!!!„Nicht jeden Freitag wird geköpft“


Von

__Heribert Franz Köck__

Aus: ''Gedanken zu Glaube und Zeit Nr. 137/2014''

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Die frühere österreichische Justizministerin und derzeitige Stv. Generalsekretärin des umstrittenen
"König-Abdullah-Dialog-Zentrums“ in Wien Claudia Bandion-Ortner hat in einem Interview für das
Nachrichtenmagazin Profil über ihre Arbeit und ihre durchaus positiven Eindrücke von Saudi-Arabien
berichtet. Auf den Vorhalt, dort würden nach jedem Freitagsgebet zum Tode verurteilte Personen enthauptet,
bemerkt sie launig „Nicht jeden Freitag wird geköpft.“ Dieser „Sager“, mit dem sie offenbar
zum Ausdruck bringen wollte, dass alles nicht so schlimm sei und man halt die dortige Kultur respektieren
müsse, hat einen Sturm der Entrüstung hervorgerufen.

~* * *

Aber ich schreibe hier nicht über Saudi-Arabien und sein Rechtssystem, die Scharia, obwohl es da
Einiges zu verbessern gäbe. Ich schreibe über die Katholische Kirche, weil es da auch Einiges zu verbessern
gibt. Womit wir wieder einmal beim Thema Kirchenreform angelangt wären. Aber was für
Saudi-Arabien die Wahhabiten, das sind für die Kirche die theologischen und disziplinären Reaktionäre,
die sich überall in der Kurie, im Kardinalskollegium und im Episkopat eingenistet haben, ja dort
lange geradezu herangezüchtet wurden.

Immerhin: Es gibt Hoffnung. Papst Franciscus schlägt gegenüber dem kirchlichen Establishment
zunehmend kritische Töne an.

Aber er ist noch immer weitgehend allein. Natürlich gibt es da und dort Bischöfe und Kardinäle, die
ihn unterstützten. Aber einen breiten Widerhall hat er bisher noch nicht gefunden, obwohl er die Bischöfe
schon wiederholt dazu aufgefordert hat, aus der Perspektive der Ortskirchen Probleme zu benennen
und Vorschläge zu deren Lösung zu machen.

Das ist natürlich kein Wunder. So gut wie alle derzeit amtierenden Bischöfe wurden noch von seinen
beiden Vorgängern, Johannes Paul II. und Benedikt XVI., ernannt. Und bei den wenigen, die mittlerweile
unter Franciscus ernannt wurden, haben die kurialen Seilschaften aus der Zeit seiner Vorgänger
ihren Einfluss weiterhin geltend machen können. Die Bischöfe wurden in den letzten Jahrzehnten
nicht nach ihrer Bodenhaftung in der Ortskirche ausgesucht, sondern nach ihrer „Treue zum Papst“.
Sie sollten nicht ihre Ortskirche in Rom, sondern Rom in ihrer Ortskirche repräsentieren, als römische
Vögte, sozusagen. Daher fiel es ihnen leicht, Reformwünsche aus ihren Ortskirchen von vornherein mit
dem Hinweis auf die „Weltkirche“ abzublocken. Und was der Weltkirche guttat, gutzutun hatte, wurde
in Rom bestimmt, das jeden abweichenden Wunsch als Spaltungsversuch und jeden Bischof, der es
wagte, ihn vorzutragen, als Abweichler betrachtete. Dazu kam die (von Franciscus mittlerweile angeprangerte)
Arroganz der Kurie, welche die Ortsbischöfe von vornherein nicht ernst nahm und etwaige
Anregungen aus dem Kreis derselben mit der Überlegenheit des Insiders geringschätzig als „was sich
der kleine Maxi halt so vorstellt“ abtat.

Diese Art Bischöfe kann dem Aufruf des Papstes, sich und ihre Ortskirche zu artikulieren, bestenfalls
hilflos gegenüberstehen. Schlimmstenfalls aber wird sie den Papst und seine neue Linie sabotieren, weil sie diese als Verrat an seinen heiligen Vorgängern ansieht. (Dass Benedikt XVI. noch nicht heiliggesprochen
wurde, hängt nur damit zusammen, dass er ausnahmsweise noch lebt. Da aber manche
nicht mehr zuwarten wollten, bis er tot ist, wurde ihm ersatzweise schon zu seinen Lebzeiten im Vatikan
vor der Päpstlichen Sozialakademie eine Bronzebüste gesetzt, was sogar im alten Rom nur zu
Ehren jener Kaiser geschah, die sich selbst für göttlich erklärt haben.)

