!!!Notiz 108: Draußen bei den Leuten
!!(Touren im harten Herbstlicht)
!Von __[Martin Krusche|User/krusche martin]__

Es klingt noch in meinen Ohren: ''„Uman Weg undn Roan is die Wölt z'kloan“''. Das hatte Hans-Peter Zaunschirm bei unserem Arbeitstreffen rausgeschoben. Wege, Grundstücksgrenzen, der Ackerrain: seit unzähligen Generationen Anlässe zu Streitigkeiten. Dabei konnten Existenzen zugrunde gehen. Dabei konnten Familien über so viele Generationen verfeindet sein, daß der reale Auslöser für die Feindseligkeit in Vergessenheit geriet. (Auf das Thema „Roanschindn“ komme ich hier noch.)
[{Image src='notiz108a.jpg' caption='Fotograf Richard Mayr.' align='left' width='450' height='338'}]

Zeichensysteme und Symbole helfen uns beim Ordnen von Gemeinschaft. Also: Codes. Die Kodifizierung unseres Lebensraumes hat viele Facetten, kennt viele Methoden. Klein- und Flurdenkmäler fügen sich zu sehr alten Zeichensystemen, die von manchen Menschen noch verstanden werden, während andere Leute sie völlig übersehen.

!Die Tour
Ich bin nun mit Fotograf Richard Mayr unterwegs, um eine Auswahl der Wegmarken für das kommende Buch zu erarbeiten. Dadurch ändert sich mein Blick auf das Thema, weil der versierte Fotograf, bei dem dann die Verantwortung für die Qualität des Bildbandes liegt, naturgemäß andere Zugänge zu den Objekten hat als ich.

Es ist außerdem ein schönes Erkunden unserer Region mit allerhand launigen Begegnungen und Gesprächen. Das bringt wiederum unzählige Details aus den Lebensgeschichten hervor. Wir befinden uns nun im dritten Abschnitt dieses Projektes. Dazu kommt eine mehrjährige Vorgeschichte meiner Befassung mit Klein- und Flurdenkmälern, mit ihren Anlässen und Zusammenhängen.

Ich betone das, weil ich selbst einmal mehr überrascht war, wie sehr mich das zu den vorhin erwähnten Details bringt, was mir einen sehr nuancenreichen Eindruck davon liefert, wie unsere Leute hier ticken, was diese Region im Wesen ausmacht.

!Roanschinder
Dazu kommen die vielen Gespräche mit meinem Team, was vor allem bedeutet: ich hab völlig unterschätzt, wovon heute die Arbeit eines Bürgermeisters in einer kleinen Landgemeinde handelt. Diese intensive Verknüpfung des Amtes mit dem Leben der Menschen, mit Anliegen, mit Konflikten… so daß etwa ein Begriff wie „Roanschinder“ heute noch gelegentlich als Metapher auftaucht, freilich in neuen Zusammenhängen.
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[{Image src='notiz108b.jpg' caption='Wetzawinkel: Jesus und Maria haben grade anderweitig zu tun.' class='image_block' width='300' height='225'}]
[{Image src='notiz108c.jpg' caption='Positionsfragen vor der Dorfkapelle von Hofstätten.' class='image_block' width='300' height='225'}]
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Das Wort bezeichnet die Mentalität eines Menschen, seine robuste Bereitschaft, andere Menschen zu hintergehen. Roanschinden bezeichnet das heimliche Verändern von Grundstücksgrenzen durch das Versetzen des Grenzsteines = Roanstoan, der Stein, der den Rain markiert.

Was mir der Ludersdorfer Bürgermeister Zaunschirm, selbst ein Bauernsohn, in einem Nebensatz mitgegeben hat, war vermutlich annähernd tausend Jahre ein wunder Punkt im bäuerlichen Leben. Wenn deshalb Differenzen hochgingen, mußte die Behörde in breiter Besetzung aktiv werden. In einer Publikation aus dem Jahr 1963 findet sich das anschaulich beschrieben.

