!!!WIENER  COLOSSEUM









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Man nimmt sich ein Thema vor und beginnt zu recherchieren ohne zu ahnen, welche Überraschungen sich  einem eröffnen. So war es auch diesmal.

Das Wiener Montags Journal im Jänner 1899 beleuchtet die Biographie des  Direktor  Ben Tiebers des Wiener Colosseum: „Ein hiesiges Blatt entrollte in der vergangenen Woche die Verhältnisse des neuen Unterhaltung Lokales, welches mit einem in Wien nicht gebräuchlichen Aufwand von Reklame in  Szene gesetzt wurde. Die wirtschaftlichen Intimitäten aus dem Wiener Colosseum bieten gewiss genug interessante Details, um auch den größten  Enthusiasten die Zukunft der Vergnügungsstätte in der Nußdorfer Straße in nicht allzu rosigem Lichte erscheinen zu lassen. Man wird auch nicht abgeneigt sein, für den Unglückspropheten diesmal eher die Bezeichnung als klar berechnenden Kopf, denn als Totenvogel zu wählen. In sehr ausführlicher Weise hat der Berichterstatter die Entstehung des Colosseums geschildert, seine Erfahrungen über die derselben vorangegangenen Kalamitäten mitgeteilt und die Geschäftsleute vor allzu großer Bereitwilligkeit im   Kredit gewähren gewarnt. Er hat sich auch noch die gebotenen Genüsse für Aug, Ohr und Gaumen im durchaus entsprechender Weise geäußert, wobei er sich natürlich auch mit dem Leiter des Unternehmens beschäftigen musste....
…...doch das Interessanteste an dem Wiener Colosseum ist wohl dieser Herr, von dem die Wiener vorläufig nichts anderes wissen, als dass er sich die Befähigung  zur Leitung des Wiener Colosseums zwischen Nikolsburg und Johannisburg geholt hat. Die eine Burg ist in Mähren und die andere befindet sich in Südafrika. Dazwischen liegen manche  Stationen, die mit der Leitung eines Vergnügung Etablissements nichts zu tun haben. Es dürfte jedoch auch weitere Kreise interessieren wer der Mann eigentlich ist, der die Leitung des neuesten Sensation Unternehmens in Händen hat. 

Benjamin Tieber ist aus Nikolsburg in Mähren gebürtig und steht derzeit im 35. Lebensjahr. Schon als junger Mann tat er nicht gut und musste den Boden Europa erlassen. Seine damaligen Bekannten erinnern sich seiner nur unter dem Namen Bondi. Sehr unangenehm soll es ihm noch heute sein, wenn ihn jemand mit Herr Bondi anspricht. Er ging nach Amerika  wo er in New York   alle erdenklichen Berufsarten versuchte,  bis er die Tochter  eines österreichischen Emigranten heiratete. Er brachte sich und seine Frau auf eine rätselhafte Weise fort.  Woher er das Geld nahm, blieb selbst für seine Umgebung ein Geheimnis. Inzwischen war die Weltausstellung in Chicago eröffnet worden und da tauchte Tieber wieder auf. Eingeweihte behaupteten aber, dass Herr Tieber sehr gegen seinen Willen von den Menschen abgesondert  in New York weile. Mit seinem Erscheinen auf der Weltausstellung war jede Nachfrage überflüssig und er hatte Geld. Das macht in Amerika  eventuell nach einem Raubmord vergessen und so war Tieber damals  in Chicago ein  genau so geachteter Mann wie er es jetzt in Wien ist. In New York kaufte er eine Gastwirtschaft welche auch florierte. Durch einen Bericht der vor zirka sechs Jahren in einem deutschen Blatt erschienen ist. Das Journal hat in einer humoristischen Weise den Lebenslauf Tiebers geschildert wo die Karriere des jetzigen Direktors abgeschlossen schien.
Trotz der Form verdient der Artikel in der durchwegs  ernst zu nehmenden New Yorker Staatszeitung volle Glaubwürdigkeit. Er lautet wörtlich „Tieber hat's Fieber“Drum will er nach berühmtem Muster nach Europa, Andy Horns Nachbar muss ins Ludlow Straße Gefängnis. „Sie transit  gloria – Tieber“.
Vor drei Tagen noch war Benjamin Tieber Eigentümer der großen Wirtschaft am Park Row,  neben Andy Horn und heute – na heute sitzt er, wenn er noch nicht gefettelt hat, im Ludlow Str. Gefängnis.
Und das ist schon sehr, aber sehr unangenehm, umso unangenehmer, als er morgen auf  einem der stolzesten Schiffe der Hamburg-Amerikanischen, der „Augusta-Viktoria“ nach Europa fahren wollte.
Das Billet für sich und seine Frau hatte er schon in der Tasche, aber die quittierte Rechnung von dem Juwelenhändler Elias Pitzele noch nicht, und dies war sein Malheur.
Pitzele hörte nämlich, dass Tieber diesem freien Lande den Rückenkehren wollte, und dies verursachte ihm einige schlaflose Nächte. Zwei Tage uns zwei Nächte lang bewachte er das Haus Nr. 83 2. Ave., in welchem Tieber mit Frau ein möbliertes Zimmer bewohnte, und als ihm vor Müdigkeit schon die Augen zufielen, ging er nach der City Court und erwirkte einen Haftbefehl gegen den  „schlechten Menschen“, der ihm Ringelchen und Ohrringelchen im Werte  von 600 Dollar abgekauft und nur 140 Dollar angezahlt hatte.
Mit dem Haftbefehl in der Tasche machte sich gestern Nachmittag ein Hilfssheriff auf die Suche nach Tieber. Er fand ihn in der Restauration Zartl, natürlich......“