Es zeigt daher von einem großen Vertrauen des Papstes auf das Wirken des Heiligen Geistes, dass er
es unternimmt, mit dieser Art Bischöfe den Weg kollegialer Entscheidungsfindung zu beschreiten!
Dass dieser Weg steinig ist, zeigen jene Wortmeldung auf der jüngsten (vorbereitenden) Session der
Bischofssynode, in denen Franciscus wegen seiner theologischen Aufgeschlossenheit und seiner Bereitschaft
zu Veränderungen in der Praxis als kirchlicher Schadenmacher bezeichnet wurde. Ob zum
guten Wille des Papstes und dem Engagement seiner wenigen echten Unterstützer eine ausreichende
Zahl von „anpassungsfähigen“ Bischöfen – das sind solche, die Franciscus zwar nicht aus Überzeugung
folgen, aber wegen der unter seinen Vorgängern andressierten Haltung, dass man „immer mit
dem Papst“ sein müsse, selbst wenn man ihn nicht verstehen oder gar anderer Meinung sein sollte –
hinzukommen wird, steht noch nicht fest. Aus diesem Grund wagen sich derzeit auch die wenigsten
Bischöfe, selbst wenn sie vielleicht in ihrem Inneren auf der Seite des Papstes stehen, aus ihrer Deckung
hervor; und wenn ihnen ein Interviewer verfängliche Fragen stellt, dann geben sie so gewundene
Antworten, dass sie bei jedem Ausgang der Bischofssynode 2015 für sich in Anspruch nehmen
können, schon immer auf der richtigen Seite gestanden zu sein...

Dass dem Papst im Kirchenvolk (unter der „Kirchenbürgern“) breite Sympathie entgegenschlägt, hilft
da auch wenig, weil es auf das Kirchenvolk bei der derzeitigen Verfasstheit der Kirche nicht ankommt.
Und wenn das Kirchenvolk einmal doch um seine Meinung gefragt wird, wie dies in Vorbereitung der
Bischofssynode über Wunsch des Papstes geschehen ist, dann beeilt man sich an der Kurie klarzustellen,
dass es nicht auf den sensus fidelium, den Glaubenssinn des Volkes Gottes, schlechthin ankomme,
sondern nur auf jenen, der am kirchlichen Lehramt orientiert ist. Mit anderen Worten: nicht, was die
Menschen glauben, ist für Rom entscheidend, sondern das, was sie nach Auffassung Roms zu glauben
haben.

~* * *

Aber gehen wir einmal davon aus, dass der Papst Erfolg hat und dass auf der Synode eine Änderung
des Umgangs mit wiederverheirateten Geschiedenen beschlossen wird, dahingehend, dass diese auch
dann zur Kommunion gehen dürfen, wenn sie ihre neue Ehe umfassend (d.h. ohne Verzicht auf den
ehelichen Umgang als einen wichtigen Teil der bona matrimonii) leben: ist damit für die Kirchenreform
schon Alles oder doch Vieles erreicht?

Man braucht nur die in allen wichtigen Punkten konvergierenden Forderungskataloge der verschiedenen
Reformbewegungen herzunehmen, um zu sehen, dass dem noch lange nicht so ist. Sie seien in
Erinnerung gerufen:

Das Recht der Kirche verstößt in wichtigen Punkten gegen die Menschenrechte:
* der Ausschluss der Frauen von den Weiheämtern ist eine Diskriminierung aus Gründen des
Geschlechts, bei der man sich nicht schämt, sie Jesus in die Schuhe zu schieben
* der Zwangszölibat verstößt bei Priestern, die auch sich auch zur Ehe berufen fühlen, gegen die
freie Wahl des Familienstandes, und bei verheirateten Männern, die sich auch zum Weiheamt
berufen fühlen, gegen das Recht auf freie Berufswahl

Die Struktur der Kirche verstößt in wichtigen Punkten gegen die Grundsätze einer guten („gerechten“)
Ordnung:

