Wir freuen uns über jede Rückmeldung. Ihre Botschaft geht vollkommen anonym nur an das Administrator Team. Danke fürs Mitmachen, das zur Verbesserung des Systems oder der Inhalte beitragen kann. ACHTUNG: Wir können an Sie nur eine Antwort senden, wenn Sie ihre Mail Adresse mitschicken, die wir sonst nicht kennen!
unbekannter Gast

Sand gibt es nicht wie Sand am Meer#

Sand ist das meistverbrauchte Wirtschaftsgut. Und er geht aus. Denn der Mensch greift im Übermaß zu.#


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Wiener Zeitung, 7. Juli 2018

Von

Eva Stanzl


Sand, Foto: pixabay.com
Sand
Foto: pixabay.com, unter PD

Am Strand rieselt er durch die Zehen. Ist er trocken, sinken die Füße ein. Wird er vom Meer umspült, ist er schön fest. In der Mittagssonne kann er die Fußsohlen verbrennen - in der Nacht ist er hingegen kühl bis kalt. Wer sich auf ihn legt, fühlt sich sanft gebettet. Er wird aufgehäuft und in der Sekunde vom Wasser weggespült, rinnt durch die Finger und lässt sich zu Burgen klopfen: Sand ist der einzige Stoff, der sich verhält wie Flüssigkeit, Festkörper und Staubkorn zugleich. Wenn wir den Tag am Strand verbringen, ist er überall: auf der Haut, unter den Nägeln, in den Haaren und in der Badetasche. Und in den Gehäusen von Mobiltelefonen und Kameras.

7.500.000.000.000.000.000 - oder 7,5 Trillionen Sandkörner liegen auf den Stränden der Welt. Diese Zahl haben Forscher der Universität Hawaii errechnet. Doch nicht nur an den Küsten von Pazifik-Staaten und Südseeinseln, des Mittelmeers oder der Adria ist der Sand allgegenwärtig. Sondern er findet sich in Sedimentbecken, Gletscher-Moränen, mäandrierenden Flüssen und deren Ufern, auf dem Seegrund, am Meeresboden und nicht zuletzt in den Wüsten der Welt, wo er unter bestimmten Bedingungen mysteriöse Töne erzeugt: Man nennt ihn "singenden Sand". Seine vielfältigen Eigenschaften machen den Sand neben Wasser und Wind zum meistgenutzten Rohstoff der Erde. Das natürliche, unverfestigte Sediment besteht überwiegend aus Mineralkörnern von 0,063 bis 2 Millimeter Größe, somit sind sie gröber als Schluff und feiner als Kies. Der Begriff gilt für alle mineralischen Zusammensetzungen.

"Sand ist fast so alt wie die Erde", sagt Christopher Lüthgens vom Institut für Angewandte Geologie der Universität für Bodenkultur in Wien. Seit sich das erste magmatische Gestein, etwa Granit oder Gneisen, verfestigt hat und wieder abgetragen wurde, gibt es Sand. "Durch Verwitterung zerfielen Felsen in Blöcke, Blöcke in kleineres Gestein, dieses zu Kies und dieser schließlich zu jenen feinen Mineralkörnern, die von Flüssen und Wind transportiert werden", erläutert Lüthgens, der das Alter von Sand in Sedimenten erforscht. Irgendwann landet das meiste Material im Meer und sinkt ab, sedimentiert, wird wieder aufgeschmolzen und bei der Bildung von Gebirgen gehoben. Der Sand bildet sich ständig neu.

Goldgelb, rosa schimmernd, küpfergrün und schwarz#

Über den Daumen gepeilt entstehen jede Sekunde eine Milliarde Sandkörner. Auch Korallenkadaver und Muschelschalen, tote Schnecken und Tintenfische liefern Material. Auch der korallenfressende Papageienfisch liefert den Nachschub für Traumstrände, und zwar mit seinen Exkrementen. "Ein großes Exemplar produziert eine Tonne Sand im Jahr", sagt der britische Geologe Michael Welland in einem Bericht im "Tagesspiegel".

