__Helga Maria Wolf__ \\ \\

!!! Vom Himmel hoch ...

[{Image src='Engel.jpg' alt='Foto: H. M.Wolf, 2019 ' class='image_left' height='200' width='115'}] 

Um Weihnachten haben Engel und Engelchen aller Art Hochsaison. Seit mehr als 100 Jahren verzichtet kein Hersteller von Glas- Metall- und Holzschmuck auf dieses Sujet. 

In Wien bot die Firma Eduard Witte Christbaumengel aus Papiermaché und Wachsüberzug  „mit beweglichen Brillant-Flügeln, Wollperücke, Trompete und Seidenkleidchen“ in Größen von 9 bis 34 cm an. Die Ausführung „mit gemalten Augen“ kostete 60 bis 80 Heller, die großen „Engel mit Glasaugen“ 1,50 bis 8 Kronen. Bunt bemalte Tragantengel,  als „Oblaten“, geprägte Farbdrucke mit ausgestanzten Konturen ergaben ein unüberschaubares Engelheer. Sie scharen sich aber nicht nur um Christbaum und Krippe. Schutzengelbilder fanden, als Chromolithographie in Massenauflagen gedruckt, Verbreitung als Wandschmuck und kleine Andachtsbilder. Zu den populären Modellen zählen auch die beiden "Lausbuben", die an der unteren Kante von Raffaels "Sixtinischer Madonna" lümmeln. Ihre weltweite Solokarriere begann um 1800, bald fand man sie auf Porzellan gemalt, als Pressbilder in Poesiealben geklebt, als Stickbilder an die Wand gehängt und - bis heute - als Dekoration für Waren aller Art verwendet. Geflügelte weibliche Gestalten bevölkern das Werbeuniversum und Engel sind zu esoterischen Nothelfern und Symbolen geworden. "Engelsrufer" fungieren als Talisman und Schmuckstück, "Engelskarten" dienen als Horoskop und Orakel.

Mit der traditionellen Theologie hat dies wenig zu tun. Das Pastoralliturgische Lexikon nennt Engel „von Gott geschaffene personale Wesen, die im Unterschied zum Menschen nicht an den Leib gebunden sind. Sie schauen stets das Angesicht des Vaters im Himmel und rufen vor aller anderen Schöpfung das Lob Gottes aus.“ Die Autoren des Alten und Neuen Testaments waren von der übernatürlichen Wirklichkeit überzeugt. Sie schrieben von geheimnisvollen, im Lichtglanz erscheinenden Wesen, die menschliche Vorstellungskraft übersteigen. Nach der Vertreibung aus dem Paradies verwehrten Cherubim Adam und Eva die Rückkehr. Abraham, Moses und andere empfanden die Begegnungen mit einem Engel bedrohlich, Jakob kämpfte mit einem. Engel richteten Daniel auf, stärkten Jesaja, trösteten Hagar und retteten die Jünglinge aus dem Feuerofen. Dem Propheten Jesaja begegneten in seiner Vision sechsflügelige Seraphe. Raphael, der Reisebegleiter des jungen Tobias, wurde zum Urbild der Schutzengel. Mehr als ein dutzend Mal werden Engel im Alten Testament erwähnt, im Neuen Testament viermal so oft. 

Im Zusammenhang mit Weihnachten: Gabriel verkündigte der jungen Maria, dass sie die Mutter Gottes werden sollte. Das Weihnachtsgeschehen war von Engeln begleitet. Ihr Glanz umleuchtete die Hirten. „Fürchtet euch nicht, denn ich verkünde euch eine große Freude“ sprach der Engel des Herrn die Hirten an, die in der Gegend von Bethlehem auf freiem Feld lagerten und Nachtwache bei ihrer Herde hielten. Nachdem der Bote Gottes den Verschreckten vom Kind in der Krippe erzählte, war plötzlich „bei dem Engel ein großes himmlische Heer, das Gott lobte und sprach: Verherrlicht ist Gott in der Höhe und auf Erden ist Friede bei den Menschen seiner Gnade, “ wie der Evangelist Lukas schreibt. Ein Engel ermahnte Josef im Traum, mit dem Kind nach Ägypten zu fliehen.