Leider war es nicht mehr möglich zu eruieren, wie die Affäre Tieber-Pitzele geendigt hatte. Soviel steht fest, dass man eine Zeitlang nichts von Tieber gehört hatte, bis er vor nicht ganz fünf Jahren plötzlich in Wien  auftauchte.  Ganz bescheiden und unauffällig war er hier eingetroffen und hat  mit einem gewissen  B ein Kommissionsgeschäft im Kaiviertel  errichtet, welches sich bald eines bescheidenen Rufes und größeren  Kredites  erfreute. Dieser hatte es sich aber noch nicht abgewöhnt seine Mitmenschen durch allerhand überraschende Kunststücke zu verblüffen und so stand denn eines Tages  in allen Blättern zu lesen, dass die Firma Tieber & B., die Zahlungen  eingestellt habe. Tieber musste  bei dem  Fallissement etwas verdient haben, denn er konnte sich in Johannisburg in Südafrika wohin er  zunächst seine Zuflucht genommen hatte, eine  neue Existenz als Impresario und  Direktor einer Artistengruppe gründen, während er gewissenlos  genug war seine Frau  völlig mittellos  in Wien zurückzulassen. Aber der Geschäftsgenosse Herr B.. scheint  bei dem Fallissement sein Geld verloren zu haben, denn  er befindet sich jetzt als  Untergebener  seines ehemaligen Compagnons in Stellung bei  dem  Wiener Colosseum. Bevor Tieber nach Johannisburg absegelte, hatte er seiner Frau geraten, sie solle nach Amerika zurück zu ihren Eltern.
Wieder vergingen Jahre ohne von diesem ominösen Herrn Tieber etwas zu erfahren. Auch dort hatte er  ein Wirtshaus eröffnet, dann war er Sekretär in der Earls Court Exhibition  in London aus welcher Stellung  er nicht im besten Einvernehmen schied. Vor ungefähr einem Jahr tauchte Tieber wieder in Wien auf.  Er nahm mit verschiedenen Personen Verbindung auf, und es gelang ihm für seine Pläne Interessenten zu finden.
Eines Tages erschien auch seine Frau in Wien und stellte ein Ultimatum, entweder er nahm sie wieder auf oder in eine formelle Scheidung einzuwilligen. 
Der Gute wollte seine Frau mit 1000  Gulden  abfinden, wenn sie dazu bereit war, die Scheidung nicht vor Gericht zu lösen.  Dieses Ansinnen lehnte seine Frau entrüstet zurück und ab da begann ein erbitterter Kampf zwischen den beiden Eheleuten.

Zu dieser Zeit ereignete sich am Schottenring eine Aufsehen erregende Szene. Eine elegant gekleidete Frau trat auf einen promenierenden  Mann zu und versetzte ihm eine schallende Ohrfeige. Dabei rief sie: „Was? Du hast keine Frau? Lass mich einsperren, dann wird sich zeigen  ob Du eine Frau hast!“ 
Der Geschlagene entfernte sich  schleunigst. 

