!!!Das große Dilemma des Franziskus

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''Aus: Gedanken zu Glaube und Zeit Nr. 325/2020''

Von

__Martha Heizer__

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Nach einem ersten Aufschrei der Enttäuschung über das Schreiben unseres Papstes über sein
„geliebtes Amazonien“ habe ich von manchen Freundinnen und Freunden auch andere Stimmen
gehört: Es gibt so viele Lesarten. Man kann das durchaus auch anders sehen. So hat es Franziskus
doch nicht gemeint. Er schreibt liebevoll und sehr spirituell, nie mit aufgehobenem Zeigefinger. Es ist
gut, dass er keine Alleinverantwortung übernimmt. Er diktiert nicht. Er gibt uns eine große Freiheit.
Nun denn, so lese ich also die Kapitel, die unsere Kirche betreffen, wieder und wieder. Und dabei
entdecke ich das große Dilemma des Franziskus.


Er sieht, wie wichtig Frauen für die Kirche Amazoniens waren und sind. Er honoriert, dass vieles nur
durch sie möglich geworden ist.


''„Jahrhundertelang hielten die Frauen die Kirche an diesen Orten mit bewundernswerter
Hingabe und leidenschaftlichem Glauben aufrecht. Dies ist der Präsenz von starken und engagierten Frauen zu verdanken, die, gewiss berufen und angetrieben vom Heiligen Geist,
tauften, Katechesen hielten, den Menschen das Beten beibrachten und missionarisch
wirkten.“''

Damit ist schon mal eine Tauferlaubnis für Frauen ausgesprochen. (99)

Er sieht auch generell die wichtige Rolle der Nicht-Kleriker (er verwendet noch das Wort Laien):


''„Wir müssen die Begegnung mit dem Wort und das Wachstum in der Heiligkeit durch
verschiedene Laiendienste fördern“'' (93)

und:

''„Eine Kirche mit amazonischen Gesichtszügen erfordert die stabile Präsenz reifer und mit
entsprechenden Vollmachten ausgestatteter Laien-Gemeindeleiter“ (94). „Die Laien
können das Wort verkünden, unterrichten, ihre Gemeinschaften organisieren, einige
Sakramente feiern, verschiedene Ausdrucksformen für die Volksfrömmigkeit entwickeln
und die vielfältigen Gaben, die der Geist über sie ausgießt, entfalten“ (89).''


Einige Sakramente feiern, hört, hört

Ein umfassendes, gemeinschaftliches, wenig hierarchisches Bild von Kirche. Schön – und neu – , das
von einem Papst zu hören.

Aber genau hier, in diesem Punkt „einige Sakramente feiern“ wird das Dilemma deutlich. Hier kippt
der Traum in den Albtraum, meint Paolo Suess. Einige Sakramente schon, andere nicht? Welche?
Warum?

''„Die Antwort liegt im heiligen Sakrament der Weihe begründet, das ihn ~[den Priester]
Christus, dem Priester, gleichgestaltet. Und die erste Schlussfolgerung ist, dass dieser
ausschließliche Charakter, der in den heiligen Weihen empfangen wird, ihn allein befähigt,
der Eucharistie vorzustehen. Das ist sein spezifischer, vorrangiger und nicht delegierbarer
Auftrag.“''

Das habe nicht mit Macht zu tun, meint Franziskus:

''„Wenn gesagt wird, dass der Priester ,Christus das Haupt‘ darstellt, dann bedeutet das vor
allem, dass Christus die Quelle der Gnade ist: Er ist das Haupt der Kirche, denn er hat die
Kraft, allen Gliedern der Kirche Gnade einzuflößen‘“'' (87).


Und schließlich wird es sehr konkret, es geht um zwei Sätze:

''„Der Priester ist Zeichen dieses Hauptes, das die Gnade vor allem im Feiern der
Eucharistie ausgießt, die Quelle und Höhepunkt allen christlichen Lebens ist. Darin besteht
seine große Amtsgewalt, die nur im Weihesakrament empfangen werden kann. Deshalb
kann nur er sagen: ,Das ist mein Leib‘. Auch andere Worte kann nur er sprechen: ,Ich
spreche dich los von deinen Sünden‘. Diese beiden Sakramente bilden die Mitte seiner
exklusiven Identität“'' (88).

Für diese Männer-Exklusivität Begründungen zu liefern, haben in den letzten Jahrzehnten einige
versucht. Sie überzeugen mich nicht. Der Priester in der Rolle Jesu muss ein Mann sein? Ist die
Eucharistie eine Theateraufführung? Und die „Kraft, allen Gliedern der Kirche Gnade einzuflößen“ ist in den letzten Jahrzehnten (und nur von denen wissen wir es) schaurig missverstanden worden.

