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Säuberungen an Österreichs Hochschulen 1934-1938-1945 #

Von

Trautl Brandstaller (August 2017)


»Vertriebene Vernunft. Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft von 1930 bis 1940«. So nannte der bedeutende Zeithistoriker Karl R. Stadler vor mehr als 30 Jahren (1986/1987) die erste umfassende Untersuchung über die Folgen von Austrofaschismus und Nationalsozialismus für die Entwicklung der österreichischen Universitäten. Seither sind zahlreiche wissenschaftliche Fallstudien und Analysen erschienen, wie die österreichischen Hochschulen in den verschiedenen Regimewechseln des 20. Jahrhunderts politisch an die Kandare genommen und personell gesäubert wurden.

Das Verdienst dieser neuen Publikation ist es, die vorliegenden Studien zusammengeführt, neue Forschungen angestellt und offene Forschungsfragen aufgezeigt zu haben. Vor allem aber weist diese neue Arbeit die lange Vorgeschichte des Antisemitismus, des Deutschnationalismus und der Illiberalität an den Hochschulen des Landes nach.

Ausgehend von der Jahrhundertwende zeichnen die einzelnen Beiträge die »äußere« und »innere« politische Geschichte der Universitäten nach - also ihre Haltung zum Staat und ihre inhaltlichen Schwerpunktsetzungen. Um 1900 genossen die Universitäten noch einen ausgezeichneten Ruf und brachten zahlreiche Nobelpreisträger hervor - den Physiker Ludwig Boltzmann, den Philosophen Ernst Mach und den Mediziner Karl Landsteiner, um nur einige bekannte Namen zu nennen. Die soziale Zusammensetzung der Studenten begann sich langsam zu ändern - sowohl der Anteil der jüdischen Studenten als auch der der Frauen stieg konstant an. ln gleichem Maß wuchs die Abwehrhaltung der »deutschen« Studentenschaft. Nach Ausrufung der Republik 1918 herrschte an den Universitäten von Anfang an - wie auch in den Parteien - eine Ambivalenz, die Mehrheit der Professoren sahen sich als Angehörige der deutschen Kulturnation, manche erhielten Berufungen in die Nationalstaaten, aber auch aus den ehemaligen Kronländern strömten Professoren nach Wien, wie z.B. Othmar Spann aus Brünn, dessen Werk »Der wahre Staat« zu einer der ideologischen Grundlagen des Austrofaschismus wurde.

Unter den Studenten dominierte die »Deutsche Studentenschaft«, die in enger Kooperation mit den deutschnational ausgerichteten Professoren das universitäre Klima und den universitären Diskurs beherrschte. Schon 1920 forderte die »Deutsche Studentenschaft« einen »Arierparagraphen« (der damals in Deutschland noch abgelehnt wurde), wenig später Zugangsbeschränkungen für Studenten jüdischer Herkunft. Krawalle und Schlägereien zwischen deutsch-nationalen und jüdischen Studenten standen auf der Tagesordnung; auf der Wiener Universität las man Plakate »Juden Eintritt verboten«. Innerhalb der Studentenschaft kam es in der Folge immer häufiger zu Konflikten zwischen dem deutsch-nationalen Lager und den katholischen Verbindungen. Die Krawalle galten als bewährte Methode einer »kalkulierten Eskalation«.

1926 wurde der »Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund« in Österreich gegründet, der binnen 5 Jahren zur stärksten Fraktion aufrückte. 1932 kam es zum Bruch mit den katholischen Studentenverbindungen, die bereits für den sogenannten »Ständestaat« geistige Vorarbeit leisteten (siehe Othmar Spann).

Die neue austrofaschistische Regierung nahm umgehend massive Eingriffe an den Hochschulen vor - ein Hochschulermächtigungsgesetz (1935) ermöglichte die Entlassung von mehr als einem Drittel des gesamten Hochschulpersonals. Es ging nicht nur um den Ausschluss von Nationalsozialisten, sondern auch um die Entfernung von Sozialdemokraten und Liberalen, nur Mitglieder der »Vaterländischen Front«, der neuen Einheitspartei, erhielten akademische Ämter. An allen Universitäten wurden verpflichtende Vorlesungen über »christliche Weltanschauung« eingeführt, es galt eine »gesamtdeutsche Geschichtsauffassung« mit der Parole »Österreich« als das bessere Deutschland.

So hielten der Historiker Heinrich Srbik und der Germanist Josef Nadler Vorlesungen zum Thema »Österreich. Erbe und Sendung im deutschen Raum« (1936). Die Säuberungen der Ära Dollfuss und Schuschnigg erreichten zwar nicht die Brutalität der Säuberungen nach dem »Anschluss«, aber sie bereiteten das Ende der Pluralität an den Universitäten vor. Die Hochschulen waren schon vor dem »Anschluss« »Hochburgen des Antisemitismus« (Klaus Taschwer).