Tiebers Frau erhielt von ihm kein Geld. Durch Zufall sollte er von ihrer  Gegenwart in Wien befreit werden. Seine Aussichten  waren hier in Wien ungünstig geworden, so dass er sich entschloss wieder nach Amerika zu gehen. Zufällig sah sich seine Frau veranlasst, die Intervention des amerikanischen Konsulat in Anspruch zu nehmen. Sie fragte dort den betreffenden Herrn, was sie gegen ihren Mann  der  amerikanischer Staatsbürger sei und ihr keine Alimente geben wolle, hier unternehmen könne. Der Beamte fragte nach dem Namen „Das ist Diskretion“ war die Antwort. „Nun dann kann ich Ihnen sagen, wer Sie sind. Sie heißen Tieber, Ihr Mann hat sich gestern  einen Pass nach Amerika behoben“.
Auf diese Weise war Tieber die lästige Frau los. Seltsam, dass er sich weigert bei Gericht  eine  Scheidung einzureichen. 
Warum fürchtet Benjamin Trieber das Gericht?

Die Offenlegung seines bisherigen Daseins passte ihm natürlich nicht und so bekam die Redaktion einen Brief von ihm über die Veröffentlichung sie  sich zuerst nicht schlüssig waren, doch dann informierten sie ihre Leser  doch.  In seinem Schreiben stellte er alles als Lüge und Unwahrheit hin und drohte mit einer Ehrenbeleidigungsklage. 
Doch das Montags Journal  wusste, dass über Tiebers New Yorker Karriere ihre Vorwürfe der Wahrheit entsprachen   da sich  das Original bereits in Händen der Staatsanwaltschaft  befand. 
Die Redaktion meinte am Ende des Artikels, dass sie der Klage Ben Tiebers mit großer Beruhigung  entgegen sehen.

Etwas  später kam auch eine Richtigstellung von Herrn Baroch, dieser gab an, dass Ben Tieber  von 1894 bis 1896 in seiner  Firma nur als stiller Gesellschafter  aufschien.

Im selben Monat 1899 war über das Colosseum folgendes zu lesen: „Das seit mehreren  Wochen bestehende Wiener Colosseum hat sich rasch die Gunst der Einheimischen und Fremden erworben. Der beste Beweis für die allgemeine Sympathie, welche dem hocheleganten und musterhaft geleiteten Vergnügungs-Etablissement  entgegen gebracht  wird, kann wohl in der Tatsache erblickt werden, dass das Wiener Colosseum allabendlich ausverkauft ist. Hunderte von Personen können keinen Platz finden. Das Publikum, das die vorzüglich inszenierten Vorstellungen besucht, ist entzückt  von dem Gebotenen. Das Programm ist ebenso reichhaltig, als abwechslungvoll, die auftretenden Künstlerinnen und Künstler sind Spezialitäten allerersten  Ranges. Die rührige Direktion lässt es an Anstrengungen nicht fehlen, die ersten Kräfte dem Unternehmen zu sichern, das bereits als Zierde der Residenz, als Sammelpunkt der besten Kreise allerorten anerkannt ist. Direktor Ben Tieber überwacht alle Arrangements sehr sorgfältig, er ist bemüht  alle bekannt  werdenden Beschwerden sofort abzustellen, das im großstädtischen Stile  geführte Veranstaltungslokal zu einem gemütlichen Aufenthalt für Jedermann zu machen. Küche und Keller bieten bei mäßigen Preisen  Gediegenes und Vortreffliches. Fortwährend finden Verbesserungen statt und werden die gemachten Erfahrungen beherzigt.  Die Programme der Vorstellungen gewähren die größte Unterhaltung, und man kann behaupten, dass die Produktionen im Colosseum von keiner anderen Variete Bühne  erreicht werden. Für die nächste Zeit stehen einige  „Sensationen“ in Aussicht. Die neu engagierten Kräfte werden mit dem bewährten und beliebten Personale zusammenwirken , um  die Anziehungskraft des Etablissements womöglich noch zu steigern. Das in Vorbereitung befindliche Ballett „Der  Mammut Palast“ verspricht ein Ausstattungsstück besonderer Art zu werden.“



Wien
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In sämtlichen Zeitungen  waren  immer wieder diese  Worte der  Selbstbeweihräucherung zu lesen.  
Tieber war deshalb viel unterwegs  um für das Colosseum in Wien, den Einheimischen wie auch den Fremden die seltensten und kostbarsten Attraktionen zu bieten.

