!!!Ein Wendepunkt für Österreich


!!Sozialsystem bei Hof war vorbildlich. Worum ging es im Vertrag von Passarowitz? Überlegungen zum Umgang mit der österreichischen Geschichte des 18. Jahrhunderts

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''Von der [Wiener Zeitung|http://www.wienerzeitung.at] freundlicherweise zur Verfügung gestellt (3. Jänner 2009)''

Von

__[Harald Heppner|Infos_zum_AF/Editorial_Board/Heppner,_Harald,_Professor_Dr_h_c_mult_Dr_phil_(Geschichte)]__ 

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In der Schule lernt man, dass der im Juli 1718 in Passarowitz geschlossene Vertrag ein wichtiges Ereignis der österreichischen Geschichte ist und den Höhepunkt der Epoche des Prinzen Eugen bildet. Doch selten wird den Schülern vermittelt, worum es dabei eigentlich ging, bzw. welche fundamentale Bedeutung dieser Kontrakt mit den Türken erlangt hat. Auch die Frage, wo Passarowitz denn liegt, werden die meisten nicht beantworten können; selbst dann nicht, wenn sie wissen sollten, dass dieser Ort mit jenem in Nordostserbien liegenden Ort Požarevac identisch ist, in welchem Slobodan Miloševiæ geboren worden ist. Der Vertrag von Passarowitz und seine Hintergründe sind ein Lehrstück dafür, wie sich komplexe Vorgänge in der Geschichte brennspiegelartig abbilden; und auch dafür, inwieweit sich bestimmte historische Konstellationen mit heutigen vergleichen lassen. Im Zeitalter der Europäischen Union sind wir ja daran gewöhnt, dass kein internationales Abkommen geschlossen wird, bei dem es nicht zumindest mehrere Unterzeichner und daher Mitwisser gibt. Dies war aber schon im 18. Jahrhundert die Regel: so haben den Vertrag von Passarowitz nicht bloß die Vertreter Wiens und Konstantinopels unterschrieben, sondern auch je ein Vertreter Englands und der Generalstaaten (Niederlande). Die Letztgenannten repräsentierten keine Kriegsparteien, sondern fungierten als Vermittler internationaler Interessen bzw. als „Aufpasser“ des Okzidents.


