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Aberglaube#

Kugelsegen

Der Begriff enthält ein Werturteil, das ihn als abwegig oder gesetzwidrig vom Glauben, wie ihn die Religionen lehren, unterscheidet. Die Silbe "aber" steht im Sinne von verkehrt. Die seit dem 15. Jahrhundert bekannte Zusammensetzung entspricht dem lateinischen superstitio (ängstliche Scheu, Wahnglaube). Martin Luther (1483 -1546) sprach von "Afterglaube" oder "Mißglaube", Johann Wolfgang Goethe (1749 -1832) philosophierte in seinen "Maximen und Reflexionen": "Der Aberglaube gehört zum Wesen des Menschen und flüchtet sich, wenn man ihn ganz und gar zu verdrängen denkt, in die wunderlichsten Ecken und Winkel, von wo er auf einmal, wenn er einigermaßen sicher zu sein glaubt, wieder hervortritt."

Das mit zehn Bänden immer noch umfangreichste volkskundliche Standardwerk trägt den Titel Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens (HDA). Es wurde von dem Germanisten Eduard Hoffmann-Krayer (1864 -1936) und dessen Schüler, dem Volkskundler Hanns Bächtold-Stäubli (1886 -1941) herausgegeben. Von 1916 bis 1925 erarbeiteten sie eine Materialsammlung mit 600.000 Zetteln, die sie alphabetisch nach Stichworten ordneten. Schließlich sammelten sich 1,5 Millionen Karteikarten mit handschriftlichen Notizen und ausgeschnittenen Belegstellen an. Der erste Band erschien 1927, der zehnte 1942. 60 Jahre danach kam ein HDA-Reprint mit einem Vorwort von Christoph Daxelmüller (1948-2003), Volkskunde-Ordinarius in Regensburg, heraus. Er spricht kurz den Aberglauben des 20. Jahrhunderts an, der weit über die traditionelle Magie des Alltags hinausgeht, wie ihn das tausende Spalten umfassende Nachschlagewerk beschreibt. Eine allgemein gültige Definition sei heute ebenso wenig möglich wie damals, nicht zuletzt deshalb, weil sie eine Frage des Standpunkts sei: "Aller Aberglaube ist alte Wissenschaft, alle Wissenschaft neuer Aberglaube ..." (Franz Strunz, 1909)

Das Urteil, was Glaube und was Aberglaube sei, ist zeitbedingt. "Im Volksglauben des frühen Mittelalters wurde die alles beherrschende Kraft der Gegenwart und Gnade Gottes immer wieder bedroht durch Erfahrungen und Ängste böser Mächte. Diese wurden oft personifiziert dargestellt und empfunden als Dämonen oder Teufelsgestalten. Sie übten auf viele, auch getaufte Menschen eine unfassbare Macht aus. Auch erfahrenes Unheil und Naturkatastrophen wurden widergöttlichen Mächten zugeschrieben", schreibt der Theologe Alfred Ehrensperger im Zusammenhang mit Karolingischen Liturgiereformen. "Bußbücher konzentrierten sich deshalb im frühen Mittelalter nicht nur auf das moralische Fehlverhalten des Einzelnen, sondern befassten sich auch ausführlich mit Dämonie und absichtslosem Handeln, das die Gottesbeziehung insgesamt blockierte. Die Wiederherstellung der von Gott geschaffenen guten Weltordnung war oberstes Ziel der Bußübungen und Rituale." Eine Analyse liturgischer Bücher aus dem 17. und 18. Jahrhundert zeigt, dass die Amtskirche noch fast ein Jahrtausend später an Beschwörungen festhielt. So finden sich in einem Rituale aus dem Jahr 1685 Segnungen von Gold, Weihrauch und Myrrhe am Dreikönigstag gegen Zauberei. 1709 sollte ein gegen Unwetter errichtetes Kreuz mit Beschwörungen errichtet werden. Ebenso sind in diesem kirchlichen Buch Segnungen von Tieren gegen Schaden und Schadenszauber bei Milch und Butter vorgesehen. Auch die Vorgehensweise, einen verzauberten Menschen zu befreien, wird darin beschrieben.

2013 veranstalteten das Volkskundemuseum und das Institut für Volkskunde und Kulturanthropologie der Universität Graz ein Symposion unter dem Titel „Superstition – Dingwelten des Irrationalen“. Doch bei allem Bemühen, die wertende Vokabel zu vermeiden, kommt die Forschung um den Begriff Aberglauben nicht herum, wenn sie sich verständlich machen will. Auch die Variante „Superstition“ sei nicht wertfrei und zudem den wenigsten geläufig, stellte die Organisatorin Eva Kreissl fest.

2023 zeigte das Österreichische Museum ür Volkskunde die Ausstellung "Ich glaube was, was du nicht glaubst. Objekte zu Phänomenen von Glaube und Aberglaube". Die Exponate wurden von Studierenden der Universität für Gestaltung Linz und dem Institut für Europäische Ethnologie der Universität Wien gesammelt. In zwei Lehrveranstaltungen setzten sie sich mit Begriffen des Glaubens, Aberglaubens und Wissens auseinander. Im Katalog heißt es: Der Begriff des Aberglaubens ist im allgemeinen Sprachgebrauch eher negativ besetzt. Die Wissenschaftlerin Eva Kreissl hat 2015 versucht, den Aberglauben neutral zu definieren: als Glaube, der auf Wissen beruht, der Anderen als falsch erscheint. Ob dieser Glaube als allgemein gültig anerkannt wird (in Form von Religion etwa) oder nicht (in Form von Esoterik oder Pseudowissenschaft), hat weniger etwas mit der Art des Wissens oder Glaubens zu tun als mit Machtverhältnissen in der Gesellschaft, in der diese Phänomene auftreten.


Quellen:
Beitl: Wörterbuch der deutschen Volkskunde. Stuttgart 1974. S. 2
Der Große Duden, Etymologie. Herkunftswörterbuch der deutschen Sprache. Mannheim 1963. S. 8
Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Berlin 1987. Bd. 1/S. XXVI
Eva Kreissl (Hg.): Kulturtechnik Aberglaube. Bielefeld 2013
Protokolle zur Liturgie (Hg. Rudolf Pacik und Andreas Redtenbacher). Würzburg 2008. Bd. 2/S. 147 f., 165 f.

Bild:
Kugelsegen aus dem 2. Weltkrieg, Oberösterreich. Gemeinfrei


Siehe auch:
--> Essay Aberglaube