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Ladumtragen in Mistelbach#

Von den einst weit verbreiteten Zunftbräuchen hat sich das Ladumtragen nur bei der Hauerzunft Mistelbach erhalten. 2019 wurde es in der Kategorie "gesellschaftliche Praktiken" von der UNESCO in die nationale Liste des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen. Das Ladumtragen der Hauerzunft Mistelbach findet jedes zweite Jahr nach der Wahl des Oberzechmeisters statt. Termin ist der Hauerkirtag am Sonntag vor oder nach dem Bartholomäusfest (24. August), an dem zunächst ein Hochamt gefeiert wird. Am Nachmittag formiert sich der Umzug, derzeit: Zechknecht - Weinbergoaß - Hüterbuam - Salonwagen Kettbrassbrunner (Musikanten) - vier Oldtimer - Heurigenwagen - Wagen Kindergruppe Selinger - Wagen Gläserverkauf - Baumwagen Traubenmost/Sturm- Cabrio Weinkönigin und Prinzessinnen - Die Mistelbacher Volkstänzer - Kindergruppe mit Wappen - sechs Mistelbacher Dirndl - Stadtkapelle Mistelbach - Hauerschild - Polsterl mit Schlüssel - Zunftlade - Hauerjugend - Zechmeister mit Gattinnen - Ehrengäste - Zuschauer. Der Zug macht an vier Stationen Halt: Die erste ist das Rathaus, wo der Bürgermeister und die Winzerkönigin begrüßt werden. Dann holt man die Zunftlade beim Haus des Altzeichmeisters ab. Der dritte Halt erfolgt bei der Landwirtschaftlichen Fachschule. Beim Haus des Neuzechmeisters angelangt, wird die Truhe auf den Bühnenwagen gestellt und ihr Inhalt überprüft. Man begibt sich zum Hauptplatz, wo der Umzug in das Stadtfest übergeht. An jeder Station finden Ansprachen, Darbietungen, u. a. der Kindertheatergruppe, Volkstänzer, Cheerleader (im Dirndl), Stadtkapelle, sowie Bewirtung der Gäste statt. Die jungen Männer tragen die Hauertracht, die jungen Frauen Mistelbacher Dirndl (grüner Leib, brauner Rock, gelbe Schürze).

Zu den Traditionselementen zählt das "Hauerschild" in Form einer Krone. Es wurde 1988 in der Landesberufsschule aus vergoldetem Blech angefertigt, nachdem zuvor ein mit der Jahreszahl 1886 bezeichnetes und 1948 ein geschmiedetes Kennzeichen der Zunft bestanden hatten. Alle wurden nach einem überlieferten Vorbild gestaltet. Drei Bügel mit Herzen steigen von einem Reifen auf, an dem geschnitzte Trauben hängen. Während des Jahres befindet sich das Hauerschild beim Stammtisch im Gasthof. Für den Umzug zieren es die Burschen mit neuen Seidenbändern.

Im Ersten Weltkrieg und 1938 bis 1948 fand kein Hauerumzug statt. Beim Einmarsch des russischen Militärs brannte das Haus des damaligen Oberzechmeisters Franz Eckstein aus. Er fand die Zunftlade beschädigt im Kuhstall, der Inhalt war teils verbrannt, teils in Haus und Hof verstreut. Unter anderem blieben der Stiftsbrief von 1698 und die Satzungen erhalten. Der Oberzechmeister ließ die Relikte restaurieren, sodass der Brauch nun seit sechs Jahrzehnten wieder stattfinden kann.

Am 20. Mai 1698 genehmigten Fürst Maximilian II. v.u.z. Liechtenstein und der kaiserliche Hof die Gründung der Interessensgemeinschaft freier Weinbauern. Die Gründungsurkunde blieb erhalten. Die Weingartenordnung der Hauerzunft Mistelbach enthielt 45 "Freiheiten". Sie regelten wirtschaftliche, soziale und religiöse Fragen, wie Löhne und Arbeitszeit, Gebühren, gute Sitten, Soziales (Sorge um arme, alte Mitglieder, Begräbniskosten), Fahne und Siegel. Religiöse Bestimmungen waren die Teilnahme an der Fronleichnamsprozession, Fasttage, Hochämter (an den vier Hauerfeiertagen) etc.

