!!!Zurückgehen - wer will das schon?

!!Zeitreise in eine umkämpfte Grenzregion: Das Elsass Memorial thematisiert die deutsch-französischen Kriege.

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''Von der [Wiener Zeitung|http://wienerzeitung.at] (Mittwoch, 26. November 2014) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.''


Von 

__Andrea Stift__

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[{Image src='Verhörraum-der-Nazis.jpg' class='image_right' caption='Zeitgeschichte zum Anfassen: Der abgebildete lange Gang befindet sich im Elsasser Memorial, man kann die Zimmer betreten und findet sich plötzlich in einem Verhörraum der Nazis wieder.\\© Magdalena Zlotkiewicz' alt='Der abgebildete lange Gang befindet sich im Elsasser Memorial, man kann die Zimmer betreten und findet sich plötzlich in einem Verhörraum der Nazis wieder' width='400' height='464'}]



Rund um mich herum wird geschossen, Luftschutzsirenen schrillen auf, es ist dunkel, das Licht kommt stakkatoartig. Ein paar Meter unter mir sehe ich Schutt und Asche und einen halb im Boden vergrabenen Panzer. Ich laufe in den nächsten Raum und atme durch. So habe ich mir meine Elsass-Reise wirklich nicht vorgestellt.

Was Bombenangriffe angeht, bin ich unvorbereitet hierhergekommen. Eigentlich gilt mein Interesse vorrangig dem Wein, der so facettenreich und ganz anders sein soll als in Österreich. Der Wein ist es aber auch, der mich auf die Mehrsprachigkeit im Elsass bringt - sehr viele der Weingüter tragen deutsche Namen. Die Ortschaften schmücken sich mit Straßenbezeichnungen auf Französisch und Elsässisch, dem alemannisch durchwirkten Regiolekt. Als dann Herr Engel, unser Unterkunftsgeber, erzählt, dass sein Großvater kein Wort Französisch konnte, er selbst wiederum Deutsch in der Schule lernte, ist es um mich geschehen und ich will mehr wissen. Herr Engel empfiehlt den Besuch des Memorial de l’Alsace-Moselle in Schirmeck und betont, dass man die Geschichte seines Landes nicht verstehen könne, ohne dort gewesen zu sein.

!Bitte kein Deutsch

Im Memorial haben es sich die Museumsgestalter zur Aufgabe gemacht, sämtliche Facetten der deutsch-französischen Kriege auszugestalten. Keine kleine Aufgabe, denn das Elsass wurde seit 1870 gleich von drei Kriegen heimgesucht. Alle drei bekommen hier Raum, oder besser gesagt, Räume - der gegen die Nationalsozialisten am meisten, denn das Memorial wurde dort gebaut, wo die Nazis ein Anhalte- und Umerziehungslager betrieben hatten. Man wurde dort schon hingeschickt, wenn man sich mit "Salut" begrüßte, statt mit "Heil Hitler".

Der Fokus des Museums liegt auf dem Nationalismus. Wie er Menschen zerstört, Familien auseinander reißt, Vorurteile und Hass sät. Der immer wiederkehrende Krieg zwischen zwei benachbarten Regionen wird in der Ausstellung demonstrativ dargestellt.

Aber was bedeutet das für die Gegenwart einer mehrsprachigen Grenzregion, wie ist das Verhältnis zum deutschen Nachbarn und zu Europa insgesamt? Schließlich befindet sich in Straßburg das Europaparlament, da müsste der einigende europäische Gedanke doch die ganze Region durchwabern? Dass ich davon auf meiner Reise bislang wenig gespürt habe, fällt mir erst so richtig auf, als ich durchs Museum gehe. Das Verbindende zwischen den Nachbarn scheint hauptsächlich der Tourismus zu sein. Und obwohl ich in Riquewihr und Grendelbruch kein Problem habe, mein Choucroute auf Deutsch zu bestellen, bin ich doch oft gezwungen, meine Französischkenntnisse aus dem Gedächtnis zu kramen. Selbst dann wird mir nicht wie selbstverständlich auf Deutsch geantwortet, dabei bin ich mir sicher, dass mein Akzent zum Saugrausen ist. Das hier ist definitiv etwas anderes als an der Adriaküste unterwegs zu sein. Hat mein Reiseführer recht gehabt? "Vermeiden Sie es, im Elsass Einheimische zuerst auf Deutsch anzusprechen, das kann Ressentiments schüren", steht dort bei den Tipps für richtiges Verhalten.

Vor dem Haupteingang des Museums liegen leere Koffer durcheinandergeworfen auf dem Boden. Auf einem Schild steht die Erläuterung dazu - sie ist allerdings auf Französisch. Lustigerweise regt sich schlechtes Gewissen in mir, aber ich rede es mir schnell wieder aus. Niemand kann alle Sprachen beherrschen. An der Kassa gibt es dann einen Audioguide.