Im Jänner 1900 meldet sich  das Wiener Montags Journal mit den Worten: „Vorboten einer Katastrophe“ Hinter den Kulissen des Colosseums.
Man möchte fast an Wunder glauben, wenn man die Zufälligkeiten des Lebens zu anaysieren versuchen wollte. Ganz zufällig hört man her ein Geschichtchen, dort eine Mitteilung und wenn man dann die Augen aufmacht und logisch kombiniert, so treten gewisse Vermutungen mit größter Wahrscheinlichkeit als Tatsachen näher. Dann braucht man nur noch hie und da eine Frage zu stellen, welche die Absichten des Fragers  nicht erkennen lässt, und so erfährt  man die Wirklichkeit.  Dieser Singspielhallen Konzession, und so musste man Herrn Steidler, welcher eine Konzession, aber kein Variete hatte, pachten, was  die Tagesregie um 10 Kronen erhöhte. Ben Tieber hatte als Direktor in Äußerlichkeiten manchen Erfolg aufzuweisen, dagegen schlechte Kassenrapporte. Eines Tages waren Roth & Comp., insolvent. Es wurde ein stiller Ausgleich perfekt, wonach die Gläubiger  mit dreißig Prozent abgefunden wurden. Dieser Ausgleich hat nominell einer der Hauptgläubiger, die Parkettfabrik Baiersdorf und Biach, patronisiert, tatsächlich stammte das hierfür verwendete Geld von einem bekannten Finanzier  und Gemeinderat. Der Mann trat als  Retter in der Not  auf.  Bisher ist das Verhältnis zwischen der genannten Holzfirma und Herrn Lucian Brunner  noch nicht ganz festgestellt;so viel ist aber  bekannt, dass die Anteilscheine von den kleineren Besitzern als wertlos um einen sehr geringen Bruchteil des Neuwertes  abgegeben wurden, dass sich dieselben jetzt in den  Händen einiger Großkapitalisten befinden, welche gewiss  gewusst haben, dass diese Papiere mit dem Augenblick, in dem eine Konsolidierung der Verhältnisse  eintritt, ihren vollen Wert wieder erlangen. Denn die Konsolidierung trat in dem Moment ein, in welchem der 30prozentige Ausgleich und – der Ankauf einer großen  Anzahl von Anteilscheinen durch die Firma Baiersdorf und Biach, recte durch Herrn Brunner erfolgte. Das sind mehr oder minder bekannte Tatsachen; ebenso ist es kein Geheimnis, dass Gemeinderat Brunner welcher in Anteilscheinen nur 5000 Gulden stecken hat, mit 700.000 Gulden am Haussätzen  auf dem Gebäude beteiligt ist. Außerdem ist Herr Brunner auf das Inventar des Colosseums pfandrechtlich vorgemerkt, und wer ich einmal  einen Sessel von unten angesehen hat, wird dort einen Zettel gefunden haben, der dieses Pfandrecht ausdrücklich urbi et orbi bekannt gab.
Und nun die Erzählung des Chronikeurs!
Das Haus in der Taborstraße Nr. 42  gehört den GeschwisternBlasel, Herr Brunner  ist auf dasselbe mit 30.000 Gulden vorgemerkt, was man im Grundbuch eicht ersehen kann. Im Juli  v.J. Erzählte Herr Blasel über Befragen dass er als Direktor eine Kaution von 30.000 Gulden stellen werde.
Als das Colosseum von Blasel eröffnet wurde, kam auch zur Sprache, dass er Bier, Wein und Gebäck von der Gesellschaft beziehen müsse. Nun haben wir Herrn Blasel in letzter Zeit um verschiedene Auskünfte gebeten. So wollten wir wissen, ob es wahr sei, dass der Bierlieferant Mauthner 50.000 Gulden, der Weinlieferant Pollak und der Gebäcklieferant  Müller  je 20.000 Gulden der Gesellschaft geliehen haben gegen  die Zusicherung der Lieferungen. Die Herren Blasel, Vater  und Sohn, verweigerten darüber, sowie  über die Frage, wegen  der Satzpost jede Antwort. Trotzdem sind wir in der Lage zu  berichten, dass diese Satzpost identisch ist mit der Kaution, und  dass ein Agent des Herrn Brunner sich bemüht hat, das bare Geld dafür aufzutreiben. Diese Kaution brauchte nämlich der Herr Gemeinderat Dr. Alfred Mittler, um dem früheren Direktor des Colosseums die Abfertigung zu bezahlen.
Herr Dr Mittler ist der Rechtsfreund dieser KG. Trotzdem  hat er sie in einem Prozess  nicht vertreten, der in den letzten Dezember Tagen stattgefunden hat. Wir haben bereits einmal mitgeteilt, dass sämtliche Verträge,  welche Ben Tieber  abgeschlossen hatte, von der neuen Direktion übernommen wurden. Herr Dr. Mittler hatte das Verzeichnis, Herr Leopold Blasel die Verträge. Im ersteren  kam auch ein Engagements Kontrakt mit einem Artisten namens Feher vor, unter den letzteren nicht. Als der Erfüllung Termin heranrückte, verständigte der Artist die Direktion des Colosseums von seinem Eintreffen, man antwortete ihm, dass von einem Engagement nichts bekannt sei. Feher klagte beim Landesgericht in Zivilsachen eine Betrag von  600 Gulden wegen Nichterfüllung des Kontraktes ein. Hier wurde konstatiert, dass  Herr Dr. Mittler dem Herrn Blasel trotz mehrfacher  Urgenzen das erwähnte Verzeichnis nicht geschickt  und dieser keinen Vertrag mit Feher in Händen hatte. Das  Gericht verurteilte die KG kostenpflichtig zur Zahlung, da diese für die Unterlassungen des Dr. Mittler haften müsse.

