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Ärger im Paradies #

Der Tourismus auf den Malediven wächst und mit ihm der Müllberg – täglich um bis zu 1500 Tonnen.#


Von der Wiener Zeitung (2. Jänner 2021) freundlicherweise zur Verfügung gestellt

Von

Martin Zinggl


Kreative Müllentsorgung

Der höchste Punkt im Paradies misst etwa fünfzehn Meter – und er stinkt. "Mount Thilafushi" nennt Ahmed Murthaza den einzigen Berg auf den Malediven, der zur Gänze aus Müll besteht. Genauso groß ist das Problem, das der kleine Mann mit Vollbart und Designerbrille zu stemmen hat. Vielleicht sogar ein zu großes: Der Tourismus im Inselparadies wächst und mit ihm der Müllberg – täglich um bis zu 1500 Tonnen. Abfall, der landesweit gesammelt und per Schiff nach Thilafushi gebracht wird, wo er schließlich im Feuer endet. Als Generaldirektor der Abteilung für Abfallbeseitigung und Schadstoffbekämpfung im maledivischen Umweltministerium soll Murthaza eine Lösung herbeizaubern, die umweltfreundlicher und nachhaltiger ist.

Wie David diesen Kampf gegen Goliath gewinnen will, weiß er bereits – zumindest theoretisch. Da sieht Murthaza anstelle des Müllbergs einen grünen Hügel in den Himmel ragen, ein Biotop, umrundet von angelegten Wegen, umgeben von auf Hochglanz polierten Gebäuden und Baumaschinen. Verbrennungsanlagen, die den Müll in Energie umwandeln sollen. Einladend, ordentlich und perfekt sieht der Ort aus, so wie man die Malediven von Postkarten kennt. Oder wie in dem Animationsfilm, der über den Monitor in Murthazas Büro flimmert und seine Zukunftsvision zeigt.

Wie soll ein fragiler Inselstaat mit all dem Müll umgehen?#

Doch keine sieben Kilometer entfernt von seinem Büro in Malé, der Hauptstadt der Malediven, sieht die Realität anders aus. Noch erreichen Shampoo-Flakons, Plastikflaschen, Babywindeln und Elektroschrott täglich Thilafushi. Noch waten dort Hilfsarbeiter aus Bangladesch, in Flipflops, T-Shirts und Shorts gekleidet und – bestenfalls – mit Atemschutzmasken ausgerüstet durch den Dreck. Noch schwirren Myriaden von Fliegen und anderem Ungeziefer um die Müllinsel herum. Noch gibt es kein System, wie ein fragiler Inselstaat, der vom Tourismus abhängt, mit all dem Müll umgehen soll, den die Bewohner, vor allem aber die Besucher produzieren.

Müll soll man entsorgen, aber wie?#

Weltweit gilt Mülltrennung als Herausforderung, der sich die Verantwortlichen eines jeden Landes stellen müssen. Manche tun das besser als andere. Für winzige Inselstaaten wie Fidschi, die Seychellen, Barbados oder eben die Malediven bedeutet das vor allem eines: ein unlösbares Problem. Die SIDS-Staaten, also Small Island Developing States, verfügen weder über die finanziellen noch die technischen Ressourcen, um ihren Abfall ordentlich zu entsorgen.

Im Fall der Malediven ist es noch spezieller. Nicht nur, weil das Staatsgebiet zu 99 Prozent aus Wasser besteht und damit die Fragen der Logistik und Kosten grundsätzlich Herausforderungen darstellen. Hinzu kommt, dass hier die Abfälle aus Produkten resultieren, die allesamt importiert werden mussten, da die Malediven selbst nichts produzieren. Und weil der Großteil dieser Produkte für die Resorts, also die Gäste, bereitgestellt wird. Mittlerweile profitieren natürlich alle Malediver von diesen Importen – und erzeugen damit Müll, den das Land früher nicht kannte.