Was man in der Bibel nicht findet, ist eine Hierarchie der Engel. Diese zu entwickeln,  blieb den Kirchenlehrern vorbehalten. An der Wende zum 6. Jahrhundert lebte ein Mystiker, der sich Dionysios Areopagita nannte. Seine Engellehre beeinflusste das Denken der mittelalterlichen Theologen und die ostkirchliche Ikonenkunst. Er teilte die Vermittler zwischen himmlischer und irdischer Welt in drei Hierarchien: Die erste - Seraphim, Cherubim und Throne - steht unmittelbar vor Gottes Thron. Die zweite - Herrschaften, Mächte und Gewalten - wird Regierung genannt und menschenartig dargestellt. Die dritte - Fürstentümer, Erzengel und Engel - stellt die Verbindung zur Welt der Menschen her. Seraphim haben sechs Flügel, die oft Augen tragen. Die Farbe der Seraphim ist rot. Cherubim, blau gemalt, zeigen sich als Kopf mit vier Flügeln. Throne erscheinen als feurige Räder, rundherum mit Flügeln ausgestattet. Flügel sind das Symbol der Schwerelosigkeit  und Zeichen für ein Wesen aus der überirdischen Welt. Sie ermöglichen den schnellen Boten, Kontakt zwischen Gott und Mensch herzustellen. Die zweite Hierarchie ist wie ein Diakon mit einem bodenlangen, gegürteten Untergewand bekleidet. Ihre Vertreter tragen ein goldenes Band, Siegel, Zepter und Krone.  Die dritte Hierarchie hat die Gewänder des oströmischen Kaiserhofes. Botenengel, wie Gabriel und Michael, haben als hohe himmlische Beamte als Rangabzeichen einen Botenstab und bunte Streifen am Gewand. 

Seltsamerweise verwandelten sich die ursprünglich männlichen Engelsgestalten in der Westkirche zu weiblichen Wesen und Kindern. Kinderengel wurden in Renaissance und Barock zu molligen Putten. „Volkskunst“ und Devotional-Industrie haben sie in populärer Weise gestaltet. Nürnberger Rauschgoldengel sollen im 17. Jahrhundert aufgekommen sein. Nach der Überlieferung erschien einem Handwerksmeister seine verstorbene kleine Tochter im Traum, als Engel mit goldenem Kleid, goldener Haube und goldenen Flügeln. Er hätte die Vision nachgebildet, das Köpfchen geschnitzt und das Gewand aus feinem Messingblech gestaltet. Freunde überredeten den Mann, weitere Figuren dieser Art anzufertigen und auf dem Christkindlesmarkt zu verkaufen. Vor allem im 18. und 19. Jahrhundert waren die Rauschgoldengel modern, wobei Papier und Goldspitzen die plissierten Messingblechkleider ersetzten. Man nähte auch Gewänder aus Samt und Seide, verzierte sie mit Perlen und Glassteinen. Anstelle der geschnitzten Köpfe traten solche aus Porzellan oder Papiermaché. Viele dieser Puppen hatten echtes Haar, um die Jahrhundertwende trat gelockte Glasseide - "Engelshaar" - an dessen Stelle. Obwohl körperlos, zählen Engel zu den Lieblingsmotiven weihnachtlicher Kunst. Über der Krippe schwebt, oft zusammen mit dem Stern, ein Engel, der das Gotteslob auf einem Spruchband trägt: „Gloria in excelsis Deo“.\\ \\

Erschienen in der Zeitschrift "Schaufenster Kultur Region", 2016

















[{Metadata Suchbegriff=' ' Kontrolle='Nein'}]