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Wie der radioaktive Regen über die Steiermark kam#

Am 26. April 1986 ereignete sich der Super-Gau im Atomreaktor von Tschernobyl. Teile der Steiermark zählten zu den besonders stark betroffenen Regionen Europas und strahlen heute noch immer.#


Von Robert Engele mit freundlicher Genehmigung der Kleinen Zeitung


Strahlenschutzübung\Amt der Steiermärkischen Landesregierung
Strahlenschutzübung
Amt der Steiermärkischen Landesregierung

Am Samstag, den 26. April 1986, explodierte der Kernreaktor vom Typ RBMK-1000 in Block IV des sowjetischen Atomkraftwerks Tschernobyl. Die Katastrophe ereignete sich bei einem Versuch, als man einen vollständigen Stromausfall am Kernreaktor simulieren wollte und dafür alle Sicherheitssysteme abgeschaltet hatte. Die Folge war ein katastrophaler Unfall, ein sogenannter Super-Gau, bei dem mehrere Trillionen Becquerel (Größe der Aktivität einer Menge von radioaktiver Substanz) freigesetzt wurden. Etwa 600.000 Menschen in der Region wurden einer starken Strahlenbelastung ausgesetzt, 125.000 sind heute wahrscheinlich schwer erkrankt, laut der internationalen Atomenergiebehörde IAEO sind aber lediglich 4.000 daran verstorben. Über die weltweiten gesundheitlichen Folgen gibt es unterschiedliche wissenschaftliche Auffassungen.

Doch die Welt ahnte an diesem Tag noch nicht, was da alles auf sie zukam. Das Interesse der steirischen Zeitungen galt damals vor allem dem Kampf um die Bundespräsidentenwahl zwischen Kurt Waldheim und Kurt Steyrer, dem Vollausbau der Halbautobahn zwischen Hartberg und Gleisdorf sowie der Revolte in der FPÖ, als der Kärntner FP-Obmann Jörg Haider gegen seinen Bundesobmann Norbert Steger den Aufstand probte. Erst nachdem in Schweden ein dramatischer Anstieg radioaktiver Strahlung gemessen wurde, gab die UdSSR am Abend des 28. April die Atom-Katastrophe in der Ukraine zu. Jetzt kam überall Hektik auf. Stündlich gab es Sondersendungen im österreichischen Rundfunk, Verhaltensmaßnahmen wurden empfohlen, Kontrollen durchgeführt. „Die Lager sind leer. Gasmasken, Filteranlagen, Luftpumpen und Haltbarnahrung sind restlos ausverkauft“, meldete die Neue Zeit am 3. Mai. Vor allem Haltbarmilch und Mineralwasser waren die Renner. In Kärnten gab Landeshauptmann Leopold Wagner Katastrophenalarm. „Er empfahl den Eltern, Kinder bis zum schulpflichtigen Alter nicht aus dem Haus zu lassen. Schwangere Frauen sollten sich ebenfalls in geschlossenen Räumen aufhalten“, berichtete die Kleine Zeitung am 1. Mai.

„Für die Österreicher besteht kein Grund zur Panik“, beruhigte zwar Gesundheitsminister Franz Kreuzer, doch die allgemeine Unruhe war überall greifbar. Dabei war Österreich in einer sehr guten Situation, erklärt Ewald Plantosar, Strahlenschutzbeauftragter des Landes Steiermark. „Wir haben damals glücklicherweise schon das Strahlenfrühwarnsystem mit 336 Meßstellen gehabt.“ Und die konnten bereits unmittelbar nach dem Unfall in Tschernobyl ein erstes Bild der radioaktiven Kontamination liefern. Das Ergebnis war trotz aller positiven Erklärungen erschreckend: „Österreich zählt zu den von der Tschernobyl-Katastrophe am 26. April 1986 am stärksten betroffenen Ländern. Die Spitzenwerte der Bodenbelastung mit Cäsium-137 liegen bei über 150 kBq (Kilo Becquerel) pro Quadratmeter. Höhere Werte finden sich sonst nur in der Ukraine, in Weißrussland, Russland und in Teilen Skandinaviens“, hält das Bundesministerium für Gesundheit fest. Da aber die Menge an radioaktiven Nukliden vor allem vom Niederschlag an den Tagen nach dem Unglück (also vom 29. April bis 10. Mai 1986) abhängt, ist ihre Verteilung regional sehr unterschiedlich. Vor allem radioaktives Jod 131 war genau in dieser Zeit zusätzlich zu beachten, da dessen Halbertwertszeit nur acht Tage beträgt.