Seit 1972 dürfen Touristen in dem muslimischen Zwergstaat Urlaub machen, genauso lange findet auch vermehrt Plastik seinen Einzug auf die Inseln. Denn mit dem Aufkommen der ersten Hotels begannen die damit verbundenen Einführungen von Lebensmitteln und Haushaltsprodukten für die Gäste. Davor waren die Insulaner daran gewöhnt, ihren zumeist organischen Abfall im Meer zu entsorgen. Gut zwanzig Jahre lang sah die Regierung dabei zu, wie Resortinseln ihren Müll entweder selbstständig verbrannten oder ihn im Ozean versenkten. Als die Regierung mit dem Aufkommen des neuen Mülls – vor allem mit seinen Mengen – überfordert war, suchte sie nach einer Lösung, die sie 1992 in einer riffgesäumten Lagune fand.

Ein Boden aus Abfällen#

Müllsack für Müllsack wurde darin entladen. Aufgeschüttet mit Sand. Bis aus dem Meer, Schicht für Schicht, Meter für Meter, eine künstlich geschaffene Insel aus Müll emporwuchs. Immer breiter, immer höher. "Riesig", sagt Murthaza, der Thilafushi auch nicht in Zahlen fassen kann. Rund zehn Hektar groß ist der aktuelle Müllplatz, der kleinere Teil Thilafushis. Der größere hingegen, mittlerweile zu einem Industriegebiet ausgebaut, besteht ebenfalls aus Abfall – allerdings ist dieser nicht sichtbar, denn er befindet sich unterhalb des Meeresspiegels. Dafür ist er spürbar, denn die fragile Bausubstanz aus Sand und Müll, der sich über die Jahrzehnte entweder zersetzt oder verschoben hat, gibt nach. Mancherorts scheint der Boden unter den Füßen zu schwimmen, wenn man darauf geht.

Murthaza weiß, dass Thilafushi nicht nur der große Schandfleck des Landes, sondern auch eine tickende Zeitbombe ist, da Chemikalien und andere Giftstoffe in das Meer geraten, Fauna und Flora verseuchen. Zudem werden die beim unsortierten Verbrennen entstehenden Dämpfe durch den Wind zu den umliegenden Inseln getragen.

Aus den Augen, aus dem Sinn, so die ursprüngliche Idee der Regierung. Aber da Geruch nicht vertuscht werden kann, rümpfen die Bewohner der benachbarten Inseln Villingili und Malé ihre Nasen. Weht der Wind aus Westen, beschweren sich Gäste der umliegenden Resortinseln über den Gestank, der von Thilafushi ausgeht.

Jahangir Sarker inhaliert die giftigen Dämpfe tagtäglich aus nächster Nähe. Der 24-Jährige aus Bangladesch ist einer jener 42 Hilfsarbeiter, die den Müll auf Thilafushi entgegennehmen, ihn von den ankommenden Schiffen auf Lastwagen laden, auf dem Müllberg deponieren und schließlich in Brand stecken. Dreißig Jahre Müll, unter und über ihm.

Bis 2023 wird Müllmann Jahangir Sarker noch auf Thilafushi ausharren. So lange soll es dauern, meint Ahmed Murthaza, bis er ein Thilafushi 2.0 vorstellen kann. In der ersten Phase des von ihm entwickelten Projekts soll eine funktionierende Müllentsorgungsstätte hergestellt und ein geeigneter Hafen konstruiert werden, an dem die Müllboote andocken und entladen können. Thilafushis Brände sollen Ende 2020 erlöschen, der Müll fortan recycelt und geballt, ein funktionierendes Transportsystem eingeführt werden, das Malé und Umgebung versorgt, also insgesamt 32 Inseln. Bis zum Beginn des Jahres 2022 soll diese Umstellung erfolgen.

Danach soll in Phase zwei ein Heizwerk Müll verbrennen und in Energie umwandeln. Konkret: fünfhundert Tonnen Abfall täglich hinein, acht Megawattstunden heraus. Ein Tropfen auf dem heißen Stein zwar, aber einer mit Vorbildwirkung, denn später einmal könnten weitere Müllinseln im Archipel demselben Modell folgen, so Murthaza. Dazu sieht er landesweite Sensibilisierungskampagnen vor, Bildungsprogramme in den Schulen und Kooperationen mit NGOs, Inselräten und externen Beratern.