Herr Blasel rühmte -  allerdings  noch im Sommer  vorigen Jahres – die Koulance der Herren von der KG., welche ihm gestatten, auch als Direktor des Colosseums am Theater an der Wien zu gastieren. Fräulein von Schönerer hatte den Künstler zu einem sechsmaligen Gastspiel verpflichtet, und sollte Blasel in „Opernball“ und  „Ihre Exzellenz“ auftreten. Plötzlich sagte er ab. Fräulein von Schönerer drohte mit einer Klage, worauf Herr Blasel in der Kanzlei des Dr. Peritz, des  Rechtsfreundes der Direktrice vom Theater an der Wien, erschien. Dort wies er einen Brief vor, der ihm die Erlaubnis zu dem Gastspiel nur unter der Bedingung erteilen wollte, dass er  Blasel um 8.700 Gulden  Wein übernehme. Herr Blasel erzählte dem Advokaten, dass dieser Wein von Ben  Tieber übernommen werden musste und man ihn zwingen wolle, denselben zu kaufen, trotzdem er nichts wert sei. Daraufhin entließ Dr. Peritz Hernn Blasel aus seiner Gastspielverpflichtung mit den Worten: „Wir wollen von Ihnen nichts erpressen.“
Wenn man sich diese sonderbaren Vorkommnisse vor Augen hält, muss man unwillkürlich darauf kommen, dass in dem  Verhältnisse zwischen Direktion und KG. , eine Reihe von Konflikten bestehen, welche sehr zum Schaden des Unternehmens  gereichen. Andererseits muss aber der Befürchtung Raum gegeben werden, dass sich Männer, welche im politischen Leben eine führende Rolle spielen, in die Gefahr begeben nicht nur  sich zu kompromittieren. Deshalb  wäre es wohlsehr wünschenswert, wenn Dr. Mittler unsere Vermutungen bezüglich der Kaution des Herrn  Blasel offen beantworten wollte. Auch Herr Brunner wäre Gelegenheit gegeben einem Verdacht zu begegnen. Die Kaution des Herrn  Blasel wurde – unseren Informationen zufolge – zur Bezahlung der Abfertigung an Ben Tieber verwendet. Herr Blasel hat sich das Geld zur Kaution von Herrn Brunner verschafft, indem er ihm einen Haussatz  einräumte. Herr Blasel bei sich also von herrn Brunner Geld ausgeliehen, um es Herrn Brunner zu leihen. Denn die Kaution muss doch aufgehoben werden, und Herr Dr. Mittler wird es gewiss aufklären, warum die Kaution  durchaus  in barem Gelde erlegt und warum Herr Schönwetter solches besorgen musste Haussatz wurde mit 6 bis 7 Prozent ,  aus einem amtlichen Dokument der Steuerbehörde ist ersichtlich dass Herr Blasel 6 Prozent Zinsen an Herrn Brunner bezahlt, aber keine Zinsen von seiner Kaution bekommt. Sein Kapital könnte er sich aber  mindestens mit 5 Prozent verzinsen. Was folgt daraus? Dass Herr Blasel an den Gemeinderat Brunner Zinsen für ein Kapital“ bezahlt, welches Herrn Blasel gehört.“