Otto Lamprecht hatte für „Mittelalterlicher Wegstreit auf dem Rechberg“ ein Dokument aus dem 15. Jahrhundert durchgesehen. Zitat Lamprecht: ''„‘Um'n Wegund um'n Roan is die Welt z'kloan‘, sagt ein altes Bauernsprichwort und verweist so in klingendem Reim auf einen Urquell ewigen Unfriedens und Streites in der bäuerlichen Welt. Alle Zeit ist um Weg und Rain unter Nachbarn gehadert worden, und was heute das Bezirksgericht zu schlichten hat, das mußte in früheren Jahrhunderten die Grundherrschaft abhandeln und büßen.“''
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[{Image src='notiz108d.jpg' caption='Teil eine stattlichen Kapelle: Die Pieta von Wünschendorf.' class='image_block' width='300' height='225'}]
[{Image src='notiz108e.jpg' caption='Ernst Tieber („Wir waren neun Kinder.“) in Wünschendorf: „Das Kreuz ist zum Felderbeten da.“' class='image_block' width='300' height='225'}]
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Die „Fact Finding Mission“ sah in alter Zeit zum Beispiel so aus: ''„Also eine ganze Kommission, bestehend aus den Vertretern und Zeugen der beteiligten Grundherrschaften Pfannberg, Waldstein, Reim und Semriach ist am 15. Juni des Jahres 1429 auf dem Rechberg 2 zusammengekommen, um dort dem Streit zweier daselbst ansässiger Bauern ein Ende zu machen. Ihr Hader wegen des bisherigen Fahrens über ihre Gründe ist durch obrigkeitliche Festlegung eines neuen Weges im Gelände beendigt und dessen Einhaltung ihnen unter Androhung schwerer Geldstrafen für immerwährende Zeiten zur Pflicht gemacht worden.“''

!Tradition
Zurück zum anregenden Teil der Geschichte. Es hat gute Gründe, daß Menschen heute noch für so ein altes kulturelles System (Klein- und Flurdenkmäler) Kraft und Mittel aufwenden, da diese Wegmarken symbolischer Natur sind und nicht zur praktischen Seite der Alltagsbewältigung gehören.

Eigentlich ist es einfach. Sie zählen zu den Mitteln einer seelischen Alltagsbewältigung und haben sich genau dafür über Jahrhunderte bewährt; tiefgreifender als junge Angebote der Unterhaltungsindustrie und ähnlicher Einrichtungen. Mit solchen Zusammenhängen haben wir es da zu tun.
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[{Image src='notiz108f.jpg' caption='Hanspeter Wagner („Die Heiligen in der Kapelle hat meine Mutter gemalt.“): „Das ist eine Reliquie. Ein Knochensplitter des Heiligen Konrad von Parzham.“ ' class='image_block' width='300' height='225'}]
[{Image src='notiz108g.jpg' caption='Die Hartlkapelle: Es zeigt sich eine faszinierende Vielfalt von Stilen und Qualitätsstufen.' class='image_block' width='300' height='225'}]
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Wir gehen diesen Motiven nach, fragen nach den gegenwärtigen Bedeutungen und finden uns dabei – wenig überraschend – genau in jenem Bezugsrahmen, den ich in der [vorigen Notiz|Kunst_und_Kultur/Volkskultur_und_Mythen/Praxiszone_Dorf_4.0/notiz107_phase3] skizziert habe:
*Dorf 1.0: Die alte agrarische Welt
*Dorf 2.0: Umbrüche durch eine teilweise Industrialisierung der Region und ihre Mechanisierung
*Dorf 3.0: Das Agrarische, Industrielle und Urbane hat sich in den Dörfern verzahnt
*Dorf 4.0: Die Vierte Industrielle Revolution ändert das alles völlig, und zwar jetzt!

>[Wegmarken|Kunst_und_Kultur/Volkskultur_und_Mythen/weg03] (Ein kulturelles Zeichensystem)
>>Dorf 4.0: [Die Notizen-Übersicht|Kunst_und_Kultur/Volkskultur_und_Mythen/Praxiszone_Dorf_4.0/Notizen]
>>Alle Fotos: Martin Krusche

[{Metadata Suchbegriff='Wegmarken, Dorf 4.0, Kleinregion Gleisdorf, Bildstock, Marterl' Kontrolle='Nein'}]