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Fragile Koalitionen im Osten Europas#

Wechselhafter, diverser und instabiler – Koalitionsregierungen funktionieren im Osten Europas anders als im Westen. Wie sie arbeiten und was sie von westeuropäischen unterscheidet, untersucht Politikwissenschafter Wolfgang C. Müller im FWF-Projekt "Regieren in Koalitionen in Mittel- und Osteuropa".#

Fragiles Seil
Koalitionspartner in Osteuropa verbindet oft nur ein fragiles Band. Wie Koalitionen zusammengehalten werden und wie ihr Lebenszyklus im Vergleich zum Westen Europas aussieht, untersucht Politikwissenschafter Wolfgang C. Müller in seinem aktuellen FWF-Projekt.
Foto: Universität Wien

Stellen Sie sich vor, die KPÖ PLUS koaliert mit der FPÖ. Dass eine Partei vom linken Rand und eine Partei aus dem rechten Spektrum eine Koalition bilden, ist in Österreich fast undenkbar. In Osteuropa nicht. "Während sich Koalitionen in Westeuropa meistens an der Links-Rechts-Achse bilden, kann das für Mittel- und Osteuropa nicht so pauschal gesagt werden", stellt Wolfgang C. Müller vom Institut für Staatswissenschaft der Universität Wien fest. Dennoch ist die Links-Rechts-Achse in der Koalitionspolitik bedeutender als bisher angenommen wurde.

Warum sich in mittel- und osteuropäischen Staaten Koalitionen bilden und wie sich diese gestalten, steht im Mittelpunkt des vom FWF geförderten Projekts "Regieren in Koalitionen in Mittel- und Osteuropa". Gemeinsam mit seinem Kollegen Torbjörn Bergmann aus Schweden und seiner Kollegin Gabriella Ilonszki aus Ungarn leitet Müller ein Team aus internationalen ExpertInnen, die in zehn mittel- und osteuropäischen Ländern Daten zu allen Koalitionsphasen sammeln. "Die klassischen Hollywood-Filme enden meist, wenn zwei zusammenfinden. Aber jeder, der Beziehungen kennt, weiß, dass die Probleme dann oftmals erst anfangen und nicht alles geklärt ist", so Müller über den Fokus des Projekts.

Neuwahlen vermeiden#

Der Lebenszyklus einer Koalition beginnt üblicherweise mit Wahlen. Er kann aber auch durch solche enden. An diesem Punkt fallen bereits erste regionale Unterschiede auf. In Mittel- und Osteuropa ist das Ende einer Koalition nicht gleichbedeutend mit dem Ende der Regierung. Während in Westeuropa einem Koalitionsbruch oft Neuwahlen folgen, zögern osteuropäische Regierungsmitglieder Wahlen hinaus – so ein Ergebnis des Projekts.

"WählerInnen bestrafen Regierungen in Osteuropa stärker als in Westeuropa", erklärt Müller. Weshalb diese auch eher vor Neuwahlen zurückschrecken und so lange wie möglich im Amt bleiben wollen. Notfalls mit einem Tausch des Koalitionspartners oder über eine Minderheitsregierung. "In den untersuchten Ländern ist es nicht unüblich, dass sich innerhalb derselben Legislaturperiode eine neue Regierung formiert oder eine Partei aussteigt", ergänzt Bergmann.

Fragiles Machtkonstrukt#

Das labile Parteiensystem und der hohe Anteil an WechselwählerInnen bringt zwar oft neue Parteien in das Parlament, lässt sie aber auch schnell wieder verschwinden. Diese Instabilität des Parteiensystems hat zur Folge, dass sich buntere Koalitionen bilden, führt aber gleichzeitig auch zu einem Machtungleichgewicht – oft zugunsten der jeweiligen MachthaberInnen.

Als Paradebeispiel nennt Müller Rumänien – ein Land, dessen Verfassung dem Staatspräsidenten viele Kompetenzen einräumt. "Wenn sich ein Präsident für ein bestimmtes politisches Kabinett ausspricht, ist das für rumänische Abgeordnete oft ein Anreiz, ihre Parteiaffiliation zu wechseln oder aufzugeben und die Regierung zu unterstützen", so Müller. Das Kabinett wird so nicht durch die WählerInnen, sondern nach Wunsch des aktuellen Machthabers gestärkt.

Wolfgang C. Müller (li.) und Torbjörn Bergmann (re.)
"Demokratie ist auch die Voraussetzung für unsere Arbeit. In nicht-demokratischen Ländern gibt es üblicherweise keine Politikwissenschaft oder zumindest keine, die nicht für die MachthaberInnen arbeitet. Wir fühlen uns der Allgemeinheit, der Wissenschaft und dem Wissen verpflichtet – nicht den aktuellen MachthaberInnen. Demokratie ist demnach fundamental für alles, was wir tun", so Wolfgang C. Müller (li.) und Torbjörn Bergmann (re.) zur Semesterfrage.
Foto: Universität Wien/T. Bergmann

Schnelle Adaption#

Postkommunistische Staaten, zu denen die untersuchten Länder zählen, haben einen langen Lernprozess zu durchlaufen: Zunächst hinsichtlich der Bewältigung der eigenen politischen Vergangenheit und dann hinsichtlich der Entwicklung neuer Strukturen, die Koalitionen erst ermöglichen, wie Müller erläutert: "Koalitionsverträge abzuschließen ist ein erster Schritt, aber diese Verträge müssen infolge auch überwacht und umgesetzt werden."

Die osteuropäischen Staaten konnten relativ rasch Strukturen zur Koalitionsbildung und -kontrolle entwickeln und waren damit schneller als ihre westlichen Nachbarn nach dem Zweiten Weltkrieg. "Osteuropäische Staaten profitierten hier doppelt: Sie lernten zum einen durch die Umsetzung, zum anderen hatten sie auch den Westen als Vorbild, der diese Mechanismen erst erfinden musste", so Müller.

Unterschiedliche Regierungsmuster#

Allerdings sind diese Mechanismen noch nicht so effizient. Während in Westeuropa der Koalitionskompromiss das dominierende Muster des Regierens ist, weicht Osteuropa in zwei Richtungen ab: Einerseits durch eine stärkere Tendenz zu fragmentiertem Regieren, wobei jede Partei für "ihre" Ministerien freie Hand hat, andererseits aufgrund zu starker Führung durch den Premierminister.

Müller und seine KollegInnen planen die Ergebnisse des mehrjährigen Projekts demnächst in Buchform zu veröffentlichen. Unterteilt in vergleichende Kapitel und Länderstudien soll die Publikation zu einer differenzierten Koalitionsforschung beitragen, wie Müller erklärt: "Die Koalitionsforschung hat sich bisher hauptsächlich mit dem Beginn und dem Ende von Koalitionen beschäftigt, wir haben den gesamten Lebenszyklus im Blick – den Anfang, das Ende und alles dazwischen." (pp)

Das vom FWF geförderte Projekt "Regieren in Koalitionen in Mittel- und Osteuropa" läuft von 1. Februar 2013 bis 31. Jänner 2018 unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Claudius Müller, internationale Kooperationspartner: Prof. Dr. Torbjörn Bergmann und Prof. Dr. Gabriella Ilonszki.