!!!FRAUENKLEIDER  UND  MIEDER




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Die Reform der Frauenkleider  bildet seit langer Zeit den Gegenstand einer lebhaften Diskussion. Es gilt  eine Tracht zu ersinnen, die dem künstlerischen Empfinden  und Gefallen  mehr entspricht,  als die gegenwärtige, und auch den hygienischen Anforderungen mehr entgegen kommt, als die Modetracht. Nicht die Schneider, sondern der Künstler und der Arzt sollen die Frauentracht bestimmen. Das  ist die Forderung, die in dem  neuen Heft „Dokumente der Frauen“ von Schriftstellern und Ärzten erhoben wird. 

Dieses Heft ist das Resultat einer Enquete, welche die genannte Zeitschrift veranstaltet hat und in welcher insbesondere ein energischer Kampf  gegen das Mieder geführt wird.

Professor Alfred Roller betrachtet die Wahl einer schönen und vernünftigen Tracht  als eine Frage  der Erziehung. Die Reform lasse sich nicht willkürlich  dekretieren; sie müsse  von der Hebung des Kultur Niveaus ihren Ausgang  nehmen. Professor Roller protestiert  gegen die „maßlose Verlogenheit“ in der Kleidung, gegen die falschen Röcke, falschen Säume, falschen Ärmel, falschen Kragen und falschen Taschen. Er behauptet, die Frauenmode werde heute eigentlich von den großen Kurtisanen gemacht.

Freiherr von Drecoll pflichtet der Ansicht bei, dass das Mieder den schön geformten Körper  nur  verunstaltet, nicht verschönt. Das Miedertragen soll erst dort beginnen, wo der Körper durch mangelhafte Form der Nachhilfe des Mieders bedarf. Hier sei die sanfte Anwendung des Mieders durchaus nicht zu verurteilen. Schädlich wird es erst dann und geradezu ein Wahnsinn zu nennen, wenn Mädchen oder Frauen aus ihrer Taille ein Sport Objekt machen und, um ein Zentimeter dünner in der Schlussweite zu erscheinen, sich die Tortur eines Marterwerkzeuges auferlegen. Es  ist auch der Stiefel, vom künstlerischen  Standpunkt betrachtet, viel weniger ästhetisch, als der nackte Fuß mit Sandale, trotzdem tragen wir den Stiefel und niemand belächelt ihn; nun gibt es aber Menschen, welche glauben, den Fuß zu verschönern, wenn sie denselben in zu enge Fußbekleidung hineinpressen; wer dieser Unsitte huldigt, missversteht den Zweck der Fußtracht vollkommen und darf  sich nur selbst die damit verbundenen Qualen und üblen Folgen zuschreiben, niemals aber dem Stiefel. Solchen Missbräuchen kommt man aber mit  theoretisieren nicht bei,  und die Opfer ihres  schlechten Geschmacks  bereuen und unterlassen sie meist erst dann, wenn es zu spät ist und sie sich dadurch oft unheilbare Leiden  zugezogen haben.

Hermann Bahr plädiert dafür, dass die Frau sich nicht für Fremde, sondern für ihr Heim schmücke. Daheim sein heißt für sich sein, frei sein und sich selbst gehören. Hier wirft der Mensch die Pflichten der Klasse ab und baut sich aus  seinem Innern eine eigene Welt auf, über die nur er  allein zu gebieten hat. Draußen herrscht das Gesetz, hier die Seele  und alle Entwicklung der Menschheit  will immer nur noch,  ein größeres Gebiet für eines jeden Seele  abgrenzen und es  immer nur noch stärker gegen die Anderen beschützen. Hier ist der Ort, sich zu schmücken; denn hier soll es sich zeigen was an einem Eigenes ist, was er in, was er an sich hat, was er, nicht als Bürger, nicht als Typ, nicht als Mittel, sondern als frei als Mensch, als sein eigener Zweck zu bedeuten hat, hier spielt sich seine höchste Wahrheit ab, sein inneres Leben  für  welche alle Anstalten der Menschheit, der Staat, die Gesellschaft und jede Ordnung nur die äußeren Bedingungen sind.  Nebenbei:  Dieser große Begriff  des Hauses ist der höchste von den Germanen in die Welt gebracht haben. Hier, wo sich der Mensch erfüllt, ist es an ihm, sein Festgewand anzulegen. In fünfzig Jahren wird man es kaum mehr glauben können, dass es einst anständige Frauen gab, die sich bemühten, auf Bällen, bei Festen durch ihre Tracht  wildfremde Männer erotisch anzuregen und aufzureizen, während sie sich dem Gatten, von dem sie Kinder erwarten widerlich und schmutzig zeigten.