Auch die Argumente von Franziskus gegen eine Weihe von Frauen sind seltsam:

''„Dies ist eine Einladung an uns, unseren Blick zu weiten, damit unser Verständnis von
Kirche nicht auf funktionale Strukturen reduziert wird. Ein solcher Reduktionismus würde
uns zu der Annahme veranlassen, dass den Frauen nur dann ein Status in der Kirche und
eine größere Beteiligung eingeräumt würden, wenn sie zu den heiligen Weihen zugelassen
würden. Aber eine solche Sichtweise wäre in Wirklichkeit eine Begrenzung der
Perspektiven: Sie würde uns auf eine Klerikalisierung der Frauen hinlenken und den großen
Wert dessen, was sie schon gegeben haben, schmälern als auch auf subtile Weise zu einer
Verarmung ihres unverzichtbaren Beitrags führen“'' (100).

Prof. Zulehner meint dazu: wenn Weihe schon automatisch auf Klerikalisierung hinlenkt, dann gilt
das doch auch für Männer. Dann müsste man doch generell mit der Ordination aufhören. Die
theologische Spekulation von Franziskus, Männer seien zur Christusnachfolge berufen, Frauen sollten
sich an Maria halten, mit ihrer „Zärtlichkeit und Mütterlichkeit“, ist schlicht abenteuerlich. Dann soll
man uns Frauen auch nicht „auf Christus taufen“!

Wenn nur Männer Priester sein können, müssen also alle Frauen Männern ihre Sünden bekennen.
Nur Männer können sie von ihren Sünden lossprechen. Umgekehrt gilt das nicht. Das zementiert ein
Herrschaftsverhältnis – und auch das hat vielen Formen von Missbrauch Vorschub geleistet. Ich weiß
von einigen Ortspfarrern, die über das Sexualleben ihrer Dorfbewohnerinnen ausführlichst und
detailreich Bescheid wissen wollten. Von gröberen Verbrechen ganz zu schweigen.
Aus diesem Herrschaftsverhältnis kann man ausbrechen, indem dieses Versöhnungsritual in dieser
Form einfach verweigert wird. Das passiert ja auch weitgehend. Schade drum. Sehr schade. Es könnte
so was Gutes sein. Ob sich im Stillen und ohne Öffentlichkeit bereits andere Formen entwickeln,
weiß ich nicht. Das kann ich nur hoffen.

Ohne diese beiden Sakramente (und, wie ich annehme, ohne Firmung und Priesterweihe) bleiben aber
noch Taufe und Krankensalbung, die von Laien gespendet werden können, und Eheassistenz. Ist
doch schon etwas. Damit wird eine vielfach aus Not geborene Praxis legitimiert – auch wenn
Franziskus meint, es brauche von ihm gar keine Legitimation. So weit sind wir an der Basis noch
nicht. Da ist er uns voraus.

So sehe ich nach ausführlicher Lektüre einen Papst vor mir, der leidenschaftlich an eine
gemeinschaftliche, synodale Kirche glaubt, der sehr spirituell, oft sogar liebevoll argumentiert, der
sich nicht zum Alleinherrscher machen lässt, der viel Freiraum eröffnet. Der von einer Kirche träumt,
in der alle wertgeschätzt werden und die vielen Charismen, die unter allen verteilt sind, zur Geltung
gebracht werden. Der das Wort „Zölibat“ gar nicht in den Mund nimmt und hofft, dass die
Verantwortlichen vor Ort gute Lösungen finden.

Aber zugleich sehe ich auch einen Franziskus, der am Alten, Überkommenen, Üblichen hängt,
besonders an einem sehr hehren Priesterverständnis, davon nicht lassen kann (und wie hoch der
Druck ist, dem er diesbezüglich ausgesetzt ist, kann ich nicht beurteilen). Er ist eben ein 83jähriger
Argentinier, ein Leben lang geprägt von Männertheologie.

Ein Papst mit zwei Gesichtern? Zwei Seelen, ach, in seiner Brust? Soweit ich das aus der Entfernung
beurteilen kann, ist das so. So bleibt bei mir, nach dem Lesen von „Querida Amazonia“ sogar ein

bisschen Bewunderung übrig, dass er der zweiten Seite in ihm, dem Wunsch nach Erneuerung und
Veränderung, so großen Raum gibt. Schließlich ist er auch kein Wunderwuzi, auch wenn er Papst ist.
Über Priestertheologie und Frauenämter reden wir noch...

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''__Martha Heizer__, Dr. phil., Lektorin an der Katholisch-Theologischen Fakultät der
Leopold-Franzens Universität Innsbruck i.R. mit den Schwerpunkten Pädagogische
Ausbildung für zukünftige Lehrende, Qualitative empirische Sozialforschung und
Feministische Theologie. In ihrem Ruhestand arbeitet sie als Vorsitzende von Wir
sind Kirche Österreich für eine Reform der römisch-katholischen Kirche.''
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