Sand kann aus goldgelben Kristallen, rosa schimmernden Steinchen, kupfergrünen Partikeln oder pechschwarzen Bröseln bestehen. Wenn eine Sodafabrik in der Nähe ist, wird gelber Strand weiß.

Die meisten Sandvorkommen bestehen aus Quarz, das den chemischen Namen Siliciumdioxid trägt. Es wird zu besonders beständigem Quarz-Glas geschmolzen, das etwa zu optischen Linsen, Prismen oder Geräteglas verarbeitet wird. Das Element spielt auch eine Rolle bei der Herstellung von Papier, Medikamenten, Wasch- und Reinigungsmitteln, Haarsprays, Trockennahrung, Zahnpasta und Kosmetika. Auch in Farben und Lacken, Kunst- und Klebstoffen sowie Leichtmetallen findet es Anwendung. Ohne Sand gäbe es vermutlich keine Verkehrsmittel. Ohne ihn könnten Flugzeuge nicht abheben und Autos nicht zügig fahren. Es gäbe keine Innenräume aus Kunststoff, keine Triebwerke oder aerodynamische Flügel. Auch das Logo der Fluggesellschaft könnte nicht aufgemalt werden.

"Es ist wie mit der Luft, die wir atmen: Wir denken nicht an sie, aber ohne sie könnten wir nicht leben", sagt Kiran Pereira, Umweltspezialistin am Kings College in London. Sand enthält weiters Stoffe wie Silizium, Thorium und Uran. "Ohne hochwertigem Sand gäbe es keine Chips für die elektronischen Geräte und keine Mikroprozessoren für Computer, keine Bankomaten und keine Handys", betont Pereira. Aus ihm gewonnene Mineralien bilden die Grundlage der Informationsgesellschaft.

Den größten Bedarf hat die Bauindustrie. Seit 150 Jahren wird Sand mit Zement zu Beton vermischt. Stahlbeton heißt die Revolution hinter der systematischen Betonierung, die das Antlitz moderner Städte prägt. Das Material hält enorme Lasten aus und besitzt eine extrem hohe Biege- und Zugfestigkeit. Wegen der niedrigen Produktionskosten ist es das meistbenutzte Baumaterial. "Zwei Drittel aller Bauwerke bestehen aus Stahlbeton. Dieser wiederum besteht zu zwei Drittel aus Sand", erläutert Cyrille Simonnet, Direktor des Instituts für Architektur der Universität Genf, in der faszinierenden Arte-Doku "Sand - Die neue Umweltzeitbombe".

Gleichzeitige Knappheit - und absoluter Überfluss#

Sand ist das meistverbrauchte Wirtschaftsgut. Und er geht aus. Denn der Mensch greift im Übermaß zu und bedient sich an den Reserven. In jedem Haus mittlerer Größe stecken 200 Tonnen Sand. In jedem Krankenhaus 3000 Tonnen. Jeder Kilometer Autobahn frisst 30.000 und jedes Atomkraftwerk 12 Millionen Tonnen des überaus versatilen Sediments. Der weltweite Sandverbrauch beträgt 15 Milliarden Tonnen pro Jahr.

Glaubt man einschlägigen Wirtschaftsmeldungen, geht es der Sandindustrie prächtig. Am laufenden Band müssen neue Häuser, Brücken, Bürokomplexe, Fabriken und Shopping Malls, Autobahnen und Rennstrecken gebaut und schadhafte Straßen renoviert werden. Ständig wird neuer Zement gebraucht - nur die Nachfrage ist nicht immer leicht zu decken. "Früher gab es Sand- und Kiesgruben. Doch das ist vorbei, sie sind verbraucht", sagt ein US-Sandbaron in der TV-Doku. Viele Vorkommen sind erschöpft, denn der Mensch verbraucht die Reserven schneller, als diese sich erneuern.

Wiener Zeitung, 7. Juli 2018