!Die Bündnispflicht

Der Krieg, den die Monarchia Austriaca seit 1716 gegen die Türken geführt hatte, war nicht von Wien, sondern von Venedig ausgegangen. Kaiser Karl VI. hatte aus Gründen der Bündnispflicht Truppen zum „Auslandseinsatz“ entsandt, weil die Serenissima von den Türken angegriffen worden war – allerdings nicht in der Adria, sondern im südlichen Griechenland, wo sich die Venezianer wieder hatten festsetzen können. (Apropos Venedig und Griechenland: Der Parthenon-Tempel auf der Athener Akropolis verfiel nicht etwa im Lauf der Zeit durch mangelhafte Denkmalpflege, sondern er flog 1688 in die Luft, weil die Venezianer das von den Türken dort eingerichtete Pulvermagazin beschossen hatten.) Nachdem 1716 das bis dahin osmanisch gebliebene Banat erobert worden war, hatten die kaiserlichen Truppen 1717 die Grenzfestung Belgrad befreit und waren bis Nordserbien und in die westliche Walachei (heute Südwestrumänien) vorgestoßen. Das Banat (Land zwischen Donau, Theiß und Marosch) war das letzte der wiedergewonnenen ungarischen Gebiete, auf welche die Habsburger kraft des Erbvertrags mit der in Ungarn regierenden, aus Polen-Litauen stammenden Jagiellonendynastie seit 1526 (Schlacht bei Mohács) Anspruch erhoben. Mit der Annexion anderer Landgebiete setzte Österreich jedoch sozusagen einen Fuß in die Tür des „Balkans“. Der Vertrag von Passarowitz war weniger ein Siegfriede, als vielmehr eine fundamentale sicherheitspolitische Maßnahme. Sieht man von den die territorialen Gewinne regelnden Eingangsparagraphen ab, enthielt das Vertragswerk hauptsächlich Bestimmungen, die sich auf die Sicherheit Ungarns und Kroatiens bezogen, doch kaum solche, die den ans Osmanische Reich grenzenden Ländern der Monarchie galten. Festungen sollten gebaut und der Grenzverkehr mit dem türkischen Reich sollte verstärkt kontrolliert werden dürfen (!). Derartige Maßnahmen erinnern funktional an den EU-Vertrag von Schengen, der nicht Ausgrenzung per se bezweckt, sondern die verstärkte Gültigkeit von rechtlichen Normen, die der Sicherheit und dem Wohl der innerhalb der Grenzen lebenden Bevölkerung dienen. Nicht schon durch den Vertrag von Karlowitz 1699 (heute Sremski Karlovci nordwestlich von Belgrad), sondern erst durch den Passarowitzer Vertrag hatte die Wiener Regierung endlich den „Rücken frei bekommen“, um das um Ungarn gewaltig vergrößerte Reich neu zu ordnen und international zu positionieren. Der „Erbfeind der Christenheit“ verlor nicht bereits 1699, sondern erst ab 1718 seinen Bedrohungs- charakter. Nun konnten also Land und Leute endlich nachholen, was bis dahin unmöglich gewesen war: mehr Energie in zivile als militärische Ziele zu setzen und, vor allem, den Entwicklungsrückstand gegenüber dem europäischen Westen abzubauen. Karl VI., seine Tochter Maria Theresia sowie deren Sohn Josef II. warteten allerdings nicht ab, bis ihre Untertanen dies begriffen hatten, sondern setzten von sich aus eine Fülle zum Teil recht unbequemer, aber dem Fortschritt dienender Initiativen, weshalb sich die Menschen unter Habsburgs Krone damals daran gewöhnten, dass die Obrigkeit schon für sie sorge und man ganz gut damit leben könne. Eine der Wurzeln für den Ruf nach dem starken und beschützenden Staat, der 2008 angesichts der aktuellen Finanz- und Wirtschaftsentwicklung wieder laut geworden ist, geht also auf eine Mentalität zurück, die von den Auswirkungen des Passarowitzer Vertrags geprägt worden ist.


!Friede und Handel

Und noch eine Komponente verschafft uns ein „Déjà-vu“-Erlebnis. Parallel zum Friedensvertrag schloss Wien mit Konstantinopel auch einen Handelsvertrag ab, der mittelfristig enorme Wichtigkeit erlangte. Die Bestimmungen dieses Handelsvertrages sahen nämlich vor, dass österreichische Staatsbürger das Recht haben sollten, frei und ungehindert bzw. steuerlich begünstigt auf dem Boden des Osmanischen Reiches Handel zu treiben, so wie Kaufleute anderer privilegierter Länder. Auch wenn das Eindringen in den türkisch-orientalischen Markt nur langsam erfolgte, verschaffte sich die Habsburgermonarchie dadurch im 19. Jahrhundert doch eine dominante wirtschaftliche Position, insbesondere gegenüber Serbien und Rumänien, was sich u.a. an der Verkehrsaufschließung zeigt: Die über Generationen hin sehr erfolgreich funktionierende Donaudampfschifffahrt verdankt ihre konzeptiven Anfänge dem Handelsvertrag von Passarowitz. Wenn sich österreichische Investoren seit dem Zusammenbruch der kommunistischen Regime in Ostmittel- und Südosteuropa (1989/91) darum bemühen, den „Heimvorteil“ zu nützen und sich gegen internationale Konkurrenz auf den dortigen Märkten zu behaupten, bewegen sie sich gewissermaßen auf Bahnen, die 1718 angedacht worden sind. Auch der Plan, den Semmering- und den Koralmtunnel auszubauen, hat historische Vorläufer. Schon Anfang des 18. Jahrhunderts ging es darum, den Zugang zum Seehandel zu forcieren, weshalb Kaiser Karl VI. Triest und Rijeka zu Freihäfen erhob und die Straßen aus dem Hinterland auszubauen befahl. Der Leitgedanke wurde ein paar Generationen später erneut aufgegriffen, und die Südbahn von Wien bis zur Adria erbaut. Diese hätte übrigens nur die halbe Wirkung erzielt, wenn nicht der 1836 in Triest gegründete Lloyd Austriaco die Aufschließung beträchtlicher Teile im östlichen Mittelmeer und im Schwarzen Meer bewerkstelligt hätte – eine bis 1918 beachtliche Kommunikationsleistung, die später, im übertragenen Sinn, die AUA übernommen hat: nämlich Monopolist im Transportwesen Richtung Osten/Südosten sein zu wollen. Die österreichisch-türkischen Absprachen gestanden der christlichen Seite auch das Recht zu, zum Schutz „österreichischer Interessen“ auf osmanischem Boden konsularische Vertreter zu installieren. Das bis 1918 beträchtlich angewachsene, dichte Netz von k.u.k. Gesandtschaften, Konsulaten und Agentien hatte seinen Ursprung im Paragraphen 5 des besagten Handelsvertrages. (An dieser Stelle sei auch erwähnt, dass die heute international anerkannte Diplomatische Akademie in Wien gleichfalls im Konnex mit dem Vertrag von Passarowitz steht: 1752 als Orientalische Akademie gegründet, hatte sie damals die Aufgabe, Fachpersonal für den Umgang mit dem Osmanischen Reich auszubilden; was nicht möglich gewesen wäre, würde nicht der rechtliche Rahmen für friedliche internationale Beziehungen bestanden haben.)


