!!!Glaube und anthropisches Prinzip I

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''Aus: Gedanken zu Glaube und Zeit Nr. 339/2020''

Von

__Matthias Jakubec__

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In den „Gedanken christlichen Glaubens unserer Zeit“ Nr. 329 und 330 hat Wolfgang
OBERNDORFER, den ich sehr schätze, einmal mehr die Geschichte der Schöpfung vom Urknall
bis zum heutigen Menschen dargestellt mit dem Ziel, „die Größe, Kreativität und Weisheit
dieses Gottes etwas erahnbar zu machen.“ OBERNDORFER folgt damit dem starken anthropischen
Prinzip. Er weist auf eine große Anzahl von Vorbedingungen hin, die erforderlich waren,
damit in der physikalischen und biologischen Geschichte der Welt letzten Endes Menschen
entstehen konnten, wobei jedes einzelne der Ereignisse, die jeweils zu diesen Bedingungen geführt
haben, als überaus Unwahrscheinlich angesehen werden muss.

Die Welt ist erstaunlicher Weise gerade so austariert, dass es uns Menschen gibt. Das starke anthropische Prinzip besagt: Die Welt ist, wie sie ist, genau damit Menschen entstehen konnten.

Das kann aber wohl kein Zufall sein. Dass die Entwicklung der Welt zum Menschen führt,
muss demnach gewollt sein. Gewollt von wem? Gewollt von dem einen Schöpfergott, der „ein
unbegreiflich und unendlich genialer und kreativer Gott ist“.

OBERNDORFER ist überzeugt, damit „eine vernünftige Darstellung der biologischen Evolution
vorzulegen, die ausdrücklich Platz für einen ganz wesentlichen Teil unseres Glaubens lässt,
nämlich den Glauben an einen über allem stehenden Schöpfergott.“ Tatsächlich aber ist gerade
mit der Annahme des starken anthropischen Prinzips der Konflikt zwischen Glaube und rationalem,
also auch naturwissenschaftlichem Denken nicht ausgeräumt.

Von Anfang an haben Menschen, vielleicht auch schon Tiere, über die Gründe nachgedacht,
warum ein bestimmtes Geschehen in der sie umgebenden Welt eintritt. Wenn man den Grund
kannte, war man oft in der Lage, das Geschehen zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Die Menschen
lernten, kausale Zusammenhänge zu erkennen: Immer wenn eine bestimmte Voraussetzung
(Prämisse) erfüllt war, dann hatte dies eine vorhersagbare Konsequenz (Konklusion). Die
Voraussetzungen ihrerseits haben Voraussetzungen und es ist möglich, solche Kausalketten zurückzuverfolgen
bis …, ja, bis an ihrem Anfang eine Person steht. (Ich benutze hier das Wort
„Person“ in seinem heute gängigen und nicht im etymologischen Sinn.) Eine Person stößt den
kausalen Prozess an, weil sie es will, weil sie das Ergebnis des Prozesses erzielen will. Es ist völlig
selbstverständlich, dass in diesem Sinn auch Tiere als Personen angesehen werden müssen. So
steht am Anfang aller kausalen Gründe immer ein teleologischer Grund. Etwas geschieht, damit
ein gewünschtes Ergebnis eintritt. Etwas geschieht, weil jemand es gewollt hat, oder weil der
Gang der Ereignisse schließlich doch anders verlief als ursprünglich beabsichtigt.

Was aber war mit jenen Ereignissen, die nicht von sichtbaren Personen veranlasst wurden, insbesondere
Naturereignissen wie Quellen, Regen, Winde, Meereswogen? Man schrieb ihr Geschehen
konsequenter Weise unsichtbaren Personen zu: Verstorbenen, Naturgeistern, Göttern.

Wer auf das von ihnen initiierte Geschehen Einfluss nehmen wollte, musste diese Personen
günstig stimmen. Es lag also nahe, sich ihnen gegenüber zu verhalten, als wären es andere Menschen,
von denen man etwas wollte. Sie zu versorgen mit Speis und Trank, mit ihnen, die ja die
Macht hatten, Geschehnisse zu veranlassen, die Sterbliche nicht bewirken konnten, zu verkehren
wie mit Stammesoberhäuptern oder Königen. Man musste ihnen huldigen.