Bruderschaften halb weltlicher, halb geistlicher Art bildeten - bei Bauern, Handwerkern und Händlern - seit dem Spätmittelalter die gesellschaftliche Grundlage für den jeweiligen Stand. Univ. Prof. Dr. Leopold Schmidt schrieb in seiner "Volkskunde von Niederösterreich" über die Hauerzünfte: "Ihre Eigenart, nicht nur eine beruflich geschlossene Gruppe von im wesentlichen persönlich Freien zu bilden, sondern auch jederzeit Gemeinschaftseigentum zu besitzen, die bodenmäßige Vorbedingung der Freiheit in feudaler Zeit also nicht nur für den Einzelnen, sondern auch für diese Gruppe selbst aufweisen zu können, erweist sie gerade als politischen Faktor. … Sie waren wohl an allen bedeutenden Weinorten die eigentlichen Träger des Geschehens, ihre Zechen stehen dementsprechend auch religiös weit voran. … Wenn in der Reformationszeit andere Vereinigungen einschliefen, die Hauerzechen blieben erhalten."

Die Gründung der Hauerzunft Mistelbach erfolgte im konfessionellen Zeitalter. Sie steht im Zusammenhang mit Veränderungen im Weinbau. Mistelbach bestand (bis 1850) aus zwei Gemeinden: der Pfarrholdengemeinde, die dem Barnabitenorden untertänig war, und dem Liechtenstein'schen Markt. Als Grundherr regelte Maximilian II. v.u.z. Liechtenstein (1641-1709) das Bergrecht neu. Der Fürst gewährte sechs Jahre Steuerfreiheit für neue Weingärten, führte die dreijährige Lehre mit Gesellenprüfung im Weinbau ein, vergab die Rieden mit fix vereinbartem Zins und legte den Zehent fest. Als Aufsichtspersonen fungierten Bergmeister, Weinzierl (gelernter Weinbauarbeiter) und Weingartenhüter. Die Hauerzunft sollte für die Einhaltung der Rechte und Pflichten sorgen. Ihr Vorstand bestand aus zwei Oberzechmeistern, zwei Unterzeichmeistern (Altzechmeister und ältester Zechmeister, einer war Pfarrholde), vier Viertel- oder Bergmeistern, vier Zechknechten (junge Männer) sowie vier Beisitzern.

Die "Hauerlade" (Zunfttruhe) spielte bei Innungszusammenkünften und als Kasse eine große Rolle. Sie befand sich beim Oberzechmeister. Nach dessen Neuwahl, alle zwei Jahre, trug man sie in feierlichem Zug zum Nachfolger. Drei Meister verwahrten je einen der Schlüssel zur Lade. Sie enthielt die Privilegien, Zunftrechnungen und Mitgliedsbücher. Derzeit befinden sich darin u.a. Protokolle und Rechnungen seit 1698, ein lateinischer Stiftungsbrief, der originale Stiftungsbrief, Urkunden, Rechtsdokumente, Siegel und Medaillen.

Leopold Schmidt wies darauf hin, dass die Hauerinnungen "selbstverständlich alle Eigenheiten der anderen Zünfte angenommen" haben: "Wenn sich beispielsweise in Mistelbach zum Weinhauerumzug das 'Ladumtragen' , das Übertragen der Zunftlade vom Haus des bisherigen Zechvaters zu dem neuen findet, so entspricht das dem an sich weit verbreiteten Zunftbrauch." Das Ladumtragen in Mistelbach weist auch Parallelen zum früher hier üblichen Übertragen der Gemeindelade und des Richterstabes zum Ortsrichter auf.


Quellen:

Fritz Bollhammer: Der Hauerumzug in Mistelbach, altes Brauchtum im Weinland
In: Mistelbach in Vergangenheit und Gegenwart, Band I (1962-1969) Seite 34-46
Engelbert M. Exl: Festschrift 300 Jahre Hauerinnung. Mistelbach in Vergangenheit und Gegenwart, Band VI., 1998
Leopold Schmidt: Volkskunde von Niederösterreich. Horn 1966. Band I, Seite 99 f.
UNESCO