Plastiksammler auf Villingili (Malediven)

Von diesem Konzept soll schließlich einmal das ganze Land profitieren, vor allem soll aber die bevölkerungsreichste Region rund um die Hauptstadt entlastet werden. Greater Male heißt das vier Inseln umfassende Gebiet, das bisher am stärksten unter den direkten Auswirkungen der Überbevölkerung leidet, nicht zuletzt, weil darin rund 120 Tonnen Müll täglich generiert werden. Allen voran Malé, mit insgesamt 150.000 Bewohnern, die am dichtest besiedelte Stadt der Welt.

Der gute Geist von Villingili#

Neben der Müllinsel Thilafushi und der Flughafeninsel Hulhumale umfasst die Region auch die Wohninsel Villingili, die etwa 8000 Bewohner beheimatet. Das Besondere an Villingili ist ihre unglückliche Lage: Bei Westwind wird der Müll aus Thilafushi an die Küste geschwemmt, bei Wind aus dem Osten jener aus dem überbevölkerten Malé. Ein Teufelskreis, der dadurch verstärkt wird, da die Insel bei etlichen Kurzzeitbewohnern und Wochenendbesuchern aus der Hauptstadt beliebt ist. Zu Tausenden strömen sie nach Villingili, hinterlassen ihren Müll an den Stränden. Längst könnte Villingili zu einem zweiten Malé verkommen sein. Dass dem nicht so ist, verdankt die Insel einem ihrer Söhne, den hier alle nur als "Beybe" kennen, den "großen Bruder".

Hasan Ahmed, genannt BeybeBeybe, der mit echtem Namen Hassan Ahmed heißt, begrüßt mit den Worten: "Welcome to Trashadise!" Vor dreizehn Jahren gründete der Mann mit Rastazöpfen bis zu den Kniekehlen "Save the Beach Maldives", eine NGO, die vor allem ein Ziel verfolgt: Strände und Riffe der Malediven frei von Müll zu halten. Mit Geduld und Engagement ist der 32-Jährige dem Problem der Verschmutzung begegnet, hat tagtäglich Villingilis Strände von Hand gereinigt. Zunächst allein, später gemeinsam mit seiner Frau, schließlich mitsamt seiner Truppe an Dutzenden Freiwilligen. Viele Bewohner Villingilis zweifelten an ihm und seinem Vorhaben, doch Beybe, für den Frustration ein Fremdwort ist, antwortete vorausblickend: "Ihr werdet die Veränderung sehen, aber das passiert nicht über Nacht." Mehr als zehn Jahre später beglückwünschen ihn die einstigen Zweifler.

Noch immer reinigen Beybe und sein Team die Strände, entleeren die vierzig bereitgestellten Mülleimer, predigen den Bewohnern, ebendiese zu benutzen. "Es gibt nun mehr Bewusstsein, wenn es um das Wegwerfen von Müll geht", erzählt Beybe. Trotzdem hat er weiterhin genug zu tun, jeden Tag: über wie unter Wasser.

Den gesammelten Müll recyclen Beybe und sein Team mithilfe anderer lokaler NGOs, die Metall, Glas, Plastik und Papier in irgendeiner Form wiederverwerten oder ordnungsgemäß entsorgen. Der restliche Abfall landet in Thilafushi.

In einem wissenschaftlichen Projekt widmete sich "Save the Beach Maldives" außerdem der Müllanalyse. Demzufolge produziert jeder Malediver etwa drei Kilogramm, jeder Besucher hingegen fünf Kilogramm pro Tag. Andere Berechnungen gehen von dreieinhalb Mal so viel Müll pro Tourist gegenüber einem Insulaner aus. Einig sind sich alle, dass der Tourismus die wichtigste Einnahmequelle der Malediven ist – etwa ein Viertel des Bruttoinlandsproduktes. Ein Land, das über keinerlei natürliche Ressourcen verfügt, außer seiner Schönheit: den Stränden und Küsten, der heimischen Fauna und Flora.

