[{Image src='puch25_doku06a.jpg' align='right' width='500' caption='Ausstellungsstück: Fünftausend Jahre „Kentaurischer Pakt“.' height='375'}]
!!!Mythos Puch: Endorphin-Maschine und Weltenbrand
!!(Kein Auto ist bloß Transportmittel)
von [Martin Krusche|Kunst_und_Kultur/Volkskultur_und_Mythen/kru]\\
\\
Anfangs waren wir alle Passagiere. In den Leibern unserer Mütter. An die Mühen, das Gehen zu erlernen, erinnern wir uns nicht. Das hat – wenn alles gut geht - zwei besondere Prozesse zur Voraussetzung. Erst mußten wir – in der Ablösung von der Mutter - ein Ich entwickeln, das eigenständig in der Welt sein kann. Dann braucht es die Orientierung im Raum: Wo ist – in Bezug auf meine Körperlage – oben, unten, links, rechts, vorne und hinten?

Falls Sie das für selbstverständlich halten, suchen Sie ein paar Geschichten über Taucher in Panik oder Flugzeug-Piloten ohne taugliche Instrumente im Schneesturm. Da hat schon mancher die falsche Richtung gewählt, um davonzukommen. Raumüberwindung bei höherem Tempo, und das in tauglicher Orientierung, ist keine naturgegebene Möglichkeit. Dazu bedürfen wir der technischen Hilfsmittel.

Wie schnell kann ein Mensch aus eigener Kraft sein? Eine gut trainierte Läuferin wird an 40 km/h herankommen. Von Usain Bolt sind für wenige Sekunden 44,72 km/h dokumentiert. Ich habe unseren Gastgeber, den Arzt Georg Kurtz, eher augenzwinkernd gefragt, ob er zufällig wisse, wie viel ein Mensch im freien Fall schaffen könne. Kurtz meinte, da seien wohl als Fallgrenzgeschwindigkeit bis zu 200 km/h möglich. Aber eben nicht recht lange.

Wozu ich das erzähle? Als es Menschen vor etwa fünftausend Jahren gelang, sich Pferde gefügig zu machen, wurde ein völlig neues Geschwindigkeitsspektrum erfahrbar. Mit einem Reitpferd mag man sich mühelos zwischen zehn und 18 km/h bewegen, im Galopp können es 20 bis 35 km/h werden. Auf kurzer Strecke sollen aber bis zu 70 km/h und etwas darüber möglich sein.
[{Image src='puch25_doku06b.jpg' align='right' width='400' caption='Ausstellungsstück: Anfangs waren wir alle Passagiere.' height='300'}]

Das eröffnete einst zur Raumüberwindung völlig neue Möglichkeiten, zugleich auch radikale Erfahrungen; nicht zu knapp durch physische und psychische Effekte. Mit der Entfaltung dieses „Kentaurischen Paktes“ zwischen Mensch und Pferd tauchten schon bald Streitwagen auf.

Von der Biga, dem Zweigespann mit einer Deichsel, führte die Entwicklung zur Quadriga, dem Viergespann mit zwei Deichseln. Wer eine Ahnung hat, wie unglaublich stark Pferde im Vergleich zum Menschen sind, kann sich ausmalen, was so eine Quadriga bezüglich Tempo und Strecke bedeutet hat.

Damit ist aber nicht nur angedeutet, daß der Mensch zum räumlichen Sehen nächste Fertigkeiten entwickeln mußte. Leistungsfähige Pferde und schnelle Wagen wurden natürlich auch Statussymbole uns soziales Statement. Sie waren vor allem die Quelle berauschender Erfahrungen, denn solches Tempo kickt unsere Körperchemie enorm. Die Quadriga, eine Endorphin-Maschine. Das sind Autos und Motorräder bis heute.

Was das meint, ging in Europas Mythologie ein, wonach Sonnengott Helios sich ausdauernd sträubte, seinem Sohn Phaeton den Sonnenwagen (eine Quadriga) anzuvertrauen. Als er es einmal doch tat, geriet das Gespann dem ungeübten Phaeton völlig außer Kontrolle. Damit bahnte sich eine universelle Katastrophe an, ein Weltenbrand, welcher das Antlitz der Erde veränderte.

Wer heute in die Debatten und auch Kritiken bezüglich der Kraftfahrzeugwelt einsteigen möchte, ist gut beraten, diesen wuchtigen kulturellen Background wenigstens skizzenhaft zu kennen. Von den alten Mythen unserer Kultur zu den trivialen Mythen der Gegenwart ist dieses Themenfeld stark und stellenweise irrational besetzt. Da sollte man mit den Argumenten sehr genau sein, um am Mythos nicht einfach abzurutschen.
>[Startseite: Die Dokumentation|Kunst_und_Kultur/Volkskultur_und_Mythen/puch25_doku]
>>[Die Ausstellung|Kunst_und_Kultur/Volkskultur_und_Mythen/mythos_puch25]

%%center
[{Image src='puch25_doku06c.jpg' class='image_block' width='400' caption='Hendrik Goltzius: Der Sturz des Paheton, 1588.' height='400'}]
[{Image src='puch25_doku06d.jpg' class='image_block' width='400' caption='Qadriga: Marmornes Weihrelief anläßlich eines Wagenrennens Oropos (Ostattika), Anfang 4. Jhdt, v. Chr. (Foto: Ealdgyth,CC BY-SA 3.0)' height='296'}]
%%