Diktat der NS-Ideologie

Nach dem März 1938 setzten die Nazis ein Maßnahmenpaket durch, das die völlige Unterwerfung der österreichischen Hochschulen unter das Diktat der NS-Ideologie zur Folge hatte. Beamte und Professoren wurden auf das neue Regime vereidigt jüdische Professoren waren ausgeschlossen, die Venia legendi wurde ihnen entzogen, jüdische Studenten durften nicht mehr immatrikulieren; alle Verbindungen wurden aufgelöst und in den »Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund«, die alleinige Vertretung der Studenten, übergeführt. Doktorgrade wurden aberkannt. Neue Institute wurden gegründet, wie etwa das Institut für Rassenbiologie. Reihenweise fanden politische Entlassungen statt, etliche besonders aktive Anti-NS-Professoren wurden von der Gestapo verhaftet.

Der Aderlass war in Wien am größten - 303 Personen wurden entfernt, das waren 39 Prozent des Lehrpersonals.

Nach längerer Schließung in den letzten Kriegsmonaten (und Verwendung als Lazarett) wurde die Wiener Universität am 2. Mai 1945 wieder eröffnet. Im Gegensatz zu Deutschland ordneten die Besatzungsmächte in der wieder gegründeten Republik Österreich keine Säuberungen an, sondern überließen es der neuen Regierung, die NSDAP-Mitglieder an den Hochschulen zu entfernen. Mehrere Gesetze sollten für die »Säuberung« sorgen: das Verbotsgesetz vom 8. Mai, und das Beamtenüberleitungsgesetz vom 22. August 1945. Zunächst schien das erste Nachkriegsjahr von einem deutlichen Bruch mit der NS-Ära gekennzeichnet - so wurden an der Technischen Hochschule in Wien 72 Prozent der Professoren, in Graz 60 Prozent entfernt. Versuche einer Rückholung der Emigranten fanden nur in sehr vereinzelten Fällen statt - wie z.B. im Falle des Physikers und Wissenschaftstheoretikers Erwin Schrödinger.

Es kam zu einem extremen Mangel an Lchrkapazitäten; dies wurde auch als Begründung angeführt, um in der NS-Zeit beschäftigte Professoren erneut zu beschäftigen. Die Entnazifizierung geriet bald ins Stocken: Im Nationalsozialistengesetz 1947 wurde die Unterscheidung von »Belasteten« und »Minderbelasteten« eingeführt, mit dem Amnestiegesetz 1948 die »Minderbelasteten« wieder in den Staatsdienst zugelassen, womit die »Entnazifizierung« beendet war und im Jahr 1950 30 Prozent der Lehrenden aus dem Jahr 1943 wieder aktiv waren. Das Ergebnis dieses dreifachen Säuberungsprozesses bestimmte für lange Jahre die Situation an Österreichs Hochschulen, die seit 1945 keine Nobelpreisträger mehr hervorbrachten. Die fehlenden finanziellen Ressourcen, die Nichtrückholung der meisten Emigranten, die fehlende Zuwanderung aus den ehemaligen Kronländem haben die restaurativen Tendenzen im Hochschulbereich massiv verstärkt. In den Sechziger Jahren gab es einen ambitionierten Versuch, die durch die diversen politischen Säuberungen verdrängte sozialwissenschaftliche Forschung nach Wien zurückzuholen - am 1963/64 gegründeten »Institut für höhere Studien und wissenschaftliche Forschung« unterrichteten die Emigranten Paul Lazarsfeld (Erfinder der Wahlforschung) und Oskar Morgenstern (Schöpfer der Spieltheorie) . Aber in weiten Bereichen verharrten Österreichs Universitäten in jenem Zustand, den Christian Fleck einmal treffend »autochthone Provinzialisierung« genannt hat.

Der neue Sammelband, der von Doz. Johannes Koll ediert wurde, ist das Ergebnis eines Forschungsprojekts, das Univ.-Prof. Peter Berger und der Herausgeber zwischen 2012 und 2014 im Auftrag des Rektorats der Wirtschaftsuniversität Wien durchgeführt haben. Das umfangreiche Werk ergänzt die historischen Analysen durch eine große Fülle von Einzelstudien an den einzelnen Hochschulen und auch durch akribisch recherchierte Fallstudien, ohne zu verleugnen, dass es immer noch eine Menge offener Fragen zur Hochschulpolitik des vergangenen Jahrhunderts gibt.

NS-Ära in Wien

Von einer anderen Seite nähert sich der von Martin Krist und Albert Lichtblau herausgegebene Band dem Thema. »Nationalsozialismus in Wien . Opfer . Täter . Gegner.« ist der 8. Band der vom Verein »erinnern.at« herausgegebenen Jugendsachbuchreihe zum Nationalsozialismus in den einzelnen österreichischen Bundesländern und bietet, wie alle vorhergehenden sieben Publikationen, hervorragende Geschichtsmaterialien für den Unterricht an mittleren und höheren Schulen. In übersichtlicher Gliederung kombinieren die beiden Autoren die Schilderungen der einzelnen Geschichtsabschnitte mit individuellen Lebensgeschichten und exemplarischen Kurzbiographien.