!Zu viele Friedhöfe

Im Inneren empfängt die Ausstellung den Besucher in einem bunkerähnlichen Raum voller überdimensionierter Fotografien. Gesichter von Menschen aus dem Elsass. Frauen, Männer, Kinder, ältere Menschen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass jeder heute lebende Elsässer, würde man ihn befragen, von mindestens einem Verwandten erzählen könnte, der in einem der Kriege gefallen ist. Ich muss an den kleinen Friedhof hinter der Kirche in Kaysersberg denken.

Hier liegen die Toten ungeachtet ihrer Nationalität, man findet deutsche neben französischen neben arabischen Namen. Von diesen Friedhöfen gibt es viele im Elsass. In Breitenbach-Haut-Rhin gibt es einen Soldatenfriedhof, in dem deutsche Soldaten, gefallen im Zweiten Weltkrieg, begraben liegen. In Sigolsheim liegen die französischen. Und so geht es die ganze Landkarte entlang. Viel zu viele Friedhöfe.

Man kämpfte miteinander und man kämpfte gegeneinander. Die Entscheidung darüber oblag dem jeweiligen Machthaber oder einer neu gezogenen Grenze. Der erste deutsch-französische Krieg machte aus einer französischen Region eine deutsche. Als der Erste Weltkrieg begann, traute weder die deutsche Regierung den Elsässern, die man als immer noch frankophil betrachtete, über den Weg, noch die französische Regierung, die die Elsässer als fraternisiert mit dem Erbfeind betrachtete. Viele der Soldaten wurden an die Front nach Nordafrika geschickt, weil man nicht provozieren wollte, was passieren würde, stünden sie plötzlich Verwandten oder Freunden an der Front gegenüber.

Unterirdische Soldatenunterkünfte und Zugabteile. Ein langer Gang mit vielen Türen, man kann die Zimmer einzeln betreten und findet sich plötzlich im Verhörraum eines nationalsozialistischen Systemträgers wieder. Zeitzeugenberichte vom Audioguide und nachgestellte Verhöre aus den Lautsprechern. Ich würde mich gerne einmal hinsetzen und nachdenken, aber es ist keine Stärke des Memorials, den Besucher zur Ruhe kommen zu lassen.

!Gegen die Landsleute

Frankreich erklärte Deutschland kurz nach dessen Angriff auf Polen den Krieg. Die deutsche Wehrmacht marschierte im Elsass ein.

Auf einem Plakat sehe ich die Karikatur von kartenspielenden und weintrinkenden Elsässern, denen ein blonder Arier ordentlich einheizt: Schluss damit! Jetzt wird gearbeitet! - der Deutsche als Verkünder des Arbeitsethos.

Auf einer anderen Affiche wird zum Gebrauch der deutschen Sprache aufgerufen. Wer nicht fähig dazu sei, möge sich doch in der nächsten Dienststelle melden .. . Die Kontrolle der Nazis über die elsässischen Bewohner wollte total sein. Man änderte sogar die Vornamen der Menschen; aus Gaston wurde Rudi, aus Denise Martha. Um die Elsässer einziehen zu können, verlieh man ihnen zwangsweise die deutsche Staatsbürgerschaft. So zwang man sie, unter der Besatzungsmacht gegen die eigenen Landsleute kämpfen.

Es geht weiter. Eine Hitlerrede wird in überbordender Lautstärke abgespielt, immer und immer wieder, ich höre sie noch zwei Räume weiter. Den Audioguide habe ich schon längst ausgeschaltet. Die Ausstellung ist so angelegt, dass man sie nicht abkürzen oder abbrechen kann, nur zurückgehen - aber wer will das schon?

So muss ich auch durch den totalen Krieg: mit Lichteffekten, Sirenen, Bombardierungsakustik. Ich bin körperlich erleichtert, als ich endlich den letzten Raum erreiche. Hier werden die deutsch-französische Aussöhnung und die europäische Einigung abgehandelt, und zwar so kurz und uneuphorisch, dass ich mich wie vor den Kopf gestoßen fühle. Dieses riesige Projekt Europa erscheint mir gerade nach der Auseinandersetzung mit den Folgen von Nationalismus folgerichtig wie schon lange nicht mehr. Dass ich dafür erst ins Elsass fahren musste, hätte ich mir auch nicht gedacht. Ich verzeihe dem Memorial de l’Alsace-Moselle dafür sogar, dass es in seiner angeschlossenen Buchhandlung kein einziges Buch in einer anderen Sprache als der französischen anbietet.

In Graz ist die erste Person, die mich beim Verlassen des Bahnhofs anspricht, eine Frau, die Unterschriften sammelt, für einen Austritt Österreichs aus der EU. Sprachlos bleibt mir nur, ihr den Vogel zu zeigen.


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[Wiener Zeitung|http://wienerzeitung.at], Mittwoch, 26. November 2014
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