Eigentlich ein guter Grund für die maledivische Regierung zu versuchen, den Tourismus zu limitieren, um ihre eigene Umwelt zu schützen. Doch es passiert das Gegenteil, die Wirtschaft siegt. Erstmals erreichte die Zahl der Besucher die 1,5-Millionen-Marke im Jahr 2019, mit dem Ziel, 2020 überboten zu werden. Dem machte die Corona-Pandemie vorerst einen Strich durch die Rechnung, dennoch wurden innerhalb eines Jahres vier neue Flughäfen errichtet. Anfang 2019 zählten die Malediven 145 Resorts und zusätzlich 521 Gästehäuser. Jede Resortinsel produziert täglich etwa drei Tonnen Müll, vor allem Verpackungen von Lebensmitteln, Styroporboxen für den Transport und Einwegflakons für Shampoos und Duschgels, die die Urlauber mitbringen.

Die Regierung will die Bettenzahl verdoppeln#

In einem Sechs-Jahres-Pan will die Regierung die Bettenkapazität des Landes verdoppeln. Das veranlasste den Betriebswirtschafter Florian Kapmeier von der Hochschule in Reutlingen und seinen Kollegen Paulo Gonçalves von der Universität Lugano dazu, eine Simulationsstudie zu berechnen. Darin wird deutlich, dass das angestrebte Ziel der Malediven vor Ort zu einer "hohen Degradierung der Umwelt führen würde". Anschaulicher ausgedrückt: Ihr zerstört eure eigene Natur.

Das Land befindet sich in einem Dilemma, denn "die Touristen haben den Inseln erst aufgezeigt, dass sie ihre Strände reinigen sollen, da sonst keine Besucher kommen würden", meint Beybe. Andererseits kamen mit ihnen erst Produkte wie Plastikflaschen, Strohhalme, Einwegservietten, Wattestäbchen und sonstige Verpackungen ins Paradies.

Den Malediven fehlt ein nachhaltiges Tourismuskonzept – auch darin sind sich alle einig. Beybe kritisiert zudem die Müllentsorgung der Resortinseln, die den Hauptteil der Verschmutzung zu verantworten haben. Der Umweltschützer erinnert die Betreiber an ihre Verantwortung, die per Gesetz dazu verpflichtet seien, den Müll, der auf ihrer Insel entsteht, zu entsorgen. Viele Resorts geben diese Verantwortung ab, indem sie die maritime Müllabfuhr organisieren, um den Müll von der Insel zu schaffen. Als Grund für die mangelnde Effizienz vonseiten der Resorts nennt Beybe die jeweiligen Managements der Luxusunternehmen, die in den meisten Fällen ausländischen Investoren gehören: "Sie scheren sich nicht um unsere Umwelt. Es gibt nur einige wenige Resorts, die wirklich gute Arbeit leisten."

Eines davon heißt Soneva Fushi, eine Resortinsel im Baa Atoll, die als erstes Highend-Luxusresort der Malediven und als Vorreiter in puncto Umweltschutz gilt. Hier wird versucht, vor Ort erst gar nicht so viel Abfall entstehen zu lassen, der nach Thilafushi gebracht werden muss. Seit der Gründung 1995 versuchen die Besitzer, Sonu Shivdasani und seine Frau Eva Malmström Shivdasani, Nachhaltigkeit mit Luxustourismus zu vereinbaren. Mittlerweile recycelt Soneva Fushi neunzig Prozent des eigenen Mülls durch teils kreative Experimente.

