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Helga Maria Wolf

Handel und Wandel#

Dominik Wolf, Geschäftsanzeige 1812

"Handel und Wandel" diese alte Zwillingsformel steht für das geschäftliche Leben und Treiben einer Gesellschaft. Sie verweist ebenso auf den wechselhaften finanziellen Erfolg, wie auf die Mobilität der Kaufleute.

Um seine eigene "Handlung" eröffnen zu können, musste ein junger Mann eine sechsjährige Lehrzeit absolvieren. Meist geschah dies beim Vater, einem Verwandten oder Geschäftsfreund. Als Ideale des Lehrlings (und auch des Gesellen) galten Gottesfurcht, Gehorsam dem Dienstgeber gegenüber, Fleiß und Sparsamkeit. Zu seinen Aufgaben zählte das Abschreiben der Geschäftskorrespondenz. Danach arbeitete er fünf bis zwanzig weitere Jahre als "Handlungsdiener" oder "Commis". Diese Berufsbezeichnung ist u. a. aus den Theaterstücken Johann Nestroys bekannt. Der Geselle führte den Briefwechsel, reiste auf Messen, organisierte den Transport, war für das Warenlager, den Ein- und Verkauf zuständig, agierte auch als Kassier und Buchhalter. Nach entsprechender Praxis konnte er Teilhaber bei einem Verwandten werden oder sich als solcher in eine Firma einkaufen.

Zur Eröffnung eines eigenen Geschäfts war der Nachweis eines Kapitals (zweischen 8000 und 15000 Gulden, davon ein Drittel Eigenmittel) nötig. Um in das Großhandelsgremium aufgenommen zu werden, musste eine Summe hinterlegt werden. Es erwies sich als hilfreich, eine verwitwete "Kaufmannin" zu heiraten. Sie brachte neben der Mitgift auch persönliches Vermögen ein, das der Gatte verwaltete. Außerdem ermöglichte die Hochzeit den Aufstieg in den Kreis der Kaufleute. Brautpaare, Trauzeugen und Taufpaten kamen meist aus derselben Gesellschaftsschicht. Die Frau erzog neben ihren Kindern auch die Lehrlinge und sorgte für deren Bildung, organisierte das Haus und konnte einen Witwen-Fortbetrieb führen.

Seit einem Jahrzehnt beschäftigt sich das Projekt "Der Donauhandel" des Instituts für Geschichtsforschung der Universität Wien (Leitung: Priv. Doz. Mag. Dr. Peter Rauscher) mit Handelsorten im Einzugsbereich der österreichischen Donau, wie Aschach, Freistadt, Krems, Linz, Stein, Steyr, Wien oder Wiener Neustadt. Das Projekt erschließt zentrale Quellen der österreichischen Wirtschaftsgeschichte des 17. und 18. Jahrhunderts in Form von frei zugänglichen Datenbanken (http://www.univie.ac.at/donauhandel/home/ ). Es beschäftigt sich mit den Händlern und Kaufleuten, die die Masse der Marktteilnehmer bildeten. So erfährt man nicht nur, wer wann welche Waren importierte oder exportierte, sondern auch, auf welchen Schiffen diese befördert wurden. Das größte, der Kehlheimer, war 42 m lang.

Die Projektmitarbeiterin Mag. Andrea Serles hat den Donauhandel zu ihrem Dissertationsthema gemacht. Sie schreibt über den Handelsort Krems: " Im Raum Krems-Stein trifft die West-Ostverbindung entlang der Donau auf eine Nord-Südverbindung, die über Böhmen und Mähren bis nach Schlesien und den Norden und Osten Polens reicht. … Neben der günstigen geographischen Lage bildeten die Handelsgüter Wein und Eisen … für Krems die Basis, um auch für den Fernhandel als Marktort von Interesse zu sein. Für viele weitere Produkte stellten die Kremser Märkte für Jahrhunderte das Bindeglied zwischen den Fernhändlern und den regionalen Verbrauchern dar. Abgesehen vom Eisenhandel florierte im Mittelalter und der Frühen Neuzeit das Geschäft mit russischem Juchtenleder, das vorrangig über Krakau und Breslau bezogen wurde und der Versorgung des einheimischen Lederergewerbes diente. Von den oberdeutschen Städten wurden Farbstoffe, Gewürze, Tabak, Tuche und die 'Nürnberger Waren' bezogen. Weitere häufig gehandelte Güter waren die 'Venediger Waren', Honig und Wachs, Garn, Federn und Lebensmittel."

