[{Image src='flocke046.jpg' class='image_right' width='500' height='375'}]
!!!Flocke: Transition
!!(Zeit für eine Themenkonzentration)
von __[Martin Krusche|Kunst_und_Kultur/Volkskultur_und_Mythen/kru]__\\
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Ich sehe schon, daß ich ein paar Gedankenstränge zusammenführen muß, damit mir die Themen nicht völlig diffundieren und mich in der Bearbeitung überlasten. Das hab ich eben im Schreiben zweier Glossen zum Thema „Zonen“ kapiert.

Ich hatte erst einmal die Kolumne „Alter Mann“ eingeführt, um mich offenen Fragen meines aktuellen Lebensabschnittes zu widmen. In meiner Kultur und in meiner Gegend können heute sehr viele Menschen sehr alt werden. Sehr viele, wenn man das mit der einstigen Lebenserwartung und den wenigen Altersausreißern in unserer Vergangenheit vergleicht.

Musiker Sigi Lemmerer hatte jüngst eine meine Glossen zum Thema so kommentiert: ''„Immanuel Kant wurde in einer Laudatio zu seinem 50. Geburtstag mit ‚Ehrwürdiger Greis‘ tituliert.“ ''Das heißt, eben noch lag die durchschnittliche Lebenserwartung in Europa statistisch etwa zwischen 40 und 50 Jahren.

Es sind eigentlich erst recht wenige Jahrzehnte, in denen bei uns Frieden, Sicherheit, wachsender Wohlstand, Nahrungsqualität, Hygiene und medizinische Leistungen so zusammenkommen, daß untypisch viele Menschen - so wie ich - ihr siebzigstes Jahr erleben dürfen; in einem sehr passablen körperlichen Zustand. Ich hab überdies mit recht wissenshungrigen und tatendurstigen Menschen zu tun, deren Achtziger bereits hinter ihnen liegt.

Das bedeutet, ich möchte mit wenigstens weiteren 15 Jahren rechnen, die ich aber anders gestalten muß, als meine ersten 50 Jahre. Das ergibt eine recht junge soziokulturelle Aufgabenstellung, die ich ohne nützlicher Rollenvorbilder angehen muß. Wo Archäologie und Forensik zusammenfanden, ließ sich feststellen, daß sogar schon in der Eiszeit jemand gut 70 Jahre alt werden konnte. Große Ausnahme, aber biologisch evident.

Dann erzählt uns die Geschichtswissenschaft zum Beispiel, daß in Frankreich über rund 500 Jahre hinweg von den Königen, soweit sie eines natürlichen Todes starben, keiner seinen 60. Geburtstag erlebt habe. Dabei gilt zu leben ''„wie Gott in Frankreich“'' bis heute sprichwörtlich als eine Luxusphantasie.

!Der Mangel an Rollenmodellen
Ich bin heute schon rund acht Jahre älter als mein Vater es einst war. In unserer Kultur wird man nicht darauf vorbereitet, so ein Alter in Annehmlichkeiten zu leben, wie wir auch noch immer nicht hinreichend ernst nehmen, daß wir Menschen in keine Schlucht stürzen, wenn sie vom Alter gebeugt, gebrochen, entkräftet worden sind.

Damit meine ich, erst einmal habe ich keine praktischen Vorbilder gefunden, wie man ab 70 gedeihlich lebt und sich gegen zunehmende Belastungen, gegen Einschränkungen wappnet. Zweitens wird diese ganze Bereich vorzugsweise mit Euphemismen zugedeckt. Seniorenzentrum, Seniorenanimation, Seniorentanz… Ich erzähle Ihnen bei Bedarf gerne, welches Elend dahinter oft verborgen wird, weil Konzepte, Mittel und Personal fehlen, um hilfsbedürftige Alte angemessen zu begleiten und zu unterstützen.

Drittens, und das finde ich besonders ärgerlich, wird unter alten Männern nicht darüber gesprochen, was es bedeutet, ein alter Mann zu sein. Was blüht einem da? Wie könnte man möglichst entspannt damit umgehen? Weshalb sollte ich verbergen, was und wie ich heute bin, mich womöglich mit der Pose eines „Jüngeren“ kostümieren?

Bleibt noch ein großes Thema, in dem sehr wenig weitergeht, seit es mich beschäftigt. Die Konsequenzen einer vorherrschenden Männerkultur zeigen einige katastrophale Phänomene. Das betrifft gleichermaßen körperliche Befindlichkeiten wie auch unsere Beziehungen, das Leben in Gemeinschaft. Was immer einem das Leben jenseits der 70 auf natürliche Art belasten kann, hat seine speziellen Schleifspuren und Läsionen durch patriarchale Prägungen. Ich bin eher unsicher, ob sich das bei all der gegeben Komplexität überhaupt aufdröseln und bearbeiten läßt. Ich hab zugleich keinen Zweifel, es würde einen Richtung Untergang drängen, wenn man auf diese Arbeit verzichten wollte.
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