Das ambitionierte Ziel Soneva Fushis ist eine völlig autonome Abfallwirtschaft bis Ende 2020: Das würde bedeuten, nur noch jenen Müll nach Thilafushi zu schicken, der überhaupt nicht recycelt werden kann, etwa Elektroschrott. Das soll nicht nur der Umwelt helfen, sondern dem Luxusresort Kosten sparen: vergangenes Jahr immerhin 140.000 Dollar (rund 130.000 Euro). Gordon Jackson, verantwortlich für die Müllentsorgung auf Soneva Fushi, ist überzeugt, dass mehr Resorts und Bewohner ihrem Beispiel folgen würden, "wenn wir den Menschen zeigen können, dass sie mit Müll Geld machen können".

Thilafushi, die Müllinsel der Malediven

Ob das Abfärben auf andere Resortinseln nur ein Wunschgedanke bleibt, wird sich zeigen. Spätestens mit Corona entwickelte sich bei vielen Hotelbetreibern, Reiseanbietern, Tourismusforschern und potenziellen Reisenden ein höheres Bewusstsein für Umweltschutz und grünere Ferien. Aber wie steht es um die Malediver selbst? Wie lange kann es dauern, ein Umdenken unter den Insulanern zu erreichen und das mittlerweile starre System, das sich seit den 1970er Jahren etabliert hat, zu durchbrechen?

"Es sind wir, die unser Land zerstören, nicht die Touristen", sagt Beybe selbstkritisch über seine Landsleute, denen es an Wissen fehle, um die Auswirkungen ihres Fehlverhaltens zu verstehen. Nicht nur die Resorts produzieren Müll: Der Großteil der über zweihundert bewohnten Inseln verfügt über keine funktionierende Abfallentsorgung. Ähnlich wie in Thilafushi bringen die Bewohner ihren Müll an einen Platz, meist irgendwo an einem der Insel-Enden, und verbrennen ihn – natürlich – unsortiert. Oder sie werfen ihn in den Ozean. Alles, was nicht verbrannt werden kann, schicken sie nach Thilafushi. "Ich schäme mich, auf Außeninseln zu fahren und dort von guter Abfallwirtschaft zu sprechen, wenn wir es nicht einmal in der Hauptstadt und in Thilafushi schaffen", so Beybe.

"Ich schäme mich, auf Außeninseln zu fahren."

Umweltaktivist Beybe

Doch es gibt einen Lichtblick: Maalhos. Eine Insel im Norden des Landes, die – unabhängig von der Regierung – grüner und nachhaltiger werden wollte. Der Drang, ein umweltfreundliches System zu schaffen, mit dem Ziel, den lokalen Tourismus zu fördern, entstand aus Eigeninitiative. Ein Versuchsprojekt, dass dank eines engagierten und vorausschauenden Inselrates zustande kam. Technisches Wissen und finanzielle Hilfe steuerte Soneva Fushi bei, deren Interesse schließlich darin liegt, ihren Lösungsansatz an umliegende Inseln weiterzugeben. In Maalhos entstand so neben einer eigenen Trinkwasseraufbereitung auch eine Müllsortierstation. Daraus könnte eine Kettenreaktion im Umdenken entstehen und "Waste Management Center" bald im ganzen Land aus dem Boden sprießen.

Im Waste Management Center von Maalhos wie andernorts auf den Malediven warten große, weiße Säcke darauf, mit Produkten aus PET, HTP und PP gefüllt zu werden. Flaschen, Flakons, Kanister und Verpackungen, die aus Plastik hergestellt wurden. Auf den Säcken steht in schwarzen Buchstaben ein Wort gedruckt, das beinahe jeder Malediver schon einmal gehört oder gelesen hat: "Parley". Ein Wort, das eigentlich die Kurzform für den Namen der NGO "Parley for the Oceans" ist und für eine nachhaltigere und saubere Zukunft der Inseln steht.

