[{Image src='flocke049.jpg' class='image_right' width='350' caption='Hab mir von einer KI ein paar Jahre und ein bewegtes Leben draufhauen lassen. Nein, da gibt es nichts zu operieren. Das muß so reichen.' height='572'}]
!!!Flocke: Alter Mann VII
!!(Lastwechselreaktionen)
von __[Martin Krusche|Kunst_und_Kultur/Volkskultur_und_Mythen/kru]__\\
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Die Evolution hat es so eingerichtet, daß man von Bewegung und Belastung eine kräftige körperliche Konstitution bekommt, vom Denken aber nicht. Das finde ich ähnlich ärgerlich wie den Umstand, daß die Vitamine im Obst und im Gemüse sind, aber nicht in der Schokolade.

Jetzt, in meinem 70. Jahr, muß ich endgültig zur Kenntnis nehmen, daß mein ohnehin nicht gerade athletischer Kräftehaushalt ein weiteres Stück die Kellertreppe runterfährt. Zugegen, das hatte sich schon ab 60 sehr deutliche gezeigt, aber da konnte ich das noch besser kaschieren. (Vor allem mir selbst gegenüber.)

Kürzlich, als mehr körperliche Arbeit anfiel, hatte ich diese massive Gefühl: Entweder ich bin eine energetische Lachnummer oder Legionen alter Männer machen mir was vor. Was die soll alles liefern. Wieso scheint es mir, die flanieren alle locker durch den Tag? Sie machen ihre Jobs, reisen in der Gegend herum, regieren sogar Nationen; manch ein alter Zausel schickt sogar noch junge Menschen aufs Schlachtfeld.

Ich sehe kaum je vom Leben gebeugte alte Leute. Gut gelaunt und gut gekleidet begegnen sie mir, meinetwegen auch schlecht gelaunt und salopp. Immerhin dämmert mir: Im Kosovo oder in Afghanistan sähe das anders aus als hier.

Also heiter und so weiter! Ich muß dagegen oft bangen, nach vier Stunden Schlaf nicht putzmunter zu sein. Oder wahlweise sechs Stunden Schlaf mit meist zwei, drei Unterbrechungen zu haben. Dem folgt tagsüber, daß ich nach rund sechs, sieben Stunden Arbeit nicht bloß geistig, sondern auch körperlich sehr müde bin. Oft komme ich nicht ohne Mittagsschlaf durch den Tag. (Eine Heldenpose ginge sich da nur aus, wenn ich auf Drogen wäre.)

!Der Natur folgend
Ich muß inzwischen annehmen, das sei schlicht der Lauf der Natur. Aber das hatte mir vorab niemand verraten. Es kommt auch in unserer Kultur nicht vor, daß diese fundamentale Transition Thema wäre; außer auf ärztlichen Rat. Und wenn doch, dann entweder euphemistisch kostümiert oder in einer Pflegeeinrichtung untergebracht: Seniorenanimation, Seniorenausflug, Seniorenheim...

Diese Begrifflichkeiten machen klar, daß man es bald nur mehr mit halbgaren bis hinfälligen Leuten zu tun habe. Außer sie verfügen über genug Wellness-Optionen, Doping und Kohle, um auf Kreuzfahrtschiffen Prosecco zu kübeln und im feinen Zwirn zu flirten, zu tanzen, zu was weiß ich, während im Heimathafen ein Cabrio der oberen Preisklasse herumsteht.

Das hat alles mit meiner Welt eher gar nichts zu tun. Durch meine Motorradunfälle lebe ich seit über 30 Jahren permanent mit körperlichen Schmerzen. Das hat seinen Vorteil darin, daß ich schon länger weiß, was einem im Alter ohnehin blüht. Damit konnte ich mich also beizeiten erproben und arrangieren.

Verstehen Sie mich recht, ich klage nicht, ich versuche mich zu orientieren. Es liegt auch etwas Wunderbares in all dem. Daß ich nämlich in der gegebenen physischen Verfassung so alt werden konnte und noch mit etlichen Jahren rechnen darf. Derlei ist keine Selbstverständlichkeit. Es ist eine Begünstigung in der Zeit, der Geschichte und in der Weltgegend, denn andernorts sind Menschen zwischen 40 und 50 ausgeschunden, wobei ihnen kein gehobener Lebensstandard die verbleibende Zeit erleichtert oder gar versüßt.

Ich muß sogar annehmen, daß ich als Mann in unserer Kultur Vorteile gegenüber Frauen habe. Soziale Vorteile und andere; bis hin zu einer Medizin, die in etlichen Bereichen an die männliche Physis besser angepaßt ist als an die weibliche. Wie auch immer, was mir heute an geringerer Belastbarkeit und begleitenden Schmerzlevel bleibt, halte ich für den sehr akzeptablen Preis, welchen ich zu einem so langen Leben abzuliefern habe. Der Preis, den ich für meinen Körper entrichte, ohne den ich nicht in dieser Welt sein kann. Das finde ich okay.
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