* der römische Zentralismus, der Alles für Alle regeln will und dies mit dem Hinweis auf die
Weltkirche bemäntelt, verstößt gegen den Grundsatz der Subsidiarität, nach welchem die obere Ebene nur eingreifen darf, wenn die untere Ebene ihre Aufgaben nicht alleine besorgen kann
* das Fehlen der Gewaltenteilung, das letztlich alle kirchlichen Kompetenzen (Gesetzgebung,
Verwaltung und Rechtsprechung) beim Papst (und in der Praxis: bei der römischen Kurie)
konzentriert, verstößt gegen den Grundsatz der wechselseitige Kontrolle der Gewalten
(checks and balances) und öffnet damit „von oben“ der Willkür Tür und Tor
* das Fehlen der Kontrolle der Regierenden durch die Regierten, die eine Korrektur dieser
Willkür auf rechtsstaatlichem Weg „von unten“ ermöglichen würde, verletzt den Grundsatz
der Herrschaft des Rechts (rule of law).

Die Praxis der Kirche verstößt in wichtigen Punkten gegen den Grundsatz, dass alle Institutionen für
die Menschen und nicht die Menschen für die Institutionen da sind:
- die Unterscheidung von Klerikern und Laien, nach der die Letzteren die Heilsmittel nur durch
die Vermittlung der Ersteren erlangen können, führt zu einer kirchlichen Zweiklassengesellschaft,
in welcher einige wenige (als „lehrende und leitende Kirche“) Hirten, alle anderen aber
(als „hörende und gehorchende Kirche“) Schafe sind
* diese Zweiklassengesellschaft von Hirten und Schafen verstößt gegen den Grundsatz, dass
auch das kirchliche Amt als Dienst verstanden werden muss, der nur im ständigen Eingehen
auf die Bedürfnisse und Wünsche derer ausgeübt werden darf, für die dieser Dienst eingerichtet ist
* dies gilt umso mehr, als die gesellschaftliche Entwicklung mit ihrem breiten Zugang zu höherer
Bildung dazu geführt hat, dass manche Schafe das Zeug zum Hirten haben, aber auch, dass
deutlicher als früher zu erkennen ist, dass manche Hirten Schafe geblieben sind
Selbst wenn also die Bischofssynode den erhofften Ausgang nimmt, sind wir damit erst am Fuße, aber
noch lange nicht am Ende der Fahnenstange. Mehr als ein positiver Schritt wäre damit noch nicht
gesetzt. Aber es wäre immerhin ein wichtiger für die unmittelbar Betroffenen und ein ermutigendes
Zeichen für die Reformfähigkeit der Kirche.
~* * *
Betrüblicher Weise scheint der derzeitige Reformwind, der (wenn schon nicht von der Kurie, dann
doch) vom Papst her weht (und der bisher ohnedies nur ein Lüfterl ist, das noch dazu jederzeit in eine
andere Richtung umschlagen kann, wenn dem Papst – was Gott abhüten möge! – etwas zustoßen sollte),
innerhalb der Reformbewegungen da und dort Unsicherheit ausgelöst zu haben. Soll man mit ihm
das Schiff der Reform beschleunigen, gar ein paar zusätzliche Segel setzen, um ihn bestmöglich zu
nutzen? Oder soll man nicht eher ein paar Segel reffen, damit man die gewohnte Fahrgeschwindigkeit
beibehalten kann, das Schiff sich bequemer steuern lässt und niemand durch einen neuen Reformschwung
verstört wird?

Wem die christliche Seefahrt nicht so geläufig ist, für den sei ein anderer, aus dem Bereich des Volkssports
No.1 genommener Vergleich gebracht. Wenn eine Fußballmannschaft 1:0 führt, dann gibt es
immer Einige, die meinen, man brauche jetzt nur noch gerade so viel tun, als notwendig ist, um den
knappen Vorsprung über die Zeit zu bringen. Andere freilich meinen, dass es besser wäre, den Vorsprung
durch ein zweites Tor abzusichern, damit der Erfolg auch durch ein mögliches Gegentor in
letzter Minute nicht mehr gefährdet werden kann.

Obwohl es vernünftig erscheint, dass man den günstigen Wind nutzen soll, bis man den Zielhafen erreicht
hat, und es leichtfertig wäre, darauf zu hoffen, dass einer Mannschaft, die 1:0 führt, schon nichts
mehr passieren wird, gibt es auch innerhalb der Reformbewegungen manche, die für ein eher gemütlicheres
Segeln plädieren. Oder dafür, die eigenen Kräfte lieber zu schonen, dabei vielleicht darauf vertrauend,
dass man auf diese Weise auch den Gegner einschläfern kann.