Dr. Mittler hatte es ebenfalls vorgezogen  der Wahrheit zu entsprechen und schrieb der Redaktion des Neuen Wiener Journals,

Daraus geht hervor, dass der Bauunternehmer Dr. Heinrich Klitsch in den Jahren 1897 und 1898 die beiden Häuser Nr. 4 und 6 in der Nußdorferstraße durch den Stadtbaumeister Leopold  Roth erbauen ließ. 
In dem ersten der beiden Häuser  sollte ein moderner Ballsaal mit Restauration samt Nebenräumen, welcher für ein  Bedürfnis  Wiens erachtet wurde, untergebracht werden.  Erst nach fast vollständigem Ende des Baues entstand die Idee, statt  eines Ballsaales ein Variete Lokal zu kreieren. 

Als der Bau fertiggestellt war, begründete Herr  Dr. Klitsch die  KG.  Hysam, Roth & Cie., deren öffentliche Gesellschafter Herr Johann Roth, der mit  dem Baumeister Herrn Leopold Roth lediglich zufällig  den Namen  gemein hat, und der in der Folge ausgeschiedene Restaurateur  Carl Hysam  waren. Diese  KG. , deren Namen  nach dem  Ausscheiden  des Herrn Hysam in „Roth & Cie.,“ umgeändert wurde, kaufte die  erwähnten Realitäten Nr. 4 und 6 in der Nußdorferstraße von Herrn Dr. Klitsch,  und zwar gegen dem, dass dieselbe die auf diesen Realitäten haftenden Satzposten übernahm und dem Herrn Dr. Klitsch Kommandit  Anteile im Nominalbetrag von  340.000  Gulden gab.  Der hierdurch nicht gedeckte restliche  Kaufschilling wurde dem Herrn Dr. Klitsch in den  Büchern der KG., gutgeschrieben.

Diese KG., gehörte auch eine Reihe Wiener Firmen an, welche zum Zeichen ihres Interesses für  das Unternehmen kleine Kommandit Einlagen leisteten, die zu den für ihre Lieferungen entfallenen Beträgen in keinem Verhältnis standen.

Ende März 1899 gerieten Dr. Heinrich Klitsch und  mit ihm Baumeister Leopold Roth in Zahlungsschwierigkeiten, welche ihren Grund hauptsächlich in der verspäteten Fertigstellung der Colosseum Lokalitäten hatten. Da die zu ordnenden Passiven  mehr als 600.000 Gulden betrugen, wurde allseits ein außergerichtlicher Ausgleich als wünschenswert  erkannt und tatsächlich auch auf Grund einer 30 prozentiger Quote seitens der Firma Fußbodenfabrik Baiersdorf & Biach durchgeführt, welche die Aktiven des Herrn Dr. Heinrich Klitsch, verstehend aus dem Kommandit Anteil an der Firma Roth & Cie., und der Forderung an dieselbe als Gegenwert übernahm.

Mit einem Wort alle Behauptungen entsprachen nicht der Wahrheit.
Der Nächste der sich meldete war Blasel, auch ihm ging es  um die Wahrheit.

Um 1900 fanden im Colosseum Internationale Schönheitskonkurrenzen statt. Aus den verschiedensten Gegenden der Monarchie  wurden Künstlerinnen und Künstler für das Colosseum engagiert um den prachtvollen Saal mit Gästen zu füllen. Sensarion erregte „La belle Gina Millo“  eine Athletin, bei der das wundervolle Äußere und das kraftvolle Gehabe gleichermaßen   fesselte. Dann wieder eine Posse  „Wien in Venedig“ von X. Flok., Mizzi Grübl, Richard Waldemar die besten Gesangskomiker. Auch das schwarze Udel-Quartett sorgte für Unterhaltung, oder Mr. Mario mit seinen dressierten Pantern. Das Publikum zollte den großartigen Darbietungen des internationalen Varietes enthusiastischen Beifall.

