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Thomas Klestil (1932 – 2004). Eine Biographie#

Von Ernst Lanz

Thomas Klestil wurde am 4. November 1932 in einfachen Verhältnisse in Wien geboren. Der Vater verstarb sehr früh. Der Jüngste erlebte den Zweiten Weltkrieg – ein älterer Bruder war in Russland verschollen, besuchte katholische Ordensschulen, maturierte und promovierte 1957 zum Wirtschaftsakademiker. Damals knüpfte er in der Studentenverbindung „Bajuvaria" erste Kontakte. Noch im erwähnten Jahr heiratete er die Mode-Direktrice Edith Wielander. Aus der Ehe entstammten eine Tochter und zwei Söhne. Kurz nach Eintritt in das Bundeskanzleramt wurde er in diplomatischer Mission ins Ausland gesandt. Während der ÖVP-Alleinregierung unter Bundeskanzler Joseph Klaus arbeitete er als Sekretär. Wahrer Höhepunkt seiner Diplomatenkarriere war der Dienst als ständiger Botschafter Österreichs bei der UNO in New York. Danach fungierte er als österreichischer Botschafter in Washington. Längst hatte er mit dem damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan und mit dessen Vize George Bush sen. Freundschaften geschlossen. Legendär war die im November 1982 von Klestil arrangierte Lipizzaner-Galavorstellung vor dem Weißen Haus. Aber auch mit dem aus Österreich stammenden jungen Bodybuilder und aufstrebenden Filmschauspieler Arnold Schwarzenegger verstand er sich. Allerdings brachte Klestil trotz eifrigster Anstrengungen in der Affäre Waldheim keinen definitiven Erfolg zustande. Nach Österreich zurückgekehrt arbeitete der umtriebige Diplomat im Außenamt. ÖVP-Obmann Erhard Busek holte Klestil für die Kandidatur um das Bundespräsidentenamt. Er führte den Wahlkampf nach amerikanischen Muster: „Macht braucht Kontrolle", versprach ein starker Präsident zu sein, zeigte sich als sportlicher Mann mit intakter Familie. Als doch unbekannter Außenseiter gewann er gegen den SPÖ-Kandidaten Rudolf Streicher im zweiten Wahlgang mit 57 Prozent der abgegebenen Wählerstimmen. Am Tag der Angelobung im Juli 1992 erinnerte Klestil daran, dass ein Politiker auch für die Öffentlichkeit zu arbeiten hätte. Noch im ersten Jahr seiner Amtszeit unternahm er die fälligen 19 Staatsbesuche, die seinem international geächteten Vorgänger Kurt Waldheim wegen seiner Kriegsvergangenheit versagt geblieben waren. Klestil sah sein Bestreben in einer Überdehnung seiner präsidialen Amtsauffassung, die zwar gemäß der Bundesverfassung nur repräsentativen Charakter hatte, indem er an Innen- und Außenpolitik deutlich mitarbeitete. Oftmals zum Ärger der jeweils amtierenden Bundeskanzler Franz Vranitzky (SPÖ), Viktor Klima (SPÖ) und zuletzt Wolfgang Schüssel (ÖVP). Klestil blickte auf die Einigung Europas und initiierte schon 1993 ein jährlich stattfindendes Treffen zentraleuropäischer Präsidenten. Er befürwortete den Beitritt Österreichs in die EU, was auch zu Beginn des Jahres 1995 geschah. Zum Ärger Vranitzkys erschien Klestil am Beitrittstreffen im Juni 1994 auf Korfu, wo er eine Ansprache hielt. Schließlich hielt er die Neutralität Österreichs für veraltet. Ein weiteres Anliegen lag in der Aussöhnung Österreichs mit den überlebenden Opfern der NS-Vergangenheit. Als erster österreichischer Bundespräsident besuchte er 1994 Israel, bekannte in der Knesseth die Mitschuld seines Volkes an der Shoah. Weiter richtete er gemeinsam mit dem damaligen ersten Nationalratspräsidenten Heinz Fischer (SPÖ) Fonds für die Opfer ein. Als Wirtschaftsliberaler ermöglichte er während Staatsbesuchen in China, Japan, Saudi-Arabien und Syrien, Iran und Russland enorme Handelsverträge zugunsten Österreichs Wirtschaft. Privat schlitterte Klestil in eine Trennung von seiner Ehefrau. Danach in schwere und langwierige Erkrankungen im Herbst 1996, die er mit Mühe überstanden hatte. Er verfasste 1997 ein Buch über „Themen seines Lebens". Ein Komitee unterstützte den wiedergenesenen Bundespräsidenten zur Wiederwahl im April 1998. Mit 63,5 Prozent ließ er seine Mitbewerberinnen Gertraud Knoll und Heide Schmidt – die SPÖ stellte damals keinen Kandidaten auf – weit hinter sich. Bei seiner Angelobung im Juli 1998 versprach er den Zwiespalt zwischen Politik und Bürger zu verringern, ebenso eine notwendige Offensive in der Bildung- und Forschungspolitik sowie Beschäftigung mit der künftigen Sicherheitspolitik Österreichs. Nach der Scheidung heiratete er zu Weihnachten 1998 die Spitzendiplomatin Margot Löffler. Sein Umgang mit den Medien geriet zu einem aussichtslosen Kraftakt, worauf er hinkünftig den meisten Redakteuren