!Fachleute von draußen

Und noch eine Anregung zum Vergleich zwischen einst und jetzt. Wollen Österreichs Wirtschaftskräfte heutzutage in den Ländern des europäischen „Osten“ reüssieren, brauchen sie Fachleute, die nicht nur ihre Profession beherrschen, sondern auch Land und Leute kennen. 1718 mangelte es ebenfalls an solchen Experten. Ohne Berührungsängste vor „Ausländern“ handelte die Wiener Regierung damals pragmatisch und holte sich Kenner der Wirtschafts- wie auch Politszene aus den Balkanländern (Griechen, Serben, Aromunen, Armenier), naturalisierte sie und verlieh ihnen Privilegien, um sie für diese Aufgabe zu gewinnen. Die im Vertrag von Passarowitz gesicherte Herrschaft über Nordserbien und die westliche Walachei (Oltenien) war zwar nicht von langer Dauer (sie währte nur bis zum Friedensvertrag von Belgrad 1739), doch stimulierte die österreichische Präsenz die „Balkanvölker“ in der Hoffnung, die Befreiung vom „osmanischen Joch“ werde vom so erfolgreichen Österreich ausgehen. Obwohl es damals und auch später diesbezügliche Expansionspläne gab, fanden sie bei der Dynastie keinen ausreichenden Widerhall, was die Hoffenden jenseits der Grenze als Desinteresse auslegten, was Enttäuschung nach sich zog und schließlich zur Suche nach Alternativen führte. Nicht nur, aber auch deswegen kam Russland ins Spiel und wurde trotz scheinbarer Kooperationsbereitschaft mit dem Wiener Hof über Generationen hin zu Österreichs Hauptkonkurrenten. Jedes „Njet“ einer Wiener Regierung – auch noch im 21. Jahrhundert – zu Ungunsten eines der südosteuropäischen Länder wird im Licht dieser einstigen Vorreiterrolle als irritierend empfunden. Das Fazit? Zum einen hilft der Blick zurück, Sachverhalte in der Vergangenheit und den Zusammenhang zwischen Vergangenheit und Gegenwart besser zu verstehen. Zum anderen empfiehlt es sich für das heutige Österreich, insbesondere dem 18. Jahrhundert mehr Beachtung zu schenken, als dies bisher geschehen ist: denn dort liegen weit mehr Ursachen gegenwärtiger Zustände, als gemeinhin angenommen. Nicht zuletzt deshalb bietet der 13. Internationale Kongress für die Studien zum 18. Jahrhundert, der 2011 in Graz abgehalten werden soll, die einmalige Chance, sich mit diesem Innovationszeitalter par excellence zu befassen.


''Harald Heppner ist Professor an der Karl-Franzens-Universität in Graz, spezialisiert auf Geschichtskultur des südöstlichen Europa.''
 

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[Wiener Zeitung,|http://www.wienerzeitung.at] Samstag, 3. Jänner 2009
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