Durch heftigen Regen besonders stark radioaktiv belastet waren Teile des Wald-, Mühl- und Hausruckviertels, die Gegend um Linz, die Welser Heide, die Pyhrngegend, das Salzkammergut, die westlichen Niederen Tauern und Hohen Tauern bis zu den Zillertaler Alpen sowie Südkärnten. In der Steiermark besonders die Koralpe, die Weinebene, die Schladminger Tauern und das Tote Gebirge, wobei die Planneralm ein richtiger Hotspot ist, wie Plantosar meint. „Bei Untersuchungen in Bezug auf Schilddrüsenkrebs, Leukämie und spezielle Tumorarten in Oberösterreich, dem am stärksten betroffenen Bundesland, konnte man keine erhöhten Krebsarten feststellen. Auch keine erhöhten Missbildungsraten bei Säuglingen oder erhöhte Säuglingssterblichkeit“, betont er. Ganz anderer Ansicht ist da der britische Atomexperte Ian Fairlie. Auf Basis von OECD-Daten über die Strahlenbelastung in den verschiedenen Ländern Europas schätzte er im Auftrag der europäischen Grünen, dass rund 1700 Menschen allein in Österreich an den Folgen der Atomkatastrophe von Tschernobyl gestorben sind oder noch sterben werden. „Heute nach 29 Jahren sind noch 50 Prozent der radioaktiven Strahlung im Boden da und gut messbar“, vermeldet Strahlenfachmann Plantosar. „Das bedeutet aber keine Gesundheitsgefährdung, die Lebensmittel werden seit damals routinemäßig kontrolliert, darin ist trotz der hochempfindlichen Geräte von heute fast nichts mehr nachweisbar.“ Das Cäsium ist im Boden gebunden, weiß er, und geht nicht in die Pflanzen - nur Pilze sind betroffen und heute noch immer radioaktiv, die höchsten Werte findet man übrigens in Maronenröhrlingen. Eierschwammerl, Herrenpilze und Parasole jedoch sind eher unbedenklich.

Am meisten belastet sind aber frei im Wald lebende Wildschweine, zeigt eine Untersuchung der Gesundheitsagentur Ages, die im November 2012 vorgelegt wurde. Der Grund: Im unbearbeiteten Waldboden wird Cäsium 137 viel leichter aufgenommen als auf Acker oder Wiese - und genau in dieser obersten Waldbodenschicht wühlen Wildschweine. 2007 und 2008 war die Belastung der Wildschweine noch deutlich höher, weil die Tests in Regionen mit höherer Bodenbelastung (wo es Anfang Mai 1986 geregnet hatte) durchgeführt worden waren.

Zusammenfassend betont das Bundesministerium für Gesundheit in einer Aussendung vom 2. Juli 2015: „Der gelegentliche Konsum von Nahrungsmitteln, etwa von Wildpilzen oder von Wildfleisch, deren Radioaktivität über dem Grenzwert liegt, stellt daher kein Problem dar, weil unsere sonstigen Nahrungsmittel völlig unbelastet sind.“ Wie immer macht also nur die Dosis das Gift. Oder?

Bodenbelastung durch Cäsium-137 im Jahr 1986
Bodenbelastung durch Cäsium-137 im Jahr 1986
Umweltbundesamt/Boris Datenbank
Bodenbelastung durch Cäsium-137 im Jahr 2011
Bodenbelastung durch Cäsium-137 im Jahr 2011
Umweltbundesamt/Boris Datenbank

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© "Damals in Graz", Dr. Robert Engele