Der zentrale Fokus liegt auf den Auswirkungen der politischen Entwicklungen von 1918 bis 1945 auf den Alltag der Wiener Bevölkerung; beginnend von den Folgen des Ersten Weltkriegs über den an schwellenden Antisemitismus und Antislawismus, der die nur scheinbare Idylle des »multikulturellen« Wien langsam, aber systematisch zerstört. In der Zweimillionen-Stadt Wien waren vor 1914 mehr als die Hälfte der Einwohner nicht in Wien geboren, 1923 waren es immer noch 30 Prozent. Die jüdische Bevölkerung machte rund 10 Prozent der Einwohner Wiens aus, die in 600 jüdischen Vereinen unter dem Dach der Israelitischen Kultusgemeinde organisiert waren, auch wenn nicht alle religiös lebten. Drastisch schildern die Autoren die frühe Gewalt und den frühen Terror der Nazis, die in einer verunsicherten Gesellschaft Furcht und Schrecken verbreiteten.

Als die NSDAP 1932 17,4% bei den Wahlen zum Wiener Gemeinderat erreichten, entschlossen sich die Politiker des sogenannten »Ständestaates«, die 1933 das Ende der Demokratie eingeläutet hatten, die NSDAP zu verbieten, was ihre Attraktivität, vor allem für die Jungen, nur noch erhöhte. Da es dem Austrofaschismus außerdem nicht gelang, die hohe Arbeitslosigkeit als Folge der Wirtschaftskrise in den Griff zu bekommen, wuchs die Zahl der illegalen Nazis rasant an. Karrieren der »Illegalen«, wie die des späteren Massenmörders Odilo Globocnik aus Kärnten, werden detailliert nachgezeichnet: vom Kärntner Abwehrkämpfer über die Mitgliedschaft bei den Burschenschaften »Marcomannia« und »Teutonia«, über den Gauleiter in Wien, der die Ausschreitungen und Plünderungen des Novemberpogroms 1938 befiehlt, bis zur »Aktion Reinhardt«, die für Massenmorde in Polen Verantwortung trägt.

Ein ausführliches Kapitel widmen die Autoren der Vorgeschichte des »Anschlusses«, wo sie nicht nur der Begeisterung der jubelnden Massen auf dem Heldenplatz auf den Grund gehen, sondern auch die zahlreichen Verhaftungen der Gegner und die Zukunftsängste der überwiegenden Mehrheit analysieren.

Ebenso ausführlich schildern die Autoren, wie es den Nazis gelang, die Jugend für ihr Regime zu begeistern und die Erwachsenen mit falschen Versprechungen in ihren Bann zu ziehen (Volkswagen, »Volksempfänger«, Urlaub für Arbeiter - »Kraft durch Freude« etc.). Auch der Rolle der Unterhaltungsindustrie, die die Bevölkerung von den Schrecken des Krieges abhalten sollte, widmen die Autoren ein Kapitel - der Wiener Film samt seinen Stars (von Ff ans Moser und Willy Forst bis Marika Rökk) spielte in der NS-Propaganda-Maschinerie ja keine unbedeutende Rolle.

Den Opportunisten, Denunzianten und Profiteuren des Regimes (von Baldur von Schirach bis zu Paula Wessely) werden immer wieder Männer und Frauen des Widerstands (die Sozialistin Käthe Leichter, die in Ravensbrück ermordet wurde, oder Dorothea Neff, die unter Lebensgefahr ihre jüdische Freundin in Wien versteckte), und Lebensgeschichten von Opfern gegenüber gestellt.

Abschließend beschäftigen sich die Autoren mit der rechtlichen Aufarbeitung der NS-Zeit nach 1945. Auch hier werden positive und negative Beispiele gezeigt - von Simon Wiesenthal (»Recht, nicht Rache«) bis zum Fall Borodajkewicz, von den Anfängen der Volksgerichte (1945-1955) bis zu den Freisprüchen für Kriegsverbrecher durch spätere Geschworenengerichte.

Das Buch endet nicht mit der späten Auseinandersetzung mit Mitverantwortung und Schuld vieler Österreicher an den NS-Verbrechen. Es stellt zum Schluss die Frage des heutigen Umgangs mit den »Fremden«, warnt vor neuer massiver Fremdenfeindlichkeit und stellt dem gegenüber die Hoffnung auf eine neue »multikulturelle«, offene Gesellschaft.

Literatur#

  • Johannes Koll (Hg.): »Säuberungen« an österreichischen Hochschulen 1934-1945, Voraussetzungen, Prozesse, Folgen. Böhlau-Verlag Wien Köln Weimar 2017.
  • Martin Krist/Albert Lichtblau: Nationalsozialismus in Wien, Opfer.Täter. Gegner. Erinnern.at. Studienverlag Inns-bruck-Wien-Bozen 2017.