!!!Eins in Christus

!!Predigt im Rahmen des Jahresschlussgottesdienstes der Pfarre St.Leopold-Gersthof (Wien 18.) am 31.12.2019


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Von

__Wolfgang Bergmann__

''Aus: Gedanken zu Glaube und Zeit Nr. 318/2020''

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__Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie,

nicht Mann und Frau;

denn ihr alle seid «einer» in Christus Jesus

Also:

Steh auf, nimm dein Bett und geh in dein Haus!__


Liebe Pfarrgemeinde,

Zunächst zwei Vorbemerkungen, die in gewisser Weise auch Vorwarnungen sind.

Erstens: Ihr seid Zeugen eines Rechtsbruches, weil gem. Can 767 §1 des Kirchenrechts die
Predigt im Rahmen einer Liturgiefeier ausschließlich einem Priester oder Diakon vorbehalten ist.
Aber keine Sorge: Solche Rechtsbrüche haben gute Tradition und sind für die Entwicklung der
Kirche offensichtlich notwendig. Es ist noch keine 60 Jahre her, dass das Feiern einer Messe in
Landessprache verboten war und noch keine 30 Jahre, dass Mädchen illegal als Ministrantinnen waren.

Mit Bedacht ist daher die Lesung gewählt (Gal 3,26-28), aus der uns ein Satz durch diese Predigt begleitet:

__Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau;
denn ihr alle seid «einer» in Christus Jesus. –__

Leider wird dieser Satz seit 2000 Jahre nicht ganz ernst genommen.

Zweitens: Eine richtige Predigt also, die – und das ist die zweie Vorwarnung – je nachdem
wohin mich mein Temperament noch trägt, auch zu einer Wutpredigt werden kann. Wut ist bei
mir oft eine Reaktion auf das Gefühl, durch etwas gelähmt zu sein. Und dafür steht der Text aus
dem Evangelium (Mt 9,1-8), wo es heißt:

__Steh auf, nimm dein Bett und geh in dein Haus!__

Ich lade dazu ein, diese Texte so zu nehmen, dass wir darin unmittelbar angesprochen werden.
Dass ich der Gelähmte bin, dass Du der Gelähmte bist. Und nehmen wir das Bett, an das wir
gefesselt sind als unsere Kirche. Und dann folgen wir dem Satz:

__Steh auf, nimm dein Bett und geh in dein Haus!__

Mal sehen, wohin uns das führt.

Ende der Vorbemerkungen. Achtung!

!Predigt:

Wir stehen an der Schwelle zu einem neuen Jahrzehnt. Tun wir das? Stehen wir an einer
Schwelle? Morgen ist ein Tag wie jeder anderer. Dass ein neues Jahr beginnt, ist eine willkürliche
gesellschaftliche Setzung. Aber diese willkürliche Setzung funktioniert: Die Welt feiert (sehr gut,
feiern heißt nämlich: intensiver Leben), die Wirtschaft wird angekurbelt – auch nicht schlecht.
(Nebenbei: Nur das mit den Feuerwerken sollten wir uns noch überlegen…)

Diese willkürliche Setzung hat es bis in die Liturgie hinein geschafft, zu der wir heute nur deshalb
zusammenkommen, weil angeblich ein Jahr zu Ende geht, obwohl gar nichts zu Ende geht.
Was wir als Gemeinschaft mit diesem künstlichen Fest aber sichtbar machen und feiern, ist ein
__Schwellenerlebnis__. Unsere Erfahrung von Werden und Vergehen, vom Schon und Noch-nicht.
Das Schwellenerlebnis ist eine __religiöse Erfahrung__.

An welcher Schwelle stehen nun – wir gemeinsam, als religiöse Gemeinschaft. Wo stehen wir als
Katholische Kirche, unabhängig davon, dass ein Jahr angeblich zu Ende geht:
Tatsächlich haben wir es mit teils atemberaubenden Veränderungen zu tun, von denen noch gar
nicht absehbar ist, wohin sie führen.

