen Seite betrachtet: Aus Fladnitz muß man erst einmal das nächstgrößere Passail ansteuern und die Weizklamm passieren, um Weiz zu erreichen. Die räumliche Distanz zwischen Maier und mir ist mit rund 34 Kilometern überschaubar und entspricht fast genau jener zwischen Gleisdorf und Graz.

Topografisch bleibt das allerdings ein knifflige Strecke. Die Verbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist mehr als karg und lückenhaft. Maier hat sich entschieden in der Kunst zu leben, aber dafür vorerst nicht in ein Zentrum abzuwandern. Damit haben wir hier eine interessante Situation…