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Neustifter Kirtag#

Neustift am Walde, ein Teil des 19. Gemeindebezirks Döbling, zählt zu den gesetzlich festgelegten Heurigengebieten Wiens. Schon 1326 ist der Weinbau in dieser Gegend urkundlich belegt. Die 1714 erbaute erste Kapelle des ehemaligen Vorortes wurde "Zu Ehren der Dreifaltigkeit, der hl. Jungfrau Maria und der Pestpatrone Rochus, Sebastian, Karl Borromäus, Franz Xaver und Rosalia" geweiht. Den Kirtag samt Umzug mit der Hauerkrone feiert man um das Fest des hl. Rochus (16. August). Er ist der einzige der sich im heutigen Stadtgebiet von Wien in dieser Form erhalten hat. "Die Weinhauerumzüge sind gewissermaßen Sonderformen der Kirtage im Lande geworden, " schreibt Leopold Schmidt in seiner "Volkskunde von NÖ". "Obgleich anderer Herkunft und anderer Funktion, hat sich der Kirtag im Lande doch zu einer Art von herbstlichem Fasching entwickelt. Er ist das zweite große dörfliche Tanzfest des Jahres."

Ende des 20. Jahrhunderts kamen zum Neustifter Kirtag alljährlich an die 80.000 BesucherInnen, darunter traditionell viele Prominente und Politiker. 14 Heurige hatten geöffnet, mehr als 70 Standln boten Waren an. Zeitungen zählten den viertägigen Event zu den beliebtesten Brauchtumsveranstaltungen der Stadt und bezeichneten ihn als "Wiens größtes Trachtenfest" (geschätzt 70 % der Gäste kamen in Dirndl und Leserhose. Traditionelle Elemente werden durch moderne (Partys) ergänzt.

Nach der Überlieferung wurden die Neustifter Weinhauer 1752 - mit der Hauerkrone als Geschenk - bei Maria Theresia vorstellig, um nach einer schlechten Ernte einen Steuernachlass zu erlangen. Die Monarchin gewährte die Bitte, nahm aber das Geschenk nicht an. Vielmehr sollten die Neustifter bei ihrem Kirtag alljährlich einen Umzug mit der Krone durchführen. Dazu wird sie mit einem drehbaren Ring auf einer Stange befestigt, an der sie zwei Burschen durch den Ort tragen. Das im Original erhaltene Objekt ist 60 cm hoch und hat 60 cm Durchmesser. Es ist an der Basis und den sechs Bügeln dicht mit goldenen und silbernen Walnüssen besteckt, mit frischen Blumen und bunten Bändern verziert. (Wenn die Krone bei Begräbnis eines Weinhauers mitgetragen wird, erhält sie schwarze Bänder.) Im unteren Teil befinden sich in sechs Ausnehmungen Spiegel und davor Porzellanfiguren auf kleinen Sockeln (ca. 8 cm hoch). Vier der Figuren, die aus einer tschechischen Manufaktur stammen sollen, sind im Original erhalten.

Die Weinbauern hatten eine Reihe überlieferter Bräuche, besonders im Zusammenhang mit den Weinhütern ("Hiata"). Deren Aufgabe war es - bis in die 1960er Jahre auch in Neustift am Walde - den Diebstahl der reifen Trauben zu verhindern. Der Umzug mit der Hauerkrone markierte das Ende der Weinlese, der Hüter konnte sich nun - in ritueller Form - seinen Lohn von den Weinbauern abholen. Der Zug machte bei jedem ihrer Häuser Halt, wo ein Ständchen dargebracht und Wein kredenzt wurde. (Leopold Schmidt verweist auf Parallelen zu Erntekranz und Erntekrone, die als Symbole des Arbeitsabschlusses von den Arbeitern der Herrschaft präsentiert wurden. Damit ging "durch die Blume" die Forderung nach dem Lohn und einem Fest Hand in Hand.)

In abgewandelter Form findet der Neustifter Kirtag mit dem Umzug seit 1754 bis heute statt, er wurde nur im Zweiten Weltkrieg ausgesetzt. Zur Eröffnung marschieren zwei Burschen mit der Krone zum Festplatz, wo Ansprachen stattfinden. Zwei Jugendliche mit Weinkaraffen, die "Flaschlbuam", begleiten sie. Nach der Krone geht der Weinhüter des Vorjahres ("Altbursch") mit seinem Nachfolger. Dessen Vorstellung ist sozusagen die Amtsübergabe. Als Hoheitszeichen dient ein Rinderhorn, wie es einst als Signal diente. Früher trug der Weinhüter seinen schwarzen Sonntagsanzug, jetzt Trachtenkleidung. Es folgen eine Musikkapelle und die zahlreichen Kirtagsgäste. Bei Häusern von Honoratioren hält der Zug, der Hiata lässt den Hausherrn, dessen Frau und Kinder hoch leben. Zu jedem Vivat-Ruf spielt die Kapelle einen Tusch, zum Abschluss heißt es: "Es lebe der Neustifter Kirtag". Die Träger heben die waagrechte Stange mit der Krone, die sie in Drehung versetzen, hoch. Der Hiata springt darunter zum "Angespielten″, der sich mit einem Trinkgeld revanchiert. Die Flaschlbuam reichen Wein, und die Kapelle spielt einen Ländler, zu dem der Hiata mit der Hausfrau tanzt. An den Veranstaltungstagen findet der Umzug insgesamt vier mal statt.

Als die Hüter tatsächlich die Weinberge bewachten, stellten sie am Beginn ihrer Aufsichts-Tätigkeit den "Hiatabaum" weithin sichtbar auf. Dadurch wusste man, dass die Rieden nicht mehr betreten werden durften. Jetzt wird das Aufstellen des Baums in brauchtümlicher Art beim Kirtag durchgeführt. Sechs Burschen tragen den entrindeten Nadelbaum, dessen Wipfel mit Bändern geschmückt ist, durch das Dorf. Am Aufstellungsort (beim "schiefen Giebel") bringen sie ihn mittels langer Stangen in die senkrechte Position. Prominente Personen befestigen eine Tafel daran und der Pfarrer segnet den Baum. Ein Umzug mit der Hauerkrone schließt sich an.

2020 wurden "Hauerkrone und Hiatabam" in der Kategorie "Gesellschaftliche Praktiken in die UNESCO-Liste des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen. Der Kirtag selbst konnte wegen der Coronavirus-Pandemie nicht stattfinden. 2024 schien das Traditionsevent gefährdet. Nachdem die Veranstalter schon im Vorjahr einen Verlust von 20.000 € verzeichnet hatten, drohten sie, auf den Kirtag verzichten. Daraufhin erklärten sich Stadt-SPÖ und -ÖVP bereit, dem Kirtag im Jahr 2024 mit je 12.500 € zu subventionieren.

Impressionen vom Neustifter Kirtag 2019

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Alle Fotos: (c) Doris Wolf

Quellen:
UNESCO
Hannes Trinkl: Weinhüter im Wandel der Zeit. In: Neustifter Kulturblätter, Jänner 2022
"Ö 24", 15.3.2024
2024, publiziert 15.3.2024