Illustrieren wir es an unserem __Papst__:

Für mich wurden in seinem Pontifikat neben rein Zeichenhaftem und einem neuen Stil (den
unsere Bischöfe Großteils immer noch nicht übernommen haben), bisher drei große Schritte
sichtbar:

Vor zwei Jahren hat er die bis dahin illegale Praxis der __Sakramente für wiederverheiratete
Geschiedene__ legalisiert. Zunächst etwas verhalten – in der berühmten Fußnote 351 in seinem
Schreiben Amoris Laetitia, aber immerhin.

Letztes Jahr hat er mit einem Federstrich den __Weltkatechismus in Sachen Todesstrafe__ einfach
geändert. Aus bisheriger Tolerierung wurde Ächtung.

Was noch viel wichtiger ist, als diese beiden Schritte im Einzelnen, besteht darin, was dadurch
indirekt passierte: Er hat das __Dogma der Unfehlbarkeit__ ausgehebelt und damit jeglichen
dogmatischen Anspruch für die Zukunft – weil er Lehren, die als unveränderlich galten, geändert
hat.

Heuer hat er auf der Amazonassynode erstmals eine __Zölibatsdiskussion __überhaupt erst
zugelassen, die auch flugs eine Zweidrittelmehrheit für viri probati gebracht hat. Es ist
Franziskus zuzutrauen, dass er im nachsynodalen Schreiben ein Ende des Pflichtzölibats
einläutet. Möglicherweise der letzte Paukenschlag seines Pontifikates, das im kommenden Herbst
die durchschnittliche Verweildauer eines Papstes am Stuhl Petri erreicht haben wird.
Wir müssen an dieser Schwellenanalyse auch das in den Blick nehmen, was Franziskus __nicht__
erledigt hat und nicht angeht, wo schwere __Versäumnisse __liegen, die die __Glaubwürdigkeit der
Kirche__ ernsthaft in Frage stellen:

Beginnen wir beim Einfachen, beim lieben Geld. Dieser Tage gab es Hausdurchsuchungen und
Jobverluste im __Vatikan__, weil der __Finanzbereich __nach wie vor __nicht in Ordnung gebracht__ ist.
Franziskus hat es nicht gewagt, den logischen franziskanischen Schritt der Auflösung der
__Vatikanbank __zu setzen, die immer wieder im Ruf der Geldwäsche stand.

Nebenbei __verstecken __auch __unsere Bischöfe__ ihre __millionenschweren Mensalgüter__ vor Ihren
Diözesen und weigern sich, diese in transparenter Weise einer diözesanen Verwaltung zu
unterstellen.

__Das ist zum Schämen.__

Es gibt aber viel Schlimmeres. Zu dieser Stunde sitzt einer der höchsten Kardinäle in einem
australischen Gefängnis wegen Kindesmissbrauchs. Er war Mitglied der K9 Reformgruppe des
Papstes. Ein zweiter wurde aus den K9 heuer abberufen, nämlich der Erzbischof von Santiago de
Chile, weil man ihm Vertuschung vorwirft. 2 aus 9 im __Strudel des Missbrauchsskandals__!
Stellen Sie sich vor, wenn in unserer Runde hier 20 Prozent mit dem Missbrauchsskandal zu tun
hätten…

Beide haben zwar ihre __Funktionen verloren__, aber bis dato __nicht ihre Kardinalswürde__, das
kennen wir von Kardinal Groer. Hier reicht schämen nicht mehr, das ist empörend.
Immerhin, und auch das einmalig in der Geschichte der Neuzeit, wurde ein Kardinal aus dem
Klerikerstand entlassen. McCarrick der ehemalige Erzbischof von Washington. Richtig streng
ist man nur mit Nebendarstellern. __Kardinal Sodano__, der als __Kardinalstaatsekretär __an der
__Spitze des Vertuschungsregimes __stand, und das weiß man seit mindestens 2010, verlor jetzt –
neun Jahre später – die Funktion des Kardinal-Dekans, behielt aber ebenso sein rotes Birett.


Ja, __Franziskus __hat eine Reihe von Gesetzen erlassen und Initiativen gesetzt, um das Problem zu
bekämpfen, aber er hat es bis heute __unterlassen__, für Aufklärung der __Verantwortlichkeit im
Vatikan zu sorgen__. __Franziskus __hat von Anfang an die__ Aufklärung niedergehalten__, indem er den __ebenso verantwortlichen Papst Johannes Paul II heiliggesprochen__ hat.