Religionen, rituelle Systeme im Umgang mit den „übernatürlichen“ Personen, wurden entwickelt.
Religiöse Führer etablierten sich, die den Ritus institutionalisierten. Die Herrschenden begannen
die Macht der Geister und Götter in ihren Dienst zu stellen. Fallweise wandten sich Religionsführer
eifersüchtig gegen einen weltlichen Herrscher, meist aber etablierten sie sich kooperativ in
seinem Dienst.

Wir kennen die Geschichte, wie Stämme und Völker ihre jeweiligen obersten Gottheiten etablierten,
wie sich aus einem Hirtengott und dem ägyptischen Sonnengott der Gott Israels bildete, wie
dieses Volk Zuversicht daraus schöpfte, den eigenen Gott zum mächtigsten und schließlich zum
einzig wirklichen zu erklären. In der Zeit als die Juden nach Babylon verschleppt waren, schufen
ihre Priester aus den Überlieferungen und Mythen ein möglichst konsistentes Bild vom Gott Abrahams,
Isaaks und Jakobs, und eine Geschichte Israels mit diesem Gott als Kern, zum Zweck
des Nation Building, um eine Neugründung des jüdischen Staates herbeizuführen.

Halten wir fest: Gott wird von den Religionen verstanden als die Person, die jene Ereignisse verursacht,
die nicht von irdischen Personen verursacht werden. Eine immer genauere Beobachtung
der Natur, hat allerdings die Kausalketten immer weiter in die Vergangenheit verlängert. Die Naturwissenschaften
machten sich die Erkundung der Kausalketten zur Aufgabe. Dem naturwissen schaftlichen Forschungsprogramm zufolge sollten alle Kausalketten ausgehen von einem einzigen
Anfangszustand des Universums.

Damit war die Suche nach den Gründen für einen Vorgang nicht mehr das Identifizieren von
Personen, die diesen Vorgang von außen angestoßen hätten, sondern die Entwicklung einer
Erklärung. Die Erklärung eines Vorgangs identifiziert zunächst das System, in dem der Vorgang
abläuft, und sodann eine funktionale Beschreibung dieses Systems. Die funktionale Beschreibung
beantwortet die Frage: Aus welchen Bestandteilen ist das System zusammengesetzt, und
welche Wechselwirkungen finden zwischen diesen Bestandteilen statt. Aus solchen Wechselwirkungen
muss auch der zu erklärende Vorgang bestehen.

Diese selbst gestellte Aufgabe der Naturwissenschaften führt zwangsläufig zu ihrer wichtigsten
Methode: der Reduktion. Ein System wird in Teilsysteme zerlegt solange, bis alle die Teilsysteme
einander soweit ähnlich sind, dass die Interaktionen zwischen ihnen auf Wechselwirkungen einer
möglichst geringen Anzahl unterschiedlicher Art zurückgeführt werden können. Da nicht
jedes einzelne System und Subsystem für sich beschrieben werden kann, ergibt sich die Herausforderung,
möglichst allgemein gültige Zusammenhänge zu finden, die Naturgesetze.

Naturgesetze sind demnach All-Sätze. Da aber niemals alle Fälle überprüft werden können, können
Naturgesetze auch nie bewiesen werden. Sie sind daher Vermutungen. Die Vermutung besteht
darin, dass ein bestimmtes Naturgesetz immer und ohne Ausnahmen gilt, und das von ihm
beschriebene Verhalten eines Systems eintritt. Allfällige Ausnahmen müssen als Teil des Gesetzes
in den für seine Anwendung erforderlichen Vorbedingungen bestimmt werden. Naturgesetze
sind aber nicht reiner Glauben, denn im Unterschied zu diesem können sie widerlegt werden: Ein
einziger Fall, der dem Naturgesetz widerspricht, zwingt uns dazu, es zu korrigieren oder ganz
aufzugeben. Die von ihm formulierte Vermutung hat sich nicht bestätigt.

