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Eine Bohne für alle Krisen #

Von den frühen Pionieren bis zur Wiener Soja-Küche: Die österreichische Soja-Kulturgeschichte ist eng verwoben mit ökonomischen und wissenschaftlichen Entwicklungen. Über eine vielseitige Karriere. #


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: DIE FURCHE (13. Juni 2019).

Von

Magdalena Puchberger


Sojapflanze mit Schoten
Sojapflanze mit Schoten
Foto: https://pixabay.com, unter PD

Globaler Anbau und Handel, Klimaschutz, Gentechnik und Pestizide in der Landwirtschaft: In gesellschaftlichen Diskussionen rund um diese Themen spielt Soja derzeit eine zentrale Rolle. Ebenso wie im urbanen Lebensstil. Nach Weizen, Mais und Gerste beansprucht Soja heute die viertgrößte Anbaufläche in Österreich. Hierzulande hat Soja eine mehr als 140-jährige Geschichte, die ihren Ausgang in Wien nahm. Diese Geschichte zeigt, dass Soja eng verknüpft ist mit der heimischen Zeit- und Wissenschaftsgeschichte. Mit Soja können Konjunkturen und Krisen erzählt sowie landwirtschaftliche Pioniere und Pionierinnen vor den Vorhang geholt werden.

Am Beginn dieser Geschichte standen zwei nachhaltig prägende Ereignisse: zum einen die Gründung der Hochschule für Bodenkultur 1872, die im Palais Schönborn (heute Volkskundemuseum Wien) ihre erste Heimstatt fand, und zum anderen die Wiener Weltausstellung von 1873. Mitten in der Haupt- und Residenzstadt Wien sollte die Hochschule für Bodenkultur das Zentrum und der universitäre Abschluss der landwirtschaftlichen Ausbildung sein. Einer der ersten Rektoren der Hochschule war der Pflanzenbauexperte Friedrich Haberlandt (1826–1878), der auf der Wiener Weltausstellung in den Abteilungen von Japan und China, die sich erstmals in diesem Format international vorstellten, auf Soja aufmerksam geworden war. Neben den Entwicklungen in Industrie und Technik trat in Wien besonders die Landwirtschaft in den Vordergrund. Als Pflanzenbauer sah Haberlandt sich und seine Wissenschaft in der patriotischen Pflicht, geeignete und vielversprechende Pflanzen als Grundlage für die Versorgung der Bevölkerung auszuwählen, zu vermehren und zu züchten. Andererseits erhoffte er durch den internationalen Vergleich auch einen Innovationsschub in den Reihen der eigenen Landwirte.

Haberlandt engagierte sich nach der Weltausstellung intensiv für die Erforschung und den Anbau von Soja. Über die Hochschule für Bodenkultur zentral organisierte Anbauversuche in der Habsburgermonarchie und in Deutschland waren das Ziel des „Soja-Pioniers“, um den „wunderthätigen Fremdling“ Soja zu verbreiten und damit nicht nur die Landwirte zu fördern, sondern auch das „allgemeine Volkswohl“. Mit Haberlandts überraschendem Tod 1878 kamen jedoch sowohl die Anbauversuche als auch das allgemeine Interesse zum Erliegen. Die Zeit schien noch nicht reif für Soja: Die aus Japan und China angeforderten Sojasorten waren für den hiesigen Anbau nicht geeignet und auch die Ess- und Geschmacksgewohnheiten der Bevölkerung standen einer Verbreitung entgegen.

Soja als Volksnahrungsmittel #

Die Situation veränderte sich spätestens nach dem Ersten Weltkrieg entscheidend. Die Kriegs- und Mangeljahre ließen eine ausreichende und gesicherte „Volksernährung“ zum vorrangigen Ziel werden. Eine erneute Soja-Konjunktur wurde durch wissenschaftliche Erkenntnisse wie jene der Chemie, der Medizin und der Ernährungswissenschaft befördert und griff mit den Bestrebungen des neuen Staates und der Wirtschaft ineinander. In seinen Lebenserinnerungen thematisiert Friedrich Haberlandts Sohn Gottlieb, der in den 1870erJahren kurzzeitig an den Sojaforschungen im Wiener Palais Schönborn beteiligt war und später in Berlin Professor für Botanik wurde, die Ernährungsprobleme nach dem Krieg: Soja als „eiweiß- und fettreichste Leguminose“ sei als „Retterin in der Not“ in jenen Zeiten gepriesen worden, als Deutschland und auch Österreich „infolge der Absperrung von ausländischen Nahrungsmitteln durch die Hungerblockade“ massive Engpässe erlebten. Mit Soja und ihren vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten hoffte man Versorgungsdefizite beheben zu können, wofür speziell eine Erfindung der Lebensmitteltechnik dienen sollte.

