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"Es geht um die Anpassungsintelligenz"#

Die Herausforderung der Zukunft wird sein, sich den selbst geschaffenen Veränderungen der Umwelt bestmöglich anzupassen.#


Von der Wiener Zeitung (Dienstag, 29. August 2017) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Petra Tempfer


Die italienische Stadt Imola entstand in der Antike, 1502 hielt sich Leonardo da Vinci dort auf und erstellte Stadtpläne. Die Versiegelung des Bodens schreitet bis heute voran. Das verändert das Mikroklima., Foto: Name. Aus: Wikicommons
Die italienische Stadt Imola entstand in der Antike, 1502 hielt sich Leonardo da Vinci dort auf und erstellte Stadtpläne. Die Versiegelung des Bodens schreitet bis heute voran. Das verändert das Mikroklima.
Foto: Name. Aus: Wikicommons, unter PD

Wien. Betonwüsten, in denen begrünte Häuserfassaden gen Himmel wachsen. Großstädte, durch die Waldschneisen ziehen. Und staubige Äcker, auf denen trockenheitsresistente Feldfrüchte sprießen. Momentaufnahmen wie diese könnten bereits in einigen Jahrzehnten für Österreich typisch sein. Wenn die Veränderung der Ökosysteme und damit des Mikroklimas so weit fortgeschritten ist, dass ein Leben im bisherigen Sinn nicht mehr möglich ist. Wenn sich der Mensch an seine selbst geschaffene Umwelt durch immer innovativere Ideen anpassen muss, um zu überleben. Wenn die Kinder des Anthropozäns dieses mitgestalten.

Das Anthropozän ist das 2016 vom Internationalen Geologen-Kongress in Kapstadt ausgerufene Zeitalter, in dem sich der Mensch nicht mehr in die irdischen Systeme fügt - sondern diese formt. Den Beginn dieses neuen Zeitalters, das der geologischen Epoche des Holozäns (der seit mehr als 11.000 Jahren andauernden, warmzeitlichen Epoche des Eiszeitalters) angehört, definierte der Kongress mit 1945: jenem Jahr, in dem im US-Bundesstaat New Mexico der erste Atombombentest stattfand. Mit dem Vordringen in das mikroskopisch kleine Universum der Atome und dem Experimentieren damit versucht der Mensch den Geologen zufolge seitdem, auch die Vorgänge des größeren Ganzen zu beherrschen.

Versiegelungsgrad 41 Prozent#

Ein Faktum, das ihm dabei in die Hände spielt und gleichzeitig das Anthropozän vorantreibt: Der Mensch breitet sich aus. In Österreich bildet sich das in der voranschreitenden Versiegelung des Bodens ab. In den vergangenen zehn Jahren wurde laut Kurt Weinberger, Chef der Hagelversicherung, jeden Tag eine durchschnittliche Fläche von rund 15 Hektar zubetoniert. Das entspricht 30 Fußballfeldern.

Bereits seit 2002 ist zwar in der Nachhaltigkeitsstrategie der Regierung festgeschrieben, dass täglich nur noch 2,5 Hektar versiegelt werden dürfen - die Fläche ist dennoch sechsmal so groß. Seit 2002 ist die verbaute Fläche somit um 24 Prozent gewachsen. Betrachtet man Österreichs Gesamtfläche, so gelten von den rund 8,4 Millionen Hektar aufgrund der gebirgigen Landschaft 37 Prozent als besiedelbar. Der durchschnittliche Versiegelungsgrad dieser Siedlungs- und Verkehrsflächen liegt laut Umweltbundesamt bereits bei 41 Prozent. Zuletzt ging der Bodenverbrauch zwar geringfügig zurück, er ist aber noch immer auf hohem Niveau.

Die Konsequenzen sind vielfältig. Kulturflächen werden zurückgedrängt - die Größe des Ackerlands etwa ist laut Umweltministerium von rund 1,6 Millionen Hektar Mitte des 20. Jahrhunderts auf heute 1,3 Millionen geschrumpft. Zudem gehen die biologischen Funktionen der Böden mit deren Versiegelung verloren. Sie können kein Wasser und kein Kohlendioxid mehr speichern, was zu Überschwemmungen respektive Dürre führen kann. Gleichzeitig wachsen die Städte. Und mit ihnen Betonwände und Glasfassaden, die die Energie der Sonne multiplizieren und nicht mehr entweichen lassen. Das Resultat ist hausgemacht: Das Mikroklima verändert sich, es wird heißer und trockener.

"Es kühlt in der Nacht nicht mehr ab", sagt Alexander Orlik, Klimaexperte der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (Zamg), zur "Wiener Zeitung". Aufgrund fehlender Grünflächen und Bäume finde nämlich keine Verdunstung mehr statt, die die Umgebung abkühlen würde. Stattdessen speichere der Beton zusätzlich Wärme, so Orlik. Die Lufttemperatur im Wien ist dadurch von einem Jahresmittel von 8,8 Grad Celsius Mitte des 20. Jahrhunderts auf heute 11,7 Grad gestiegen.

Dazu kommen freilich Makroklima und Klimawandel. Letzterer lässt globalen Klimaprognosen zufolge Niederschlagsmengen weiter ab- und Temperaturen zunehmen. Bereits jetzt ist es in Gesamtösterreich um fast zwei Grad Celsius wärmer als im Jahr 1880. Extremereignisse wie Dürre, Hagel und Spätfrost nehmen zu.