Glaube hingegen kann auch entgegen aller Sachverhalte aufrechterhalten werden, man kann sich
dafür entscheiden, die ihm widersprechenden Sachverhalte nicht zu glauben. Auf Basis einer rationalen
Weltbetrachtung ist ein solcher Akt der Immunisierung von („überholten“) Naturgesetzen
nicht erlaubt, da er den Erkenntnisgewinn verunmöglicht. Man muss auch den grundlegenden
Unterschied zwischen Naturgesetz und juridischem Gesetz beachten. Naturgesetze gelten nicht
deshalb, weil ein Gesetzgeber sie in Kraft gesetzt hätte, sodass ein solcher Gesetzgeber sie auch
ändern könnte. Sie sind, wie gesagt, nichts anderes als unsere Vermutungen über das Verhalten
der Natur. Wir wissen nie, ob sich die Natur tatsächlich „an sie hält“.

Es muss klargestellt werden, dass es sich beim Kausalprinzip nicht um ein Naturgesetz handelt
sondern um ein Handlungsprinzip für die Naturwissenschaft, eine Anleitung für ihr Arbeitsprogramm.
Das Kausalprinzip kann nicht widerlegt werden. Wir wissen nicht, ob sich die Natur
kausal verhält, aber wenn bzw. insofern sie es nicht täte, wäre jede Naturwissenschaft obsolet
und jede auf Naturgesetze bauende technische Entwicklung fahrlässig. Das Prinzip ist gerechtfertigt,
weil es milliardenfach funktioniert. Es ist praxistauglich.

Die Annahme von Kausalität in der Natur führt in der Frage nach Gott zum Deismus, also der
Idee, am Anfang der Welt habe Gott, der Demiurg, wie ein Uhrmacher die Welt erschaffen und
diese läuft nun ohne weiteren Eingriff vor sich hin. Diese Vorstellung widerspricht freilich dem
theistischen, biblischen Bild von einem Gott, der sich durch einen Vertrag verpflichtet, sich um
sein Volk zu kümmern und dementsprechend, analog zu einem ideal gedachten weltlichen Herrscher,
wohltuend und wenn nötig auch strafend in das Weltgeschehen einzugreifen.

Die Idee des intelligent design erklärt die vielen außergewöhnlichen Ereignisse im Zuge der Evolution
der Welt mit dem direkten wunderbaren Eingreifen des intelligenten Designers an den Naturgesetzen vorbei und steht damit unmittelbar im Widerspruch zum Programm der Naturwissenschaft.

Es macht jede naturwissenschaftliche Forschung obsolet. Wozu die Bewegung der
Himmelskörper oder der Moleküle eines Organismus mit kausalen Zusammenhängen erklären,
wenn sie auf die unmittelbare Willkür Gottes und womöglich auf das Wirken seiner Engel zurückzuführen
sind.

Als naturwissenschaftlich denkender Mensch lehnt OBERNDORFER das intelligent design ab, als
„Pseudowissenschaft …, die einem Lückenbüßergott Vorschub leistet“. Seiner Vorstellung nach
greift Gott nicht ad hoc in das Naturgeschehen ein, sondern läuft die Evolution innerweltlich
ab.

Gott könnte allerdings mit dem Wissen des laplaceschen Dämons aus einem zeitlosen Überblick
über seine Schöpfung den anfänglichen Anstoß für den Ablauf der Geschichte eben genau so
geben, dass alle bevorstehenden Ereignisse schon berücksichtigt sind. Das wäre ein Ausweg aus
dem Dilemma. Allerdings wäre auch ein so gedachter Gott ein Lückenbüßer, verantwortlich für
das, wo unsere Erklärungen (noch) unbefriedigend sind und verschoben an den unerklärlichen
Anfang des Universums.

~[Wird fortgesetzt]

''DI __Matthias Jakubec__ ist 1. Stv. Vorsitzender der österreichischen Plattform <Wir sind Kirche>''



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