Einer der aktivsten Handelsleute war Johann Friedrich Werti von Mührenfeld. Er heiratete 1689 in Krems Maria Susanna Werndl-Finger, die Witwe des im Jahr zuvor verstorbenen Inneren Rats und gewesenen Handesherrn Josef Finger aus Bozen. Das Ehepaar Werti stiftete ihm zu Ehren einen Gedenkstein und Altar samt Messstipendium in der Pfarrkirche Krems-St. Veit. Die Marmortafel blieb original erhalten, auch Wertis Häuser stehen noch. Er baute ein großes Geschäftshaus mit Gewölbe, ("das Wertisch Haus"), in dem durchgehende Handelswaren hinterlegt wurden. Die Stadt Krems profitierte vom Stapelrecht. Durchreisende Kaufleute mussten ihre Waren zuerst hier anbieten. Werti betrieb Donauhandel in den Jahren 1692, 1694, 1699, 1701, 1706, 1710, 1711, 1720. Er kaufte Seidenwaren, Juchten, Kreide, Schmelztiegel, Stockfisch, Butter, Kastanien, Weinbeeren, holländischen Käse und verkaufte Öl und Farben. Für den Lederhandel besaß er kaiserliche Privilegien. 1689 erwarb er um die hohe Summe von 12 Reichstalern das Bürgerrecht. 1692 kam er auf Wunsch Leopold I. in den Äußeren Rat der Stadt Krems, 1697 wurde er in den Inneren Rat gewählt (bis 1718). Außerdem war er Kirchenmeister, Oberkammeramtsverordneter, zuletzt Stadtrichter. Als Johann Friedrich Werti von Mührenfeld 1719 begraben wurde, hinterließ er ein großes Vermögen, mehrere Häuser und eine Kunstsammlung. Seine Witwe Maria Susanna Werndl-Finger-Werti trat in das Kloster Imbach ein.

Mehr als große Handelsherren gab es kleine Händler. Wanderhändler kamen aus Gegenden, in denen die Landwirtschaft wenig ertragreich war, wie im Waldviertel. Bekannt sind die Uhrenhändler aus Karlstein und die "Bandelkramer" aus Groß-Siegharts. Sie hausierten mit Bändern, Zwirn und Nadeln. Im Merkantilismus ermöglichten Handelskompanien, Manufakturen, die Ansiedlung ausländischer Facharbeiter und ein staatlich verwaltetes Vertriebssystem die Massenproduktion. Groß-Siegharts verdankte seine Entwicklung Johann Christoph Graf Mallenthein (1682- 1749), Hauptaktionär der Kaiserlich Privilegierten Orientalischen Compagnie, die auf der Donau und aus dem Mittelmeerraum Rohstoffe brachte und Fertigwaren ins Ausland exportierte. Innerhalb weniger Jahre wurde aus dem 100-Seelen-Dorf eine Marktgemeinde mit 400 Einwohnern. Der Grundherr baute eine planmäßig angelegte Fabrikssiedlung mit 160 Häusern und holte Spinner und Weber aus Sachsen und Schwaben. Betriebe für Spinnerei, Tuchmacherei, Barchentweberei sowie zur Herstellung von Hüten und Strümpfen entstanden. Dem kometenhaften Aufstieg folgte nach weniger als einem Jahrzehnt 1731 der Konkurs. Die Bewohner fanden eine neue Existenzgrundlage in der - in Ansätzen seit 1700 vorhandenen - Bandproduktion. Reiche Bauern und Handwerker wurden nun zu Verlegern, im Ort selbst „Bandelkramer“ genannt. Sie besorgten Garn, das die Ärmeren in Heimarbeit verarbeiteten. Leistungsfähige „Bandmühlen“ in den Fabriken wurden von Lohnarbeitern bedient. Die Verleger ließen die Bänder färben und gaben sie bei zahlreichen Bauernfamilien in Groß-Siegharts und Umgebung zwecks Verkaufs in Kommission. „Bandeltrager“ brachten sie in alle Länder der Österreichisch-Ungarischen Monarchie. Für die Wiener waren diese Burschen die „Bandelkramer“. Ihr Kaufruf wurde als „Kafts Bandl, an Zwirn!“ oder „Baandel, Zwiirn kafft!“ wiedergegeben

Seit Jahrhunderten versorgten niederösterreichische Bauern die Bewohner Wiens mit Lebensmitteln. Obst und Gemüse kam aus spezialisierten „Marktfahrergemeinden“. Groß-Engersdorf, Manhartsbrunn oder Pillichsdorf in der Wolkersdorfer Gegend behielten diese Funktion bis weit ins 20. Jahrhundert. Die Langenzersdorfer lieferten Früchte und landwirtschaftliche Produkte. „Wer den Mund nicht aufbringt, hat auf dem Markt keine Chance“, wussten die Weinviertler Bauern. Für manche soll die Redegewandtheit ein entscheidendes Kriterium bei der Brautwahl gewesen sein, denn der Verkauf erfolgte meist durch Frauen. Der Begriff „Körberlgeld“ soll auf den Gewinn zurückgehen, den sie beim Eier- und Hühnerverkauf erwirtschafteten und der ihnen zustand.

Erschienen in der Zeitschrift Schaufenster Kulturregion, 2018