Zu Beginn der 1920er-Jahre hatte der Arzt und Lebensmitteltechniker László/Ladislaus Berczeller ein Verfahren entwickelt, das eine nährstoffschonende Entbitterung der Sojabohne ermöglichte und sie so für den europäischen Geschmack zugänglich machte. So ließ sich ein gut haltbares, billig zu produzierendes Sojamehl erzeugen, das wie geschaffen für die Ernährung der Massen, der städtischen Bevölkerung, der Arbeiter oder Soldaten schien. Jedoch war es nicht der jüdische Soja-Pionier Berczeller, der in weiterer Folge seine Patente und Verfahren im großen Stil nutzen konnte – vor allem weil er 1938 nach dem sogenannten Anschluss an NS-Deutschland Österreich verlassen musste. Vielmehr war es sein Kollege am Wiener Physiologischen Institut Ernst Kupelwieser, der mit „Edelsoja“, das in Schwechat Ende der 1920er-Jahre produziert wurde, Erfolge zu feiern hoffte. Ab 1928 lässt sich in der Tages- und Wochenpresse eine rege Werbetätigkeit für dieses „Volksnahrungsmittel“ erkennen.

Ein wichtiger Faktor für die Verbreitung von Edelsoja wurde den Haushalten und besonders den Hausfrauen zugeschrieben. Diese galt es zu gewinnen, etwa in „Die Österreicherin“: Dort wurde das „neue Nahrungsmittel“ beworben, sein hoher Nährund Eiweißgehalt hervorgestrichen und auf die Erprobung der Alltagstauglichkeit in praktischen Versuchen an der Wiener Bundeslehranstalt für wirtschaftliche Frauenberufe verwiesen. Die moderne Hausfrau sei in der Lage, so wurde versprochen, mit Edelsoja gesünder, billiger sowie Zeit und Mühe sparend zu kochen.

Und auch wenn sich dieses Angebot nicht wirklich durchsetzen konnte – zu sehr wurde es als minderwertiges Ersatzprodukt gesehen – so gab es bereits vor dem Nationalsozialismus Entwicklungen, die den Aufstieg von Soja begünstigten. Soja hatte sich nach dem Ersten Weltkrieg zu einem relevanten Importgut in Europa entwickelt, das etwa für die Produktion von Margarine oder als Tiermastfutter verwendet wurde.

Eine neue Soja-Kultur #

Ein weiterer österreichischer „Soja-Pionier“ ist Franz Anton Brillmayer, der ab 1920, unterstützt von der Bundesanstalt für Pflanzenbau und Samenprüfung, im niederösterreichischen Platt bei Hollabrunn Soja anbaute und züchtete. Dabei griff er nicht auf die Sorte „Haberlandt“ zurück, sondern, wie er 1947 schreibt, auf „eine Zündholzschachtel voll mit Sojakörnern, die ein Kriegsgefangener aus Sibirien mitgebracht hatte“. Die Platter Sojastämme (zum Beispiel die Sorte „Platter Gelbe“) wurden in den 1930er- und 1940er-Jahren, auch über die nationalsozialistischen Agrarziele in Osteuropa und am Balkan, verbreitet, aber auch Frankreich holte sich die Sorten ins Land.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und des Nationalsozialismus galt es wiederum eine Krisensituation zu bewältigen, in der sich Soja als „Baustein zum Wiederaufbau Österreichs“ anbot. F. A. Brillmayer propagierte 1947 eine „Kultur der Soja in Österreich“, die Anbau und Zucht ebenso wie Verarbeitung und Nutzung beinhaltete. Seine Frau Friedl Brillmayer machte sich in letzterer Hinsicht verdient, indem sie im selben Jahr mit Henriette Cornides das Kochbuch „Wiener Soja-Küche“ herausbrachte.

So manches, was F. A. Brillmayer 1947 zur Soja-Kultur anmerkt, scheint auch aktuell drängende Fragen zu Soja vorwegzunehmen, etwa wenn er Soja als kommenden wirtschaftlichen „Weltmachtfaktor“ bezeichnet oder die Soja-Kost im Vergleich zur fleischbasierten dazu „berufen“ sieht, die „Sünden unserer heutigen Ernährung wieder auszugleichen“. So lässt sich schon anhand der Kulturgeschichte von Soja ablesen, wie sehr der Anbau und Konsum von Soja in Österreich durch ethische und ökonomische Grundfragen geprägt ist – ebenso wie durch grundlegende Dynamiken in Kultur und Gesellschaft.

Die Autorin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Volkskundemuseum, wo sie das Projekt „Soja. Wissenschaft – Gesellschaft – Stadt“ betreut.

DIE FURCHE, 13. Juni 2019