Die Repräsentantin der weltweiten Organisation kennen ebenfalls sehr viele Bewohner, da die Worte dieser resoluten Frau Gewicht haben und keine Widerrede erlauben. Im Gegenteil, Shaahina Ali macht Mut. Und das bereits lange bevor Parley 2015 auf den Malediven aktiv wurde. Die ehemalige Tauchlehrerin sah in den 1990er Jahren erstmals einen in Plastikmüll verfangenen Delfin, der verendet war. In Eigenregie reinigte sie fortan Riffe und brachte den Müll nach Thilafushi, nur um festzustellen, dass am nächsten Tag wieder alles zugemüllt war. Also gründete Ali eine Organisation mit dem Ziel, den Plastikmüll außer Landes zu schaffen. Sie begann, die Malediver zu sensibilisieren, hielt Vorträge in Schulen, vor Inselräten, sogar beim Präsidenten. Mit Hotelmanagern versuchte sie eine Umstellung auf Glasflaschen auszuverhandeln, mit der Regierung sprach sie über Importverbote von Plastikverpackungen. Schließlich bekam Ali Hilfe von "Parley for the Oceans", um ihr Ziel zu verwirklichen.

Mehr als 70.000 Bewohner haben den Vorträgen Alis bisher beigewohnt, in denen sie darüber spricht, wie der Plastikmüll aus dem Land transportiert und zu Sportartikeln verarbeitet wird. Insgesamt waren es in den vergangenen zwei Jahren rund 1200 Tonnen, etwa das Gewicht von zwei Passagierflugzeugen der Marke Airbus A380. Allein aus Thilafushi verbannte "Parley" 160 Tonnen. Das geballte Plastik wird auf Containerschiffe verladen, die die Malediven mit Gütern beliefern und danach leer auslaufen würden. Sie transportieren den Plastikmüll nach Taiwan, wo er recycelt und zu Granulaten verarbeitet wird, die später den Grundstoff für Schuhe und Trikots der Marke Adidas bilden. So spielen etwa Real Madrid oder Bayern München mit Trikots, hergestellt aus Müll.

Die Malediven haben sich ein ambitioniertes Ziel gesetzt. Während sie neue Rekorde bei den Besucherzahlen erzielen wollen, stehen sie vor dem Problem, die tickende Umwelt-Zeitbombe Thilafushi bis 2023 zu entschärfen. Kann dieser Kompromiss funktionieren? Den Fahrplan dafür gibt es nun - wenngleich bisher nur als theoretisches Konstrukt auf Ahmed Murthazas Monitor.

Und selbst wenn es gelingen sollte, wirklich nachhaltig ist dieser Zugang nicht, der darauf basiert, ein Wachstum im Tourismus anzustreben. Es gibt genügend Beispiele in der Welt, die zeigen, dass eine funktionierende Abfallentsorgung an einem beliebten Touristenziel allein nicht ausreicht, um das Problem zu lösen. Die Wissenschafter Kapmeier und Gonçalves weisen in ihrer Studie darauf hin, dass sich die Umwelt kurzfristig von weniger Müll erholt, dadurch jedoch umso attraktiver für Touristen wird. Die steigenden Besucherzahlen sorgen schließlich für mehr Entwicklung und Infrastruktur im Land, diese wiederrum bedeute mehr Müllproduktion und erhöhte Umweltbelastung. Die Balearen, Sardinien, Korfu und andere griechische Inseln haben diesen Teufelskreis verdeutlicht, der auch den Malediven droht. Ihre Müllsituation hat sich nicht verbessert.

Bleiben die Hoffnungsträger: Der "große Bruder" Beybe, der weiterhin Müll von Hand einsammelt, Shaahina Ali und Parley, die die Malediven plastikfrei machen wollen, und Resorts wie Soneva Fushi, die den von Touristen produzierten Müll selbst entsorgen und recyceln können, sowie die lokalen Bemühungen wie auf Maalhos, das Problem vor Ort in den Griff zu bekommen, bevor der Müll die Insel Richtung Thilafushi verlässt. Und natürlich das weltweite Umdenken unter den Besuchern, denen nachhaltiger Tourismus ein immer größeres Bedürfnis wird. Vielleicht kann es so gelingen, die Malediven dahin zurück zu führen, wie man den Inselstaat eigentlich kennt: als Paradies.

Wiener Zeitung, 2. Jänner 2021