Dr. Theodor Beer erklärt jedes gewöhnliche Mieder für schädlich. Das gesunde Mädchen braucht  kein Mieder. Die Kleidung soll an den Schultern aufgehängt sein. Für spezielle  Fälle gibt dieser  Arzt besondere Anweisungen. Dr. Joseph Breuer hält ein nicht künstlich und gewaltsam verengtes leichtes Mieder für zulässig. Professor Dr. C. Breus sagt: Vom hygienischen Standpunkt ist das Miedertragen durchaus nicht so ohne weiteres zu verwerfen wie dies nicht  selten geschieht. Der Missbrauch des Mieders, das „Schnüren“, um die Taille zusammenzupressen, ist zweifellos schädlich. Der Brustkorb  und einzelne Organe können dadurch deformiert werden, Atmung, Blutzirkulation und Verdauung leiden darunter.

Dr.  Heinrich  Charas, Chefarzt  der Freiwilligen Rettungsgesellschaft, befürwortet  die Beseitigung des Mieders sowohl  vom hygienischen als vom ästhetischen Standpunkt und hebt hervor, dass das Mieder  zahllose Ohnmachten und andere Erkrankungen  verursacht.

Frauenarzt  Dr. Fleischmann befürwortet eine  Reform des Mieders  bei den Frauen; die heranwachsenden Mädchen sollen das Mieder  entbehren lernen. Universität Dozent Dr. Hajek verweist hinsichtlich der Schädlichkeit des Miedertragens auf die Ergebnisse des – Seziertisch. 

Professor Krafft-Ebing sagt: „Ich halte das Miedertragen für eine der schädlichsten Unsitten der Frauenkleidung. Man braucht nur einmal eine Schnürleber auf dem Sektionstisch gesehen zu haben, um dies zu begreifen. Dass damit  ausgestellte Zwecke von Frauenreizen im Spiele sind, wird glücklicherweise  anständigen Damen nicht bewusst.“

Professor Schauta meint, in der  Frage  des Miedertragens dürfte wohl kein Arzt  ein anderes als das schärfste Verdammungsurteil auszusprechen in der Lage sein, fügt aber seiner Auseinandersetzung hinzu: „Mit Vernunft ist hier nichts auszurichten.“

Bildhauer Johannes Benk erklärt als Künstler, dass er weibliche Körper nur zu oft von diesem engen Stahlpanzer und besonders durch Überschnürung sehr verunstaltet  und es daher auch der Grund sein mag,  dass wirklich schöne, natürlich entwickelte Frauen Körper so selten dem Auge  des Künstlers begegnen und dieselbe gezwungen ist,  entweder ein verkümmertes Modell nachzubilden oder  dasselbe mit idealem Sinn   zu verschönen.

Maler Karl Fröschl ist derselben Ansicht. Malerin Tina Blau-Lang  meint: “Künstlerisch schön wird auch immer das sein, was der Gesundheit des Menschen am  entsprechenden ist.“

Professor  Richard Muther glaubt, dass sich bestimmte  Regeln für diese Damen nicht  geben lassen. Von ewiger Dauer pflegt keine Ästhetik zu sein. Nach dem Prinzip des Gegensatz, dass jede Entwicklung beherrscht wird auf die Miederlosigkeit bald wieder die Wespentaille mit den aufwattierten Hüften  folgen. Das Wort der Herren im „Macbeth“:  „Schön ist hässlich, hässlich ist schön“ ist  dabei von tiefer Bedeutung.

Wir schließen mit diesem Auszug mit der Wiedergabe folgender Aphorismen von Peter Altenberg: „Ich halte  Beweglichkeit, Elastizität  des Leibes  für die Quellen geistig-seelischer Potenzen.
Zeige mir, wie Du gehst, Dich bewegst und ich werde ahnen, wie Du denkst und empfindest!“


__Quelle:__ Ill. Wiener Extrablatt der ÖNB


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