Wenn wir beides zusammennehmen: Undurchsichtige Finanzen und Kindesmissbrauch, der
strukturell gedeckt und vertuscht wurde, dann steht der Vatikan heute als Schurkenstaat da –
und es gibt kein Anzeichen dafür, dass er sich selbst aus diesem Schlamassel befreien kann.

Aber auch damit nicht genug: Ebenso zählt zur traurigen Bilanz des Jahres 2019, dass der
__Missbrauch von Ordensfrauen__ in einem ungeahnten Ausmaß sichtbar wurde. Der Skandal und
seine __systematische Vertuschung__ steht dem Kindesmissbrauchsthema um nichts nach.

Zu diesem Unrecht kommt ein zweites, dass sich nämlich Franziskus festgelegt hat, den __Frauen__
auch weiterhin __nicht __jene __gleichwertige Rolle __in der Kirche zu geben, die ihnen entspricht.

Auch er folgt __nicht __dem Satz

__Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und
Frau; denn ihr alle seid «einer» in Christus Jesus.__

In dieser Kirche, fühlen wir uns da nicht zwangsläufig wie gelähmt im Bett liegen?

Was, wenn diese __Lähmung __auch daraus entspringt, weil wir __schuldhaft einfach zuschauen__?
Weil es auch nicht unbequem war, sich in diesem Bett herumtragen zu lassen.

__Steh auf, nimm dein Bett und geh in dein Haus! -__

Das ist eine große Befreiungsbotschaft, aber auch ein großer Auftrag.

Und jetzt kommt die Pointe dieser Geschichte: Es heißt nicht, lass das Bett stehen, sondern:
nimm es! __Nimm diese Institution__, die dich bis hierher getragen, aber auch gelähmt hat – __und
mach was draus__.

Geh in dein Haus, __dein Haus, wo du Herrin oder Herr bist__ und dir __nicht __von einer
__Führungs-Kaste__ etwas __vorschreiben lassen__ musst.

Müssen wir nicht __aufhören, zu akzeptieren,__ dass unsere Kleriker keine gemeinsame
__Eucharistie mit Vertretern anderer Gemeinschaften__ feiern?

Müssen wir nicht __überhaupt aufhören, uns vorschreiben zu lassen, wer unseren Feiern
vorsteht__?

Müssen wir nicht __aufhören zu akzeptieren__, dass einer __einzelnen Person__ (ob in Rom oder
Diözese) Legislative, Exekutive und Gerichtsgewalt zukommt – und uns z.B. __vorschreibt wie
wir unsere Pfarren organisieren__?

Müssen wir nicht __aufhören zu akzeptieren__, dass __in jedem Land__, in dem __Schwulen die
gleichen Rechte in Sachen Ehe eingeräumt werden__, ein __Kardinal __oder ein __Nuntius
protestiert__?

Müssen wir nicht ernst machen, dass das __Ehesakrament die Eheleute einander spenden__ und
sie daran keine Institution hindern kann?

Ich lade ein, die Liste fortzusetzen…

Zu Recht hat Franziskus mehrmals gegeißelt, dass der __Klerikalismus eine Wurzelsünde__ des
aktuellen Zustands __unserer Kirche__ ist. Er hat aber den Satz nicht fortgesetzt, __nicht
ausgesprochen__, was das in der Folge bedeutet, __dem Klerikalismus ein Ende zu machen__.
Diesen Satz weiterzusprechen heißt:

__Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und
Frau; denn ihr alle seid «einer» in Christus Jesus.__

Diesen Satz weiterzusprechen heißt:

__Steh auf, nimm dein Bett und geh in dein Haus!__

Amen!

''__Wolfgang Bergmann__, geboren 1963, ist Magister der Theologie. Nach dem Studium
begann er seine Laufbahn als Sprecher der Caritas 1988-96 unter dem damaligen
Caritaspräsidenten Helmut Schüller. Als Kommunikationschef der Erzdiözese Wien
(1996-2000) war er auch Gründer von Radio Stephansdom. Im Jahr 2000 übernahm er
die Geschäftsführung der Tageszeitung Der Standard und war ab 2008 auch Vorstand
der Standard Medien AG. Seit 2017 ist Bergmann wirtschaftlicher Geschäftsführer der
Österreichischen Galerie Belvedere.''








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