Weil es diese unterschiedlichen Auffassungen gibt, fordert gerade die derzeitige Situation in der Kirche
den Reformbewegungen eine Grundsatzentscheidung ab. Eine Grundsatzentscheidung darüber, ob man auch weiter mit vollem Einsatz „am Ball bleiben“ oder lieber einen Schongang einlegen, ob
man den neuen Wind weiter zu voller Fahrt nutzen oder lieber ein paar Segeln einholen soll.
Meines Erachtens liegt die richtige Entscheidung auf der Hand. Wenn wir uns für die Kirchenreform
engagieren, weil wir dafür im Rahmen unserer Möglichkeiten Verantwortung tragen, so wäre es unverantwortlich,
die Chance, die sich in der Person von Papst Franciscus bietet, nicht zu ergreifen und
nicht alles dazu beizutragen, den neuen Reformschwung zu nutzen!

Das gilt für das ganze Spektrum von Ansatzpunkten. Jeder kann in seinem Bereich zur Kirchenreform
beitragen. Ich selbst vergleiche die Reformer gerne mit kleinen Mäuslein, die in einem großen Netz
gefangen sind. Sie können nur nagen. Das eine beißt da einen Faden durch und das andere dort; und
irgendwann – kein Mäuslein weiß, wann – zerreißt das Netz und sie sind frei. So wird es auch in der
Kirche sein: jede Kritik, jeder Ungehorsam trägt dazu bei, das derzeitige System zu erschüttern, bis es
endgültig zusammenbricht.

Der Grazer Bischof Kapellari hat einmal in einem Brief an den Vorsitzenden der Laieninitiative geschrieben,
deren Bemühungen glichen einem Auto, das mit voller Kraft gegen eine Betonwand fährt.
Das Auto würde zerschellen, die Wand aber stehenbleiben. Ob er auch noch recht hat, wenn immer
wieder Autos mit voller Kraft dagegen fahren? Immerhin heißt es doch: Steter Tropfen höhlt den
Stein...

Dabei müssen alle Ansatzpunkte genutzt werden. Manche, die des offenen Konflikts mit der Amtskirche
anscheinend müde geworden sind, wollen die Reform lieber an die Basis verlagern. Natürlich
muss man auch da werken (sozusagen an jedem Faden nagen); aber die theologische und kirchenpolitische
Auseinandersetzung mit den Spitzen der Amtskirche (insbesondere mit den Bischöfen) ist unverzichtbar.
Wenn ich meine Studierenden frage, zu welchem Zweck die Weltfriedensorganisation der
Vereinten Nationen gegründet worden sei, dann antworten mache: damit die Staaten friedlich sind.
Aber diese Antwort greift zu kurz; denn friedlich sein kann man auch ohne Vereinte Nationen. Die
Vereinten Nationen sind um der kollektiven Sicherheit willen gegründet worden: damit die Kräfte aller
gegen einen etwaigen Friedensbrecher gebündelt werden. Auch die Reformorganisationen sind nicht
gegründet worden, damit jeder nur für sich „Kirchenreform“ vor sich hin betreibt, sondern damit man
gemeinsam stark genug ist, die Stimme der Reform auch gegenüber Bischöfen und Päpsten hörbar zu
machen. Das ist die erste Stoßrichtung; und dort muss man zuerst und mit aller Kraft ansetzen.

~* * *

Franciscus ist achtundsiebzig; und die ORF-Korrespondentin in Rom, Mathilde Schwabeneder, hat in
der Nachrichtensendung „Zeit im Bild“ am Christtag auf die Frage, ob der Papst es schaffen werde,
sich gegen die Widerstände in Kurie und Episkopat durchzusetzen, geantwortet: „Er hat sehr müde
gewirkt“. Natürlich ist Franciscus dabei, manche Missstände in der Kirche abzustellen. Aber die meisten
Missstände und das System, das sie gebiert, sind noch da.

Es mag ja sein, dass auch in Rom nicht (mehr) jeden Freitag geköpft wird. Trotzdem ist das Ganze
wahrlich kein Spaß. Und kein Grund für launige oder gar ernstgemeinte Bemerkungen, die fortdauernden
Missstände seien eben Teil der „kirchlichen Kultur“, mit der man leben müsse.

Man muss es nicht!


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