Misstrauen zollte. Nach der Nationalratswahl im Oktober 1999 musste Klestil zu seinem Missvergnügen im Februar 2000 eine Mitte-Rechts-Regierung mit Bundeskanzler Schüssel (ÖVP) und Susanne Riess-Passer (FPÖ) angeloben. Klestil stand in einem Dilemma zwischen eigenen Rücktritt aus Protest, Auflösung des Nationalrates oder Neuwahlen mit verhängnisvollem Ausgang. Er dachte, dass eine FPÖ-Regierungsbeteiligung zu verfrüht sei. Zumindest erreichte er, dass Populist Jörg Haider keinen Ministerrang innehielt. Die EU-Sanktionen traten in Kraft. Kreise aus ÖVP und FPÖ warfen Klestil und SPÖ-Chef Klima vor, die Sanktionen angeregt zu haben. Nach einer ergebnislosen Untersuchung der österreichischen Gesellschaft durch einen Weisenrat – sie lobten sogar Österreich – hob die EU mühevoll die Sanktionen wieder auf. Nach Unstimmigkeiten in der FPÖ kam es 2002 zu Neuwahlen. Klestil wollte eine große Koalition. Bundeskanzler Schüssel erneuerte gelassen im Februar 2003 die bisherige Koalition. Diesmal mit Herbert Haupt als Vizekanzler. Kritiklos vollzog Klestil die neuerliche Angelobung. Menschlichkeit und tiefste Emotionalität zeichnete Klestil aus. Gesellschaftliche Sachprobleme interessierten ihn. Vermittelte zwischen Regierung und Gewerkschaft über Pensionsreformen du Privatisierung von Staatsbetrieben. Für ihn war die Integration von Behinderten in der Gesellschaft ein vorrangiges Anliegen. Er besuchte die Opfer der Hochwasserkatastrophe im August 2002. Er bekannte sich zu christlichen Werten, engagierte sich zum baulichen Erhalt der Wallfahrtsbasilika Mariazell. Nahm am Katholikentag bei klirrender Kälte in Mariazell teil. Betont unterstützte er die bildenden Künste und nahm in seinem Freundeskreis Künstler aus allen Sparten auf. Seine Gegner aus dem bürgerlichen Lager, aus dem er gekommen war, ließ ihm die Abneigung jahrelang spüren, verkannten dabei seine politischen Leistungen. Unverzeihlich blieb die Verstoßung der Gattin nach 41 Ehejahren zugunsten einer Jüngeren. Widrigkeiten über Gerüchte, auch in Buchform veröffentlicht – Abtreibung – und gerichtlich erfolgreich abgeschmettert. Zuletzt wurden noch eine bevorstehende Scheidung und Alkoholprobleme angeführt. Seiner Ehefrau wurde eine Affäre mit FPÖ-Verteidigungsminister Scheibner angedichtet. Weitere langwierige Krankheiten und Operationen an beidseitigen Achillessehnen folgten. Aus dem jugendlichen Bundespräsidenten war ein Einsamer in der Hofburg geworden. Er bewies unerbittliche josephinischen Pflichterfüllung. Entgegen dem Anraten seiner Ärzte sich zu schonen arbeitete er weiter. Unternahm anstrengende Staatsbesuche. Sogar seinen Amtsnachfolger Heinz Fischer stellte er beim Treffen der zentraleuropäischen Präsidenten in Rumänien Ende Mai 2004 noch vor. Klestil beabsichtigte später als erster Diplomat Wiens zu fungieren. Drei Tage vor der offiziellen festlich geplanten Amtsübergabe brach er in seiner Prachtvilla in Wien-Hietzing zusammen. Ob auch persönliche Kränkung sein frühes Ende herbeiführte bleibt dahingestellt. Nach eineinhalb Tagen verstarb Thomas Klestil 71-jährig am 6. Juli 2004 kurz vor Mitternacht in Wien. Große Betroffenheit herrschte in Österreich und im Ausland. Der Dank durch das offizielle Österreich blieb ihm versagt. Wegen Verkennung seiner tatsächlichen Leistungen als österreichischer Politiker im In- und Ausland dominierten geheuchelte Nachrufe. Bei seinem Staatsbegräbnis – zuerst ein Requiem durch Kardinal Christoph Schönborn im Wiener Stephansdom, dann Beisetzung in der Präsidentengruft – nahmen über 25 Staatsoberhäupter und unzählige Repräsentanten aus der ganzen Welt teil. Als kompromissloser Patriot mit kosmopolitischen Einschlag stellte er den Ruf seines Landes wieder her. Ohne Zweifel galt er als großer und geachteter Staatsmann aus Österreich und Europa – der populärste bisher – in einer Welt des Wandels, der Globalisierung und Versuch den Frieden zu bewahren. Als aktiver Präsident stieß er zwar auf die Grenzen der Verfassung, gab dennoch seinem Amt einen neuen Schwung. Sein unverrückbares Vermächtnis war der Einsatz der Zusammenführung Europas und seine intensive Versöhnungspolitik mit dem jüdischen Volk und Israel.

Copyright Ernst Lanz 2004

Quellen

  • Zeitungen wie "Die Presse", "Der Standard", "Kurier", "Krone"; Wochenmagazine wie "News" und "Profil"
  • TV-Dokus des ORF
  • Eigene Notizen

Die darin enthaltenen Interpretationen und/oder Fehler sind natürlich die meinen. Der Beitrag ist damals im Juli 2004 spontan entstanden.


Ergänzende Quellen (2019) (Auswahl)