Außerdem befand sich das Colosseum verkehrsgünstig mit besten Anschlüssen  an den öffentlichen Verkehr.

Im März 1901 erhielt das Extrablatt die Nachricht, dass Direktor Blasel in Folge des schlechten Geschäftsganges von der Leitung und dem Betrieb des Colosseum zurückgetreten sei und gestern die letzte Vorstellung stattgefunden hätte und die Vergnügungsstätte geschlossen ist. 

Diese Nachricht wurde mit Bedauern aufgenommen, denn Blasel war durch seine langjährige künstlerische Tätigkeit eine sehe beliebte  und populäre Persönlichkeit in dieser Stadt  geworden.

Auch andere Unternehmungen hatten zu kämpfen  und konnten sich weiter behaupten.  Es müssen also noch andere Umstände, vielleicht Geldmangel, dazu beigetragen haben, dass die Geschäftsführung des Herrn Blasel mit einem solchen Misserfolg geendet hatte.

Blasel gab an, dass  Barnum seinem Etablissement ungeheuren Schaden  zugefügt hätte und wäre dadurch in eine schwierige Lage geraten. Die Firma Roth & Co., an die er sich wandte, an den Prokurist Arthur Brill, Lucien Brunner und schließlich Dr. Alfred Mittler hatte alles getan um seine  Untergang herbeizuführen. Obwohl Blasel der Gesellschaft in vierzehn Monaten über 300.000 Kronen darunter fast 200.000 Kronen Pacht bezahlt hatte. Außerdem bekam er die Kündigung des Hypothekarkredits von 60.000 Kronen von Seite  des Herrn Brunner per 1. März. All das waren Gründe  um das Wiener Colosseum zu schließen.

Seine Feinde behaupten, dass Blasel Unwahrheiten  in die Welt setze.  Allerdings mussten sie zugeben, dass  die Konkurrenz Barnum  geschadet hätte. Alle Verhandlungen waren gescheitert, daher wandte sich Blasel an den Bürgermeister mit der Eingabe, dass das Colosseum schwere Baugebrechen habe und feuergefährlich sei. Eine Lokalkommission kam und untersuchte  auf das Gründlichste und fand alles in Ordnung.

Eine Schließung war daher nicht notwendig. Roth & Cie., wollten ohne Unterbrechung die Fortsetzungen der Vorstellungen herbeiführen.

Im ersten Jahr wurden glänzende Einnahmen erzielt. Der damalige Direktor Ben Tieber musste aus verschiedenen privaten Gründen zurücktreten. Ähnlich erging es Blasel jetzt, darum hatte er die Leitung seinem Sohn Leopold übergeben.

Ernster und folgenschwer ist das Missgeschick welches die Direktion Blasel im Colosseum ereilt hatte. Hier handelt es sich um das Schicksal eines Etablissement mit dessen Beistand zahlreiche Existenzen verknüpft sind und welches dem Publikum eine Stätte die Vergnügen bot.

Wie ein Blatt betroffen darauf hinwies, dass eines nach dem anderen  geht flöten, zuerst das Orpheum, dann Steiner mit Venedig in Wien, Nestroy Saal, Blasel Colosseum, Wiener Ballhaus, mit dem Tingel Tangel geht es abwärts....

Am 3. September 1901 wurde das Colosseum unter dem neuen Direktor  Arthur Brill unter äußerst günstigen Auspizien  wieder eröffnet. Der prächtige Saal war  mit Zuschauern  dicht gefüllt, welche nicht müde wurden, ihren Beifall  für die ausgezeichneten Leistungen welche geboten  wurden, kundzugeben. Man darf  es ohne  Übertreibung  sagen, dass es wohl  noch nie  dem Direktor  eines Varietes gelungen ist, ein so vorzügliches, abwechslungsreiches Programm zusammenzustellen, als diesmal im Colosseum geboten wird.

Nach Schluss der Vorstellung  gibt es noch ein unentgeltliches Schrammel Konzert. Die neuen Dekorationen sind aus Atelier Franz Haiß und die ganze  Ausschmückung des Hauses ist eine glänzende. Der Regisseur Herr Georg Ecker ein Mann der Pünktlichkeit zu sein und Kapellmeister  A. Gisser bestätigt  mit seiner Kapelle sein altes Renommee. Mit einem Wort, es gibt im Colosseum, wie es jetzt ist, gar nichts zu tadeln und deshalb dürfte sich auch die Erwartung  erfüllen, dass dieses Unternehmen nun in glänzender Weise prosperieren wird.

Im Oktober gab es durch die berühmte Schulreiterin  Theresa Renz eine weitere Bereicherung des Programmes. Das feurige Pferd war die Manege und nicht die Bühne mit dem harten Boden  gewöhnt. Doch die  Reiterin meisterte den Hengst alsbald  und führte ihn in allen Gangarten vor. Bei ihrem Debut wurde die Schulreiterin mit reichen Beifall bedacht.

Ben Tieber übernimmt  1904  die Direktion im Apollo  Theater. 

Da im April 1908  der Saal im Colosseum  umgebaut wurde, entfielen die Vorstellungen.

Im Jahr 1912 scheint im Colosseum ein Direktor Mittler auf.

1916 macht eine Lunapark-Gesellschaft von sich reden und endet  vor den Zivilbezirksgericht Leopoldstadt. Über fünf Klagen gegen die Gesellschaft  vor dem Bezirksrichter Dr. Meier  stattfanden, wurde das Geheimnis der englischen Gesellschaft enthüllt und man staune, dass diese Lunapark Gesellschaft überhaupt nicht existiert.

Vom Colosseum und von Beamten, die für den  Direktor King der Lunapark Gesellschaft  verschiedene Dienste geleistet hatten, waren  durch Dr. Eitelberg Klagen auf  Zahlung eingebracht worden.  Das Colosseum beanspruchte  über 900 Kronenan Pachtgebühren für die  Zeit, während welcher das Lunapark Ensemble im Colosseum gastierte.

An den gegenwärtigen Generaldirektor  des Lunaparks Ben Tieber ist Montag eine Depesche aus London eingetroffen, die der Ankunft eines Vertreters der „Lunapark-Companie“ in Wien ankündigt, der mit dem nötigen Kapital ausgestattet werde,  um die  schwebenden Angelegenheiten zu ordnen. Generaldirektor Ben Tieber  hat daher  den Vertreter  der Hauptbeschädigten Dr. Alexander Marschik und den Vertreter  der  Artisten Dr. Karl Samuely von diesem Sachverhalt verständigt  und die Herren aufgefordert  die Verträge der Direktion vorzulegen und ein genaues Verzeichnis der beanspruchten Summen beizulegen.

Dr. Samuely wünschte einen Kurator für   die in Wien nicht registrierte  Luna Park Companie und beim Landesgericht namens dreier Artisten die Klage auf 6500 Kronen Gage eingebracht.

Ab 1918 hatten die Gutsituierten in diesem Lande kein leichtes Leben, entweder sie wurden kritisiert oder wie es 1919 dem Direktor des Apollo Theater Ben Tieber erging, der  die schöne Wagner Villa  in der Hüttelbergstraße gekauft hatte, von den Genossen heimgesucht wurde und Mehl und Zucker entwendeten, und die Arbeiter Zeitung daraus sogleich einen Leitartikel darüber schreibt als wäre das eine Heldentat gewesen.

Eine weitere unangenehme Sache hatte Tieber mit dem Hellseher und Hypnotiseur Hanussen mit dem er wegen der Gage in Streit geraten war und fast zu Tätlichkeiten gekommen wäre. Hanussen zog mit seinem Medium ab und trat nicht mehr im Apollo Theater auf. Man rechnete mit einem gerichtlichen Nachspiel.
Ein weiterer Gerichtsfall wurde der Streit zwischen Tieber und Wreschinski der im fällige Zahlungen schuldete.

Am 31. Mai 1925  brachten sämtliche Zeitungen die Nachricht, dass Ben Tieber im  Alter von 59 Jahren an einem Nierenleiden gestorben ist und würdigten sein verdienstvolles Leben. Er hinterließ eine Gattin und zwei  minderjährige Kinder.

Das Wiener Colosseum und das Apollo Theater  wurden später Kinos
Besonders das Colosseum  sank immer tiefer. Entweder man demolierte derart schöne Objekte oder man missbrauchte diese, indem man wie nun im  Colosseum einen Supermarkt darin  eröffnete.


__QUELLEN:__  Arbeiter Zeitung, 3. August 1924, S 5,Neue Freie Presse, 4. Dezember 1912, S 14, Ill. Wiener Extrablatt, 1. März  1901,ANNO Österreichische Nationalbibliothek




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