"All diese Veränderungen gehen 100 Mal schneller vonstatten als jede natürliche Veränderung", sagt dazu Karl Schellmann, Klimasprecher des WWF Österreich. "Die Natur kann sich nicht so schnell anpassen." Die Natur - der Mensch bleibt trotz des technologischen Fortschritts, trotz seines unaufhaltsamen Forschergeists, trotz des Anthropozäns abhängig von ihr. Das hat er freilich schon erkannt. Österreichs Wald zum Beispiel, der kühlt und Sauerstoff spendet, lässt man wieder wachsen. Gab es Mitte des 20. Jahrhunderts rund 3,7 Millionen Hektar Wald, sind es heute etwa 4 Millionen, heißt es vom Waldforschungszentrum BFW. "Einerseits lässt man nicht mehr bewirtschaftete Almflächen zuwachsen, andererseits forstet man bewusst Wald auf", so das BFW. Wird wo gerodet, müsse nachgeforstet werden.

An der eigentlichen Problemzone, den wachsenden Städten und versiegelten Böden, gäbe es aber noch viel zu tun, sagen Schellmann und Orlik. Auf politischer Ebene ist hier Salzburg Vorreiter, wo mit 2018 eine Novelle des Raumordnungsgesetzes in Kraft treten soll, die der Bodenversiegelung entgegenwirkt. Die Ansiedlung neuer Supermärkte zum Beispiel soll künftig strenger geregelt sein.

Grundsätzlich gehe es darum, wieder Grünflächen und Schatten zu schaffen, sagt Schellmann. In Städten kann er sich "grüne Wände und Dächer" vorstellen. Orlik zufolge könnte man sich an Karlsruhe in Baden-Württemberg orientieren, wo Waldschneisen bis in den Stadtkern hineinreichen und das Mikroklima deutlich verbessern.

Dass sich die Lebensbedingungen ändern, wird sich aber vermutlich auch dadurch nicht gänzlich aufhalten lassen. Die Böden des ohnehin schon zurückgedrängten Ackerlandes sind auch noch trocken und ausgelaugt. Bewässerungsanlagen für den empfindlichen Mais, Sojabohnen oder Erdäpfel sind kostspielig und kompliziert.

Dennoch denkt man bereits intensiv über deren weiteren Ausbau nach. Jene Anlagen, die es schon gibt, wie der von Donauwasser gespeiste Marchfeldkanal, dienen als Vorlage für größere Varianten. In Niederösterreich etwa sollen künftig 250.000 Hektar bewässert werden, eine Machbarkeitsstudie läuft (die "Wiener Zeitung" hat berichtet). Das ist eine Fläche fast neunmal so groß wie jene der Marchfeldkanal-Bewässerung, in die umgerechnet 198 Millionen Euro flossen. Die Kosten des neuen Projekts werden diese Summe vermutlich auch um ein Vielfaches übersteigen - und der Erfolg wird doch immer regional beschränkt bleiben.

Um die landwirtschaftlichen Erträge langfristig zu sichern, gäbe es eine weitere Möglichkeit. Allerdings eine heftig umstrittene. Das Reizwort, das den wenigen großen Saatgut-Konzernen der Welt zu ihrer Macht verhalf und Umweltschützer auf die Barrikaden treibt, heißt Gentechnik. Der US-Konzern Monsanto etwa, der übrigens von seinem deutschen Konkurrenten Bayer übernommen werden soll, produziert eine genveränderte Maissorte, die trockenheitstolerant ist. Seit 2013 ist diese in den USA zugelassen. Die Erträge sind seitdem trotz voranschreitender Trockenheit überdurchschnittlich gut.

In der EU ist zwar der Anbau einiger gentechnisch veränderter Pflanzen zugelassen, in Österreich ist er jedoch verboten. Und das soll laut Umweltministerium auch in Zukunft so bleiben. "Dazu hat Bundesminister Andrä Rupprechter 2015 das Gentechnik-Anbauverbotsrahmengesetz initiiert, mit dem die Gentechnikfreiheit im Anbau in der Verfassung abgesichert ist", heißt es auf Nachfrage.

Kultur- und Sortenwahl#

Es gebe jedoch andere Wege. Aktuell sei das Ministerium mit den in Österreich tätigen Pflanzenzüchtern im Planungsstadium für ein Projekt mit dem Ziel der Selektion und Züchtung trockenheits- und hitzetoleranter Kulturpflanzen wie Getreide, Leguminosen und Ölpflanzen - ohne Gentechnik. Das Thema "Klimawandelanpassung" habe es in den vergangenen Jahren generell intensiviert. Die Pflanzenproduktion stehe dabei im Fokus und mit ihr die Erarbeitung möglicher Strategien. Diese reichen laut Ministerium vom vermehrten Übergang auf Winterkulturen (vor dem Winter eingesät, besonders bei Getreide), die die Winterfeuchte besser nutzen, bis hin zu Kultur- und Sortenwahl.

Anpassung - diese bestmöglich zu bewerkstelligen wird laut Trendforscher Andreas Reiter die Herausforderung der Zukunft sein. "Es geht um die Anpassungsintelligenz", sagt er. Ein allgemeingültiges Geheimrezept gebe es jedoch nicht. "Das muss mit der jeweiligen Kultur, mit der DNA der Gesellschaft kompatibel sein", so Reiter. Im Technik affinen Asien böten sich andere Möglichkeiten als in Europa. Mit jeder Maßnahme gehe vermutlich auch eine gesellschaftspolitische Diskussion einher. Der von den Menschen eingeschlagene Weg bleibt also kompliziert. Jener zurück ist jedenfalls versperrt.

Wiener Zeitung, Dienstag, 29. August 2017

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