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!!!Übergänge: Über Liebe und Trauer
!!(Der Tod nahm sich Zeit für Račak)
von __[Martin Krusche|Kunst_und_Kultur/Volkskultur_und_Mythen/kru]__\\
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Denke ich über das Altern und meine verbleibenden Jahre nach, spielen zwei Arten der menschlichen Befindlichkeit eine größere Rolle als andere. Meine Gedanken zielen nicht darauf, diese Emotionen zu entschlüsseln, sondern zu bestaunen. Die Liebe und die Trauer sind sehr viel sublimer als etwa der Zorn.
Vom Zorn fühle ich mich gelangweilt, weil er Menschen bloß verschlingt und bis zur Kenntlichkeit verzerrt, was nirgends hinweist, außer auf einen selbst. Liebe und Trauer bieten hingegen etwas an, was über einen selbst hinausführt. Sie eröffnen Möglichkeiten, die wir seit der griechischen Tragödie auf solche Art kennen. Sie ebnen über Schrecken und Mitgefühl (phóbos und éleos) Wege zur Katharsis. (Gehen muß man freilich selbst.)
Beides, die Liebe und die Trauer, sind unser sogar leiblicher Beleg dafür, daß wir zu dieser Magie befähigt sind, zu einem tiefen Gefühl der Zugehörigkeit, das uns mit einem anderen Wesen verbindet. Dort liegt auch diese Aufgabe, zwei menschliche Grundbedürfnisse in Balance und Einklang zu bringen: jenes nach Zugehörigkeit und nach Selbstbestimmung. Genau dieses gesamte Kräftespiel ist mir ein Rätsel, in dem ich mich geborgen fühle. Da entfaltet sich alles so anders als im Zorn.
Denke ich nun über das Altern und meine verbleibenden Jahre nach, erscheint mir die Liebe als etwas Müheloses, die Trauer dagegen als eine Bürde, die jemanden erdrücken kann, wenn es an Erfahrung fehlt. Ich hatte am im Sommer 2010 Klarheit erhalten, von welchen Dimensionen das handeln mag.
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An einem späten Juli-Tag schlug F. vor, mir das Dorf zu zeigen, von dem er gekommen war. Allerdings fühlte ich mich sehr befangen, als ich erfuhr, daß wir nach Račak fahren werden. Wer vom Krieg im Kosovo eine Ahnung hat, verstünde meine Beklemmung.
Ich frage F., ob ich das richtig verstanden habe. Ja, dieses Račak. Und das Jahr 1999.'' „Ich hab am Abend davor weg müssen“, ''sagte F., als wir auf der Terrasse der ausladenden Gedenkstätte standen. Jedem der Toten jenes Massakers ist dort eine Steintafel mit Portrait gewidmet; auch Kinder darunter.
''„Ich hätte das sonst nicht überlebt“'', meinte F., der dort einen großen Teil seiner Familie verloren hatte. ''„Entschuldige!“'' sagte er danach, wandte sich ab, ging einige Schritte zur Mauerkrone am Terrassenrand und ließ sich da nieder. So saß er, gebeugt, mit dem Rücken zu mir, blickte in die Landschaft hinaus. Seine Trauer schwappte wie eine Flut über den gepflasterten Boden zu mir her. Ich schämte mich, ihn dabei anzusehen und wandte mich